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Kanäle in England

Großbritannien hat ein Großod der Industriekultur und Verkehrsgeschichte bis in die heutige Zeit erhalten können: das von ca. 1870 bis zum Beginn des Eisenbahnzeitalters entstandene Kanal-Netz, das durch die Konkurrenz der Eisenbahnen eigentlich schnell obsolet wurde. Heute dienen sie als touristische Strecken. Uns haben natürlich besonders die Passagen interessiert, die durch industriell geprägte Landschaften führen, vor allem im Black Country zwischen Birmingham und Wolverhampton sowie rund um Manchester. Die Fotos entstanden auf drei Reisen, vor allem zu Fuß rund um Manchester im Mai 2003 (Kurzer Reisebericht) sowie stilgerecht mit Narrowboat im November 2009 (Vollständiger Reisebericht). 

Das Fazit des Reiseberichts:

Paar Begriffe:

Mooring = Anlegen zwecks längeren Aufenthalts zwischen 1 Stunde und Übernachtung

Narrowboat = Boot mit max. 1,85 Breite und 10 bis 20 m Länge, den britischen Kanälen von 1770 bis 1830 nachempfunden, entsprechend sind die Schleusen dimensioniert.

Fazit

Narrowboat-Fahren ist ein Erlebnis eigener Art. Es ist ein wenig eine Zeitreise in die Frühindustrialisierung. Natürlich ersetzt der Diesel das Pferd als Zugmaschine, Gasheizung und Elektrischer Strom sorgen für Komfort; doch Tempo und Dimensionen wirken wie in vergangenen Zeiten. Auch der Aufwand beim Schleusen erinnert daran: etwa 15 Minuten mit 35 Arbeitsschritten für 2 m Höhenunterschied. Man muss schon konzentriert fahren, die Brückendurchfahrten erlauben je etwa 15 cm Seitenabstand, die Schleusen weniger als 10. 

Vorteil gegenüber Hotel-Touren: Quartier ist stets dabei, gegenüber Mobilhome: Straßenlage ist ausgezeichnet, nichts verrutscht oder fällt. Es ist auch kein Nachteil im finanziellen Aufwand – wir verfügten immerhin über zwei Einzelzimmer für die gesamte Reise. Kosten für die gesamte Reise pro Kopf ca. 800 €. Man kann an vielen Stellen „mooren“. Aber einer interessanten Stelle sollte man nicht vorbeifahren: eben mal wenden und zurück – das geht nicht, manchmal braucht man einen halben Tag, um wenden zu können. Und rückwärts ist extrem schwer. Dazu die Erfahrung der Langsamkeit und das Gleiten, vor allem vorn im Boot entfernt vom tuckernden Diesel: nur etwas Plätschern von der bescheidenen Bugwelle ist zu hören. Kein Rucken von Beschleunigung oder Bremsen. Es ist ein Gefühl von ein wenig Freiheit. Mit der gewonnenen Erfahrung müssen wir sagen, dass wir durch den eigentlich nicht geplanten Shropshire-Kanal und die Schleusentreppe in WVH zwei Tage „verloren“ haben. Aber das Schleusen selbst ist eine „elementare“ frühindustrielle Tätigkeit, die zu den Erlebnissen dazugehört. Die an sich repetitive Tätigkeit verlangt durchaus Konzentration von beiden Mitgliedern der Crew. Für 3 km und 40 m Höhenunterschied benötigten wir bei mittleren bis guten Bedingungen 5 Stunden. Auf schleusenfreien Strecken erreicht man dagegen Fußgängertempo.

Die Region des Black Country erinnert an das Ruhrgebiet vor 10 Jahren, die ethnische Zusammensetzung der Bewohner gemahnt an das in 10 Jahren. Die Tour entspricht einer Zeitreise und Insel der Ruhe inmitten des ranzigen und lauten urbanen Umfelds. So gibt es alte Brücken, die Wege führen, die heute in Brachen oder Niemandsland führen. Das scheint uns einmalig in Europa.

Extrem viele Brachen und Ruinen im Black Country. Nachnutzungen halten sich in Grenzen. Neue Industriebauten meist mit Trapezblechen. Fast alle Zäune massiv gesichert mit ca. 3m hohen Stahlstreben, die oben spitz ausgeschnitten sind, darüber zusätzlich brutale Stachelkonstruktionen. Und überall die CCTV-Hinweise, selbst bei den ranzigsten Objekten.

Der eher ländliche Shropshire Unon Kanal ist das Gegenstück: in den „pleasant farmlands“ sind viel mehr Boote unterwegs und noch mehr liegen am Ufer. Die städtische Region ist am Kanal hingegen viel einsamer – ein bizarrer Kontrast! Im Black Country haben wir zwei Boote am Tag getroffen, am Shropshire-Kanal das 10-fache – im Sommer muss man vermutlich mit Staus und Parkplatz- (vulgo „Mooring“) Problemen rechnen.

In Mitteleuropa wären die nutzlosen Kanäle vermutlich in den 1960er Jahren zugeschüttet worden. Hier stellt man dagegen Autobahnen auf Stelzen beidseits oder inmitten des Kanals. Die Unterhaltung durch British Waterways entspricht einem Minimalstandard. Die Uferbefestigungen sind teilweise improvisiert geflickt, auf der Seite, wo kein Treidelweg vorhanden ist, sind die Ufer teils verschilft oder verlandet. Doch wir haben mehrmals  Reparaturtrupps gesehen, die vor allem umsturzgefährdete Bäume am Rand gemäht haben.

Also eine Reise, die wir nicht vergessen werden.

 

Die wichtigsten Kanäle werden auf folgenden Seiten präsentiert.

 

© Christian Brünig                                                                                                                        Stand: 10.11.2009   Dank an