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IM STUDIERZIMMER

Sylvesternacht.

Zimmer, Schreibtisch mit Lampe, Stuhl; auf dem Boden eine Matratze. Einige Bücher, Zeitungen, Blätter und Stifte liegen herum, gehäuft auf dem Schreibtisch, auf dem auch eine halbgeleerte Flasche Wein und ein Teller mit Essensresten steht.

Es ist dunkel. Eine Gestalt kommt hastig herein, knipst die Lampe an. Es ist Fausta. Sie wirkt müde und übernächtigt, läßt sich auf den Stuhl fallen.

Fausta (reibt sich mit der Hand am Ellbogen, als ob dieser schmerze; gibt unartikulierte Laute von sich, unter denen einzelne Schimpfwörter herauszuhören sind). AAh. Hbbbwwhh. Schweinekerle. Puh. (usw.)

Ihr Blick richtet sich über den Schreibtisch hinweg ins Leere. Plötzlich erscheint über der Kante des Schreibtisches der Kopf des Herrn: mit Fliegermütze und -brille, grinsend.

Fausta (schaut den Kopf an, scheint ihn jedoch nicht wahrzunehmen, murmelt automatisch, ohne Ausdruck). Was grinsest du mir, hohler Schädel, her?

Der Kopf zieht ein beleidigtes Gesicht, verschwindet wieder unterhalb der Kante, taucht jedoch nach ein paar Sekunden wieder auf, mit dem gleichen Grinsen wie vorher.

Fausta starrt ihn regungslos an, schließt die Augen, zählt langsam: 1 - 2 - 3, öffnet die Augen wieder. Der Kopf grinst immer noch. Sie beugt sich mit dem ganzen Oberkörper nach vorne und reißt die Augen auf.

Der Schreck löst sich. Fausta springt auf. Der Stuhl stürzt polternd um. Sie will in die Manteltasche greifen, findet sie aber in der Aufregung nicht. Währenddessen ist der Herr ebenfalls aufgesprungen, rennt um den Schreibtisch, lässt sich vor ihr laut krachend auf die Knie fallen.

Herr (setzt sich in Positur, legt eine Hand ans Herz, streckt die andere theatralisch gen Himmel, deklamiert ratternd).     
            Ir sit so wol getan,                    
            daz ich iu min sch- (kommt ins Stottern)           

    ähm, scha - schapel gerne geben wil,    
            So ichz aller beste han.
            wizer unde roter bluomen weiz ich vil.    
            die stent so verre in jener heide.
            da si schone entspringet           
            und die vogele singent, 
            da sul wir si brechen beide.

Fausta will sich mit offenem Mund auf den Stuhl sinken lassen. Da dieser aber umgefallen ist, plumpst sie stumm auf den Boden.

Herr (springt sofort auf, hilft ihr auf die Beine, stellt den Stuhl hin, mit einladender Handbewegung). Setzen Sie sich doch, Gnädigste!

Fausta (reibt ihr Hinterteil, während sie den Herrn misstrauisch beäugt, verzieht ihr Gesicht). Au - autsch . (lässt sich vorsichtig auf dem Stuhl nieder, ohne ihn aus             den Augen zu lassen; nach kurzer Pause) SIE -

Herr (sofort zu Diensten, erfreut). Ja, MEINE Gnädigste?

Fausta (mustert ihn von oben bis unten). SIE - ääh. Wer sind Sie?

Herr (entschuldigend). Tut mir leid. Ich hatte ja ganz vergessen, mich vorzustellen. (wirft sich in die Brust, feierlich) ICH BIN GOTT.

Fausta (verschränkt die Arme vor der Brust, nun ihrerseits grinsend). Ach nee. (schlagfertig, mit einem Deut auf seine Kluft) Sie sind wohl mit nem Bomber auf die Erde geflogen? (noch bevor der Herr antworten kann, fies) Ich will Sie ja nicht beleidigen, aber göttlich schauen Sie nicht gerade aus.

Der Herr lässt die Schultern hängen, grunzt gekränkt.

Fausta (mit gespielter Sorge). Ungünstig das.

Herr (unwillig). Was? Was ist ungünstig?

Fausta. Nun, dass Sie Gott sind.

Herr (überrascht). Warum?

Fausta (mit Schalk in ihrem Gesicht). Wenn SIE Gott sind, dann - (zeigt mit dem Finger auf ihn, zögert genüsslich)

Herr (ungeduldig). Dann, was dann?

Fausta (lehnt sich zurück). Dann gibt es Sie gar nicht. Ihre Existenz ist längst widerlegt.

Herr (finster). Ah ja.

Fausta (spreizt die Finger, tippt die Spitzen aneinander, legt die Stirn in Falten, Denker-Pose). Es ist nicht übertrieben zu sagen, SIE haben SICH, id est Ihre Existenz, selbst widerlegt. (kurze Pause) Nämlich, in Ihrem genialen Buch: in der Bibel. Schon dort steht geschrieben: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Lassen wir die logischen Brüche beiseite, und konzentrieren wir uns auf diese Aussage: GOTT WAR DAS WORT.

Herr (hat die Arme hinter dem Rücken verschränkt, geht auf und ab, wirft ihr giftige Blicke zu). Weiba!

Fausta (betrachtet ihn amüsiert, räuspert sich). Die Bibel selbst ist also die Basis für die Sprachkritik, die dann Wilhelm von Ockham-

Herr (knurrt). Den hättma vabrennt, wenn da Ludwig need gwen wa.

Fausta (überrascht). Sie sprechen ja Bayerisch. Kommen Sie vielleicht aus dem Bayerischen Wald?

Herr (patzig). I woaß gar need, warum olle ollawei moanan, daß i ausm Bayerischen Woid kim. Nein - (buchstabiert) N - E - I - N, ich komme nicht, ich wiederhole: NICHT aus dem Bayerischen Wald. Ich komme aus (kurze Pause, langsam, betont, indem er eine Grimasse schneidet )Siebenbürgen. Ich bin nämlich Dracula.

Fausta (grinst frech). Aha, Dracula. Jetzt, wo ich Ihnen gerade beweisen wollte, dass Sie NUR EIN WORT sind. Götter sind nur Worte. (hebt abwehrend die Hände, da der Herr ihr einen vernichtenden Blick zuwirft) Fritz Mauthner. Nicht von mir.

Herr (marschiert immer noch auf und ab, schimpft leise vor sich hin). Do hett i ja glei dahoam bleim kinna. Weiba! Kam gibt ma eana an kloana Finga, dann nemmans glei de ganze Hend. I hobs ja ollawei gsagt: Frauen soin kocha und Kinda kriang. Aba need de ganze Zeit umananda studiern und lauta Scheiß lesn.

Fausta (beobachtet ihn, hört ihm interessiert zu). Sie sind ja ein richtiges reaktionäres kleines Arschloch!

Herr (bleibt stehen, zieht die Fliegerbrille herunter, so dass sie um den Hals baumelt, stemmt die Arme in die Hüfte, ungläubig). Arschloch - Arschloch hod de zu mia gsagt! (fuchtelt erbost mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Fausta) SIE - SIE - das ist - (sucht nach Worten) ähm, das ist Gotteslästerung, jawoll (lauter) Gotteslästerung.

Fausta (ungerührt). Typisch, wer geistig unterlegen ist, der schreit.

Herr (rot vor Zorn). Was? Geistig unterlegen? Das ist (brüllt) MAJESTÄTSBE-

Fausta (springt auf, rennt zu ihm hin, hält ihm den Mund zu, herrscht ihn an). Sind Sie verrückt geworden? (geht zur Tür, horcht, geht beruhigt zum Schreibtisch zurück, setzt sich wieder, nimmt einen Schluck aus der Weinflasche)

Herr (besänftigt durch ihre Berührung, verlegen). Tut mir leid. Hier ist ja ein Miets- ähm, Mietshaus. Ruhestörung und so. Wissen Sie, bei uns im Himmel -.

Fausta (winkt ab). Lassen Sie mal. Kein Problem. (betrachtet ihn misstrauisch) Soso, im Himmel. (zu sich selbst, während sie den Herrn im Auge behält) Gott ist ein Produkt des menschlichen Geistes. (legt die Stirn angestrengt in Falten)

Herr (hilfsbereit). Ist Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?

Fausta (erstarrt, kneift die Augen zu, fährt sich mit der Hand über die Stirn).      
Was mache ich hier eigentlich? - Ich - ich werde wahnsinnig (schweigt einen Moment, öffnet die Augen wieder, wirft einen Blick auf den Herrn, der sofort ein möglichst charmantes Grinsen aufsetzt, pustet)

Puuh, ist mir schlecht. Ich brauche frische Luft. (geht zum Fenster, öffnet es, atmet tief durch)

Eine entsetzliche Nacht. Wie still es ist. Unheimlich, diese Ruhe. Es ist, als müsste die Erde zerbersten. (horcht nach draußen)

Seltsam, da ist ein Hämmern, ganz leise, in der Ferne. Wo das wohl herkommt? (lauscht angestrengt, erstaunt)  
Es wird lauter. Es kommt näher. (beugt sich aus dem Fenster, starrt ins Dunkel  )
Hhh, da ist ein Pferd, ein weißes Pferd. Wie es rast! - Ich habe es schon mal gesehen, so blutig, abgemagert wie ein Skelett. (verwirrt)     
Diese Gänge hier, dieses Gewölbe - hier war ich schon mal. - Da - da schreit jemand. (angstvoll) 
Ich erinnere mich: hier - hier wird gefoltert. (verharrt regungslos, verwundert)        
Wo ist das nur? Diese Gebirge, Sümpfe, Ebenen, diese weiten Ebenen. - Da ist ein See - und eine Stadt. Ahh ja, ich kenne diese Stadt, grau einförmig. (richtet sich auf, hält sich die Hände vors Gesicht)          
Jetzt weiß ichs wieder. Da - da ist er ja: der Palast des Herrschers. Wie ein monströser Totenschädel thront er über der Stadt. (zittert am ganzen Körper, gibt seltsame Laute von sich)

Herr (löst sich aus seiner Erstarrung, geht zu Fausta hin, legt ihr eine Hand auf die Schulter, verunsichert). Äh, meine Liebste, Sie werden doch jetzt nicht, ähm, ich meine, Sie werden doch - Sie werden -

Fausta (dreht sich um, lacht). Ich -

In diesem Moment beginnt draußen ein fürchterlicher Lärm. Es kracht und schießt. Fausta rennt zum Schreibtisch, packt eine Tasche, stopft Papier und ein paar Bücher hinein, läuft zum Fenster, will hinausklettern.

Herr (packt sie am Handgelenk). Hiergeblieben. Wo wollen Sie denn hin?

Fausta (in Panik). Die Feuerleiter. Die Feuerleiter hinunter.

Herr (entrüstet). Na, hören Sie mal, ich tue Ihnen doch gar nichts.

Fausta (entwindet sich seinem Griff). Draußen wird geschossen. Ich muss weg.

Herr (reißt sie zurück). Jetzt machen Sie mal halblang! Das ist doch nur ein Feuerwerk. (feierlich) Hiermit beginnt das Neue Jahrtausend.

Fausta (lässt die Tasche fallen, murmelt). Ach so. (geht zum Schreibtisch, holt sich die Weinflasche, hockt sich auf die Matratze, trinkt und jammert). Entsetzlich. Entsetzlich.

Herr (reibt sich die Hände, geht zum Angriff über). Aber, meine Gnädigste, das Neue Jahrtausend beginnt. Was ist denn daran so entsetzlich? (setzt sich neben sie auf die Matratze)

Fausta ( weinerlich). Was? Alles. Einfach alles ist entsetzlich.

Herr (während die Knallereien allmählich verhallen). Vielleicht ist Ihnen nur zu warm. (fingert an ihrem Mantel herum) Möchten Sie den Mantel nicht ausziehen? Der ist ja furchtbar dick. Sie müssen ja schwitzen wie ein Schwein. Ähhm, ich wollte sagen: Da müssen Sie sich ja unwohl fühlen.

Fausta (apathisch). Schwein, ja, Schwein. Ich halte mich an Rimbaud. (tragisch) Unter Schweinen kann man nur ein Schwein sein.

Herr (hört nicht auf sie, ist mit seinen Fummeleien beschäftigt, hat es geschafft, Mantel und Bluse zu öffnen, grabscht an ihrem Busen herum). Schwein, sehr interessant, Schwein.

Fausta (kommt zu sich, gibt ihm eine Ohrfeige). Und Sie, Sie sind das allergrößte Schwein, das herumläuft. (knöpft Bluse und Mantel wieder zu).

Herr (reibt sich die Wange, weinerlich). Aber der andere durfte auch.

Fausta (zornig). Und überhaupt: Wie sind Sie denn in mein Zimmer gekommen? Da war abgeschlossen. - Und - und was wollen Sie hier eigentlich? Das ist mein Zimmer. Da haben Sie gar nichts zu suchen.

Herr (grinsend). Ich möchte Ihre Seele retten.

Fausta (verdutzt). Meine Seele retten?

Herr (eifrig). Ja, genau. Das erste und wichtigste Gebot ist: Matthäus Kapitel 22, Vers 37 - 38: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele und deinem ganzen Denken - (drückt sie auf die Matratze, beugt sich über sie, fährt mit der Hand unter ihren Mantel, atmet geil) UND DEINEM GANZEN KÖRPER!

Fausta wehrt sich, schlägt ihm mit dem Knie zwischen die Beine und springt auf. Der Herr krümmt sich, stöhnt, setzt sich aber dann doch auf.

Fausta (wütend). Jetzt reicht's. RR(rollend)AUS! (brüllt und blickt auf den Herrn, der wie ein Häufchen Elend dasitzt, muss lachen) Mann o Mann, und so was will ein Gott sein. (kichert) Hihi. Also, wenn du Gott bist, dann bin ich Mephisto. Das -

Sie wird unterbrochen durch Lärm von draußen. Quietschende Autoreifen, einzelne Schüsse, das Rattern von Maschinenpistolen, Getrampel im Hausgang.

Fausta (erstarrt für ein paar Sekunden, packt den Herrn am Arm, zieht ihn hoch). Komm, steh auf! Schnell! Nichts wie weg von hier!

Herr (reibt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Hodengegend). AAch, was ist denn los?

Fausta (bereits am Fenster, die Tasche in der Hand). Frag nicht so blöd, komm! Sonst bist du innerhalb kürzester Zeit in deinem Himmel (stockt) - oder in der Hölle! (klettert aus dem Fenster, winkt ihm nochmal) Jetzt komm schon! Beeil dich! Ich kann nicht mehr länger warten. (verschwindet)

Der Herr steht da und glotzt blöd. Der Lärm wird lauter. Die Tür wird eingeschlagen. Rambos in Kampfuniformen, mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf, die MPs im Anschlag stürmen herein. Zwei stürzen sich auf den Herrn, werfen ihn auf den Boden, legen ihm Handschellen an. Einer schlägt ihm mit dem Kolben auf den Hinterkopf, so dass er bewusstlos wird. Von draußen ist ein lautes ACHTUNG zu hören. Die Rambos nehmen stramme Haltung an.

Ein General (tritt majestätisch ein, mit obligatorischer schwarzer Brille, sieht sich um, geht zum Fenster, schaut hinunter). Eines Tages kriegen wir dich, du Ratte. (im Befehlston) Sofort alle Straßen sperren lassen. Alle Häuser der Umgebung durchsuchen! (deutet auf den Herrn) In die Zentrale, in den Keller. Das Zimmer absuchen nach Waffenverstecken etc.! (tritt ab)