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Renku
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Renku-Dichtung
(aus "Link and Shift" von Tadashi Shôkan Kondô und William J. Higginson), deutschsprachige Fassung (z.T.  gekürzt von GB)
 
Geschichtliches
 
Die Tradition der Kettendichtung begann vor mehr als tausend Jahren. Autoren trafen sich um zur Unterhaltung und Entspannung ein Kettengedicht zu schaffen, bei dem jeder Autor einerseits versuchte den anderen zu übertreffen, aber andererseits auch wollte, dass ein gemeinsames Gedicht entsteht, indem durch die Jahreszeiten, japanischen Landschaften gereist wurde und die unterschiedlichsten Schauplätze besucht wurden. Diese Art der höfischen anfangs seriösen Kettendichtung wurde „renga“ oder „ushin renga“ genannt. Um das 17. Jahrhundert hatte sich die Kettendichtung durch Samurai und Kaufmannstand, die den Wohlstand und Muße hatten sich dieser Kunst hinzugeben, zur „funny renga“ zur ‚Nonsen’-Kettendichtung disqualifiziert.
Zu Lebzeiten Bashôs (1644 1694) und seinen Schülern wurde basierend auf alten Traditionen der Kettendichtung, ganz neue Prinzipien der intuitiven Verlinkung zwischen den Strophen, der Progression zu immer neuen Schauplätzen des Lebens und der Beachtung einer Übereinstimmung von Bild und Sprache eingeführt. Dies Art der Kettendichtung war so anders als die inzwischen geschmacklos gewordenen haikai , viel tiefer und ernsthafter, dass diese Form der Kettendichtung seit dieser Zeit „Renku“ (wörtlich: "verkettete Verse") genannt wird.

Arten der Renku-Dichtung

Es gibt verschiedene Längen und Formen des Renku:
 
Das Hyakuin mit 100 Strophen,
das Kasen mit 36 Strophen,
das Nijûin mit 20 Strophen,
das Hankasen oder „Halbkasen“ mit 18 Strophen,
das Shishi mit 16 Strophen
das Jûsanbutsu mit 13 Strophen und
das Jûnicho und Shisan mit je 12 Strophen.
 
Die gebräuchlichste Form ist das Kasen mit 36 Strophen und soll hier näher erörtert werden. Die anderen Anwendungen des Renku sind Modifikationen der Kasenform, richten sich aber alle nach den gleichen Prinzipien von „link and shift“.
 
Gesamtstruktur eines Kasen:
 
Prinzipiell besteht aber die  Gesamtstruktur des Kasen aus drei Teilen:
der Einleitung, dem Prolog oder der Ouvertüre (6 Strophen)             –             (jo)
dem Hauptsatz, der Entwicklung oder Erweiterung (24 Strophen)      –             (ha)
und dem Schluss, der Folgerung oder dem Epilog (6 Strophen)          –             (kyû).
 
Versnamen und Themen-Position
 
Bestimmte Verse haben besondere Namen oder sind für besondere Themen reserviert. Zum Beispiel gibt es drei Vers-Positionen innerhalb des Kasen, die dem Mond und zwei, die den Blüten – traditionell den Kirschblüten – gewidmet sind. Andere Strophen beschreiben den Lauf durch die Jahreszeiten, erzählen von der Liebe oder beziehen sich auf freie Themen.
 
Link and shift – Anschluss und Verschiedenartigkeit (von Ort, Personen und Szenerie)
 
Das Renku wird von den beiden Schlüsselworte „link and shift“ (Anschluss und Orts- bzw. Szenenwechsel) regiert. Dabei werden die unterschiedlichsten Arten der Verlinkung bzw. der Prinzipien der Strophenverbindungen einerseits und Prinzipien der Progression (das Moving Ahead, dass Vorwärtsschreitens) und das Prinzip der Diversity, der Veränderung von Themen und Eigenschaften, beachtet.
„Link“ (tsukeai) bezieht sich auf die Verbindung oder Beziehung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Strophen;
„shift“ (tenji) hat mit der Verschiedenartigkeit der Themen bzw. Gegenstände und ihren Eigenschaften und Ausformungen zu tun. „Shift“ bestimmt das stetige Voranschreiten durch verschiedene Orte und Ereignisse der Renku-Dichtung. Diese traditionellen Ideen und Gesichtspunkte gehen auf das Werk von Matsuo Bashô (1644-16949) und seinen Nachfolgern zurück.
 
Linking-Kategorien:
 - object linking (mono-zuke), (Objekt-Verkettung)
 - meaning linking (imi-zuke), (Verkettung durch die Bedeutung der Wörter)
 - and scent linking (nioi-zuke). (Duft-Anschluss)
 
Object linking
beinhaltet eine Gedankenverbindung zwischen den Objekten/Personen, dem Ort oder der Zeit zweier aufeinander folgenden Strophen.
Zum Beispiel: Auf einen „Regenschirm“ in einer Strophe kann mit „Gummistiefel“ in der nächsten Strophe geantwortet werden. Eine Tätigkeit in einer Strophe kann weiter in der folgenden Strophe in einer anderen Zeit oder an einem neuen Ort fortgesetzt werden usw. Das kann erzählend formuliert sein, aber Objekte oder Bilder müssen in direkter Beziehung zueinander stehen.
 
Meaning linking
realisiert eine Verkettung zweier benachbarter Strophen durch die Bedeutung der Wörter, durch Anspielung (Allusion) oder durch Zitate, geflügelte Worte, „Teekesselchen“ oder andere Wortspiele.
Zum Beispiel bedeutet Schimmel in der einen Strophe ein weißes Pferd und in der nächsten einen pilzartigen Überzug auf organischen Stoffen.
 
Scent linking
Bashô vertiefte das Verkettungs-Konzept unter dem Begriff des „scent linking“, dem Duft-Anschluss. Er und seine Nachfolger teilten das scent linking in mehrere Kategorien ein.
Wir sprechen grundsätzlich von Scent Linking, wenn es bei der Verbindung zwischen den Versen
eher zu einer Übereinstimmung von Stimmungen und Gefühlen kommt, als zu einer rationalen Assoziation von Gedanken oder Ideen, die hinter den Versen stehen.
 
Shift - Prinzip des Voranschreitens und der Mannigfaltigkeit
 
Das Verlinken von einer Strophe zur nächsten ist das Herz einer jeden Renku Komposition. Um aber Eintönigkeit und Stillstand zu vermeiden, gilt es, „progression and diversity“ (das Voranschreiten und die Mannigfaltigkeit) zu beherrschen.
Das Renku lebt von den Prinzipien der Progression und der Verschiedenheit oder kurz „shift“ (tenji) genannt. Es gilt, immer vorwärts zu schreiten zu neuen Themen (siehe unten) und nicht zurückzuschauen.
Progression - Moving Ahead
Die Grundidee des „Voranschreitens“ ist es, keine gleichen Erfahrungen, Gefühle oder ähnliche Themen in den wechselnden Versen zu verarbeiten. Es gilt, ein Wiederauftreten von Merkmalen bzw. Verhaltensweisen oder eine (auch örtliche) „Rückkehr“ innerhalb von drei  aufeinander folgenden Versen zu vermeiden.
Betrachtet werden in diesem Zusammenhang also immer drei aufeinanderfolgende Strophen: Die „jüngste“ oder letzte Strophe wird „linking verse“ (tsukeku) oder Anschluss-Vers genannt. die mittlere der drei Strophen heißt „preceding verse“ (maeku), oder Mittelstrophe und die erste oder die zuerst geschriebene heißt „leap over verse“ (uchikoshi) Übersprung- oder Rückkehr-Strophe. Der Dichter des Anschlussverses muss unbedingt eine Rückkehr (auch uchikoshi genannt) in die Welt des Leap-Over-Verses vermeiden. Das heißt, der Autor eines jeden Anschlussverses darf Worte, Themen oder Elemente benutzen, die sich auf die Themenfelder bzw. Szenerie des vorangegangenem (Mittel-)Verses beziehen. Er muss aber vermeiden, sich auf Themen des Leap-Over-Verses oder der Strophen davor zu beziehen.
 
Diversity - Die Verschiedenheit von Themen und deren Elemente
 
Innen – und Außenszenen sollten nachvollziehbar wechseln und sich in den Linking - und in den Leap-Over Versen nicht wiederholen. Dieses Prinzip gilt auch für Dinge, deren Beschaffenheit, Stimmungen, Seelenzustände usw.
In der Zeit der klassischen Renga-Dichtung gab es lange Listen von topics and materials, sogar von besonderen Wörtern,
die erst nach einer bestimmte Anzahl von Strophen wiederholt oder die nur so und so oft innerhalb einer Renga-Dichtung benutzt werden durften. Aber diese Listen galten im Wesentlichen nur für die Dichtungen in der Renga-Tradition mit hundert und mehr Strophen.
Die meisten Dichtergruppen erlauben nur das einmalige Erscheinen eines topics oder materials innerhalb eines Kasen – aber sie achten darauf, dass alle diese Themen oder wenigstens jedes Themenfeld im Kasen wiederzufinden ist.
 
Schluss - Balance is the Key (Gleichgewicht und Harmonie beachten)
 
Bei einer Renku-Dichtung ist es entscheidend, ein Gleichgewicht von „link“ und „shift“ zu wahren.
Shift (das Prinzip des Voranschreitens und der Verschiedenheit) ist das Gerüst für die Struktur des Renku,
während link (die Arten der Verkettung) das Fleisch und Blut sind, das die Qualität des Lebens beschreiben soll.
Wird shift (das Prinzip des Voranschreitend und der Verschiedenheit) überbetont, laufen wir Gefahr, das eigentliche Leben und damit den Spaß an der Renku-Dichtung zu verlieren. Wird shift (das Prinzip des Voranschreitend und der Verschiedenheit) ignoriert, wird das Ergebnis monoton sein.