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Zum Thema: Halden/Siedlungen ] la Louviere/Schelde ] Charleroi-West ]

Was ist übrig in Wallonien: Eine Erkundungsfahrt

Am letzten März- Wochenende 1997 war ich einmal mehr in Belgien, um nachzuschauen, was aus den von mir früher besuchten Regionen rund um Charleroi, Mons, la Louviere, Tournai geworden ist (aus der internationalen Pistolenpresse bekannt als Kinderschänder - Ecke). Es fällt allerhand, ach was: allerarm auf:

Die Region rund um Charleroi begrüßt die Reisenden auf der Autobahn nicht mehr mit dem touristischen Hinweis "le pays noir", ausgeschmückt mit den Insignien der alten Industrien, sondern mit Piktogrammen über Flugzeugbau und allerhand vorindustriellem Brauchtum. Nachdem man die Industriegeschichte zu entsorgen sucht, können im nächsten Schritt vielleicht die Altlasten im Boden und Wasser dran kommen.

Im Stadtbild sind die Spuren der Vergangenheit noch deutlich zu sehen. Im Westen der Innenstadt ein gewaltiges Areal mit 2 Hochöfen, Stahlerzeugung und Walzwerken, vom Friedhof in Dampremy ergibt sich ein eindrückliches Bild der Szenerie einschließlich der noch vorhandenen Halden

Bis auf eines sind zwar die Bergwerke alle abgerissen. Halden sind freilich an vielen Stellen geblieben und werden zurückgebaut bzw. verdichtet, dazwischen die Siedlungen oder etwa ein Fußballplatz. Gelegentlich enden Straßen vor einem Haldenhang, der bis in die Gärten reicht. Ab und zu  findet man auch den Ansatz einer geschlossenen Reihenbebauung in der Nähe einer Halde, die andererseits auch ein belebendes und prägendes Landschaftselement darstellen. 

Für Wallonien (vgl. Brüssel !) typisch: kleine, schmale, primitiv gebaute Häuser mit tiefen, schmalen Grundstücken. In den Gärten Schuppen und Lager für Baustoffe oder sonst verwendbare Dinge. 

Eine auch im Ruhrgebiet bekannten Zersiedlung und Landschaftsfragmentierung sind einstweilen kaum behebbare Folgen; damit wird auch die ÖPNV - Erschließung zum Problem: die Verkehrsströme sind nicht so gut zu bündeln, dass sich der Einsatz leistungsstarker schienengebundener Verkehrsmittel rechtfertigen ließe. Man hat es gleichwohl getan: eine "Metro" genannte U-bzw. Hochbahn fährt durch die Region von Ost nach West. Im Osten ist hinter der letzten bedienten Haltestelle die Trasse zwar fertig, aber zunächst ist das Geld ausgegangen, so dass sie als Bauruine vor sich hin gammelt. Alle 10 Minuten fährt ein Straßenbähnchen; die Architektur hat den herben Charme des mittleren Asbests der 70er Jahre; in Teilen der Innenstadt ist die Bahn in Höhe des 3. Stocks aufgeständert. Überall sind Restflächen geblieben, neue Straßen und neue Siedlungen überlagern das alte Siedlungs- und Verkehrsnetz. Am Bahnhof Montigny große Brachflächen, in der Nähe eine Gemengelage mit Schnellstraße

Damit nicht genug: um die ganze Region führt eine 6-spurige "Peripherique"- Autobahn mit gewaltigen Kunstbauten, Siedlungen zusätzlich zerschneidend. Rund um die Innenstadt mit einem Radius von vielleicht 1,5 km hat man einen "Ring" gebaut, 3-4-spurig nur gegen den Uhrzeigersinn befahrbar. Wegen der innerstädtischen Gemengelage hat man zu amerikanisch anmutenden Kunstbauten gegriffen: Tunnelstrecken wechseln sich mit aufgeständerten "Skyways" ab. Besonders beeindruckend rund um den Bahnhof Charleroi Sud: Metro, Skyway mit einigen rampenförmig ausgebildeten und miteinander verschlungenen Ab- und Zufahrten auf mehreren Etagen bis in die Höhe des 4. Stocks prägen das Stadtbild. Manche Flächen unter diesen Trassen sind überflüssige Rest - Landschaften, z.T. als Parkplatz genutzt, z.T. als Ökotop für Penner und Tauben. Jetzt weiß ich, dass der Kalauer mit Dr. Markus E. Platz in Venedig als beliebtestem europäischen HNO-Arzt seinen Grund hat: in diesem Ökotop werden nur Tauben nicht taub. Jedenfalls: Schichtenweise Taubendreck, wild abgelagerte Abfälle, tote Tiere, angetrocknete Scheiße, dreibeinige Köter und sogar ein Fußgängerweg, der wohl nachträglich eingebaut wurde, denn an einer Stelle muss man gebückt unter der Rampe queren... Wenigstens war man so ehrlich und hat auf eine Verkleidung des Betons mit Natursteinfurnier, gleichsam dem DC - Fix der Straßenbauer, verzichtet. Um so stärker wird der mäßige Unterhaltungszustand sichtbar. Zwischen Autobahn, Kanal und Straße ist eine weitere dreieckige Restfläche übrig geblieben. 

Mir kommt es so vor, als sei auch hier wie im Ruhrgebiet die Herrschaft der Industrie abgelöst worden durch die überlebenden und fett gewordenen ehemaligen Arbeiterfunktionäre, deren mafiöse und hirnfreie Betonköpfigkeit hier ihr angemessenen Denkmäler hinterläst.

Ergebnis: ein unter formal - ästhetischen Gesichtspunkten faszinierendes Gesamtensemble und hoher Filmverbrauch. Nur ein Kommentar noch: Ich fände es wohlfeil, dies zu kritisieren mit der Attitüde derjenigen, die es städtebaulich besser können. Es ist eine Industrielandschaft, die verbraucht wurde auch zugunsten unseres hohen Lebensstandards in Westeuropa; wir profitieren durchaus davon, dass Menschen in solchen Regionen Rohstoffe gefördert haben oder Rohmaterialien unter für uns kostenlosem Landschaftsverbrauch produzieren. Wer kein Auto hat, werfe den ersten Stein...

Und dann la Louviere, "le centre" : Werbung immerhin mit dem berühmten Bergwerk von Grand Hornu, einem der ersten, die in Kontinentaleuropa die Mergeldecke zur Kohleförderung durchstießen und erst mithilfe der Dampfkraft die Wasserhaltung n den Griff bekommen konnten. Eine "spätklassizistische" Anlage mit großem ovalen Innenhof, der von den Betriebsgebäuden umgeben ist. Mittlerweile restauriert und umgenutzt, die Siedlung ringsum harrt noch einer Aufhübschung. 

Zu diesem Zeitpunkt standen die Hochöfen von la Louviere noch, mittlerweile sind auch sie verschwunden. 

Am Canal du Centre sind die 4 Hebewerke von ca. 1900 erhalten und werden gerade restauriert für eine Summe von je 1 bis 4 Mio DM. Am Ostersonntag - Vormittag habe ich mich zurückgezogen, weil die Treidelwege intensiv bejoggt und bebikt werden, dazwischen wuseln die Inline - Skater.

Im Westen der Provinz Hennegau, am Oberkauf der Schelde, die Spuren der historischen Zementindustrie mit Kalköfen am Flussufer sowie modernen Werken daneben. Weitere Werke sind gut eingepasst in die maschinengerechte Agrarlandschaft mit ihren Stromtrassen. Ein paar Blicke in den Tagebau ergeben schöne Perspektiven in der vegetationsfreien Landschaft.

Übernachtet habe ich wie üblich in meinem Mini - Wohnmobil. Ich stelle mich gern an den von mir ausgekundschafteten Stellen zu den Gewährsleuten von der Binnenschifffahrt. Man ist akzeptiert, geschützt und erfährt bei einer Dose (ja: denkt an die Not leidende Stahlindustrie !) Bier dies und jenes Neue aus der Branche; ich hatte da schon einige interessante Gesprächspartner... Und während des Gespräches war auch noch eine Nachtaufnahme der Hochöfen in la Louviere möglich, anschließend in der Morgendämmerung ein Blick auf den Kanal. 

Zu den Fotos:

 

© Christian Brünig                                                                                                                        Stand: 03.09.2009   Dank an