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Das Haibun
 
"Haibun" ist eine Zusammenziehung von "Haikai no bunshô" und bedeutet Hai(kai)-Prosa (bun) oder Prosa im Haikai-Stil. Der Terminus kam zu Beginn des 17. Jh. auf. Diese Prosaaussagen wurden in der Form von Miszellen ,von Tagebuchaufzeichnungen oder Reisetagebüchern, Briefen, Essays u. ä. festgehalten.
Das Haibun hatte in der japanischen Literatur bereits seine Vorläufer. Vor allem die Literaturgattung "Zuihitsu" (Miszellen) und die Tagebuch- und Reisetagebuchliteratur (Nikki, Kikô) erfreuten sich schon vor ihm großer Beliebtheit. "Zuihitsu" bedeutet "dem Pinsel (hitsu) folgend (zui)" und weist auf Schriften hin, die aus spontaner Eingebung Eindrücke, Erfahrungen und Überlegungen "in den Pinsel fließen lassen" und skizzenhaft zu Papier bringen. Ein Zuihitsu kann aus einfachen Wortnotizen, Sentenzen, aber auch aus längeren Essays bestehen. Inhaltlich weist es eine thematische Vielfalt auf: Natur und Menschenleben, Gesellschaftskritik, Wissenschaft, Philosophie, Literaturtheorie usw. Gerade wegen dieser Themenvielfalt bedienten sich Schriftsteller, Gelehrte, Staatsmänner, Mönche gern dieser Form literarischer Aufzeichnung. Als klassische Meisterwerke des Zuihitsu gelten das Makura no sôshi (Kopfkissenbuch) der Hofdame Sei Shônagon (10. Jh. n. Chr.), das Hôjôki (Aufzeichnungen aus den zehn Fuß im Geviert meiner Hütte) des Kamo no Chômei (1153-1216), das Tsurezuregusa (Aufzeichnungen in Mußestunden) des Yoshida Kenkô (1283-1350) und das Kagetsusôshi (Notizen bei Kirschblüten und Vollmondnacht) des Matsudaira Sadanobu (1758-1829). 
Dass ein Haibun einen hohen Anteil von Haikai aufweist, versteht sich eigentlich von selbst. So ist ein Haibun im allgemeinen eine lockere Abfolge von Haikai-Prosa und Haikai-Poesie. Die Haikai werden entweder in den Prosatext eingestreut oder schließen diesen ab. Dabei stellt das Haikai in seiner Prägnanz jeweils den lyrischen Höhepunkt des Prosatextes dar. Wie die Haibun-Literatur jedoch zeigt, muss ein Haibun nicht unbedingt ein oder mehrere Haikai aufweisen. Viele Texte kommen auch ohne dieses aus, ohne deshalb an dichterischem Wert zu verlieren.
Wie für das Haikai gilt auch für das Haibun Matsuo Bashö (1644-1694) als der erste, wenn nicht überhaupt bedeutendste Vertreter. Weitere angesehene Haibun-Schriftsteller sind u. a. Yosa Buson (1715-1783), Yokoi Yayü (1702-1783), Kobayashi Issa (1763-1827).
Für Bashô muss ein gelungenes Haibun folgende Kriterien erfüllen:
 
Es darf nicht vom Verstand konstruiert sein, sondern muss aus dem spontanen Erlebnis entstehen;
es soll eine geschlossene Gesamtkonzeption besitzen und dennoch nicht abschließend sein;
es muss einen prägnanten und schlichten Stil aufweisen;
Verwendung von Anspielungen auf berühmte Dichter, Gelehrter, Mönche usw. aus vergangener Zeit 
gelten als ein wesentliches Stilmittel;
 
nach L. Brüll
 
Beispiel für zwei Haibun (Aus: 'Schreiben unterm Apfelbaum' 2000. Hrs. Leonie Patt. Eine HB-Anthologie mit Gedichten und Haibun der Schweizer Haiku-Freundinnen in Winterthur.:
 
Auto-Traum 
 
Als ich heute morgen ums Haus zu meinem Wagen schlenderte, sah ich, wie die Windschutzscheibe übersät war mit den kleinen weißen Blütenblättchen der alten Clematis. Ein Bild wie sonst nur im Winter. Beim Anfahren getraute ich mich nicht, die Scheibenwischer in Bewegung zu setzen. Der erste Fahrtenwind stob dann alles auseinander. Es regnete Blütenblätter.
Mein Auto, ein japanischer Kleinwagen, hielt die Pracht wohl für Kirschblüten und erinnerte sich wehmütig. Sein Motor summte leise.
 
Auf der Frontscheibe -
wie Erinnerungsfetzen -
Clematisblüten.
 
Ria lsler

 

Ode an den Zürichsee
 
Schon mit der Muttermilch habe ich die Liebe zum Zürichsee eingezogen. Mein Vater war ein Seebub aus Stäfa - meine Mutter hat ihre Jugendzeit in Wädenswil erlebt.
Ich habe den See in all seinen Stimmungen kennen gelernt: In der Morgenfrühe im rötlichen Schimmer der aufgehenden Sonne - am Mittag bei Bisenlage im tiefen Blau, oft mit weißen Schaumkronen dekoriert. An heißen Sommertagen brachte er mir willkommene Abkühlung. Zum Glück warnten jeweils die Sturmlaternen bei nahenden Gewittern, so dass ich noch in Windeseile heimradeln konnte.
Wenn die Kirchenglocken am anderen Ufer den Feierabend ankündigten, lag der See wieder friedlich zu meinen Füßen, oft vergoldet von den letzten Sonnenstrahlen. Doch im Silberglanz des Mondes gefiel er mir am allerbesten! Ich liebte auch die geheimnisvolle Stimmung, wenn der ganze See vom Nebel in eine weiche Decke eingehüllt war... Wie dankbar bin ich, dass mein Lebensweg mich wieder an die Gestade des Zürichsees zurückgeführt hat.
 
 
Ich steh am Fenster 
und schau über den See 
wie damals als Kind.
 
Ruth Kappeler