renate eichmeier |
Sylvesternacht. Zimmer,
Schreibtisch mit
Lampe, Stuhl; auf dem Boden eine
Matratze. Einige Bücher, Zeitungen, Blätter und
Stifte liegen herum,
gehäuft
auf dem Schreibtisch, auf dem auch eine halbgeleerte Flasche Wein und
ein
Teller mit Essensresten steht. Es ist dunkel.
Eine
Gestalt kommt hastig herein, knipst die
Lampe an. Es ist Fausta. Sie wirkt müde und
übernächtigt, läßt sich auf
den
Stuhl fallen. Fausta (reibt
sich mit
der Hand am Ellbogen, als ob dieser schmerze; gibt unartikulierte Laute
von
sich, unter denen einzelne Schimpfwörter
herauszuhören sind). AAh.
Hbbbwwhh.
Schweinekerle. Puh. (usw.) Ihr Blick
richtet sich
über den Schreibtisch hinweg ins
Leere. Plötzlich erscheint über der Kante des
Schreibtisches der Kopf
des
Herrn: mit Fliegermütze und -brille, grinsend. Fausta (schaut
den Kopf an, scheint ihn jedoch nicht wahrzunehmen, murmelt
automatisch, ohne
Ausdruck). Was
grinsest du mir, hohler Schädel, her? Der Kopf zieht
ein
beleidigtes Gesicht, verschwindet wieder
unterhalb der Kante, taucht jedoch nach ein paar Sekunden wieder auf,
mit dem
gleichen Grinsen wie vorher. Fausta starrt
ihn
regungslos an, schließt die Augen, zählt
langsam: 1
- 2
- 3,
öffnet die Augen wieder. Der Kopf grinst immer noch. Sie beugt
sich mit
dem
ganzen Oberkörper nach vorne und reißt die Augen auf. Der Schreck
löst sich.
Fausta springt auf. Der Stuhl stürzt
polternd um. Sie will in die Manteltasche greifen, findet sie aber in
der
Aufregung nicht. Währenddessen ist der Herr ebenfalls
aufgesprungen,
rennt um
den Schreibtisch, lässt sich vor ihr laut krachend auf die
Knie fallen. Herr (setzt
sich in Positur, legt eine Hand ans Herz,
streckt die andere theatralisch gen Himmel, deklamiert ratternd). ähm,
scha -
schapel gerne geben wil,
Fausta will
sich mit
offenem Mund auf den Stuhl sinken
lassen. Da dieser aber umgefallen ist, plumpst sie stumm auf den Boden. Herr (springt
sofort
auf, hilft ihr auf die Beine, stellt den Stuhl hin, mit einladender
Handbewegung). Setzen
Sie sich
doch, Gnädigste! Fausta (reibt
ihr
Hinterteil, während sie den Herrn misstrauisch
beäugt, verzieht ihr
Gesicht). Au
- autsch . (lässt sich vorsichtig
auf dem Stuhl nieder,
ohne ihn aus
den Augen zu
lassen; nach kurzer Pause) SIE - Herr
(sofort
zu Diensten, erfreut). Ja, MEINE Gnädigste? Fausta (mustert
ihn von
oben bis unten).
SIE - ääh. Wer sind Sie? Herr (entschuldigend).
Tut mir leid.
Ich hatte ja ganz vergessen, mich vorzustellen. (wirft
sich
in die Brust, feierlich) ICH BIN GOTT. Fausta (verschränkt
die
Arme vor der Brust, nun ihrerseits grinsend).
Ach nee. (schlagfertig, mit einem Deut auf
seine Kluft)
Sie sind wohl mit
nem Bomber auf die Erde geflogen? (noch
bevor der Herr antworten kann, fies) Ich will Sie ja nicht
beleidigen, aber
göttlich schauen Sie nicht gerade aus. Der Herr
lässt die
Schultern hängen, grunzt gekränkt. Fausta (mit
gespielter
Sorge). Ungünstig
das. Herr
(unwillig).
Was? Was ist
ungünstig? Fausta. Nun,
dass Sie Gott sind. Herr (überrascht).
Warum? Fausta (mit
Schalk in
ihrem Gesicht).
Wenn SIE Gott sind, dann - (zeigt mit dem
Finger auf ihn,
zögert genüsslich) Herr (ungeduldig).
Dann, was dann? Fausta (lehnt
sich
zurück).
Dann gibt es Sie gar nicht. Ihre Existenz ist längst widerlegt. Herr
(finster).
Ah
ja. Fausta (spreizt
die
Finger, tippt die Spitzen aneinander, legt die Stirn in Falten,
Denker-Pose).
Es
ist nicht
übertrieben zu sagen, SIE haben SICH, id est Ihre Existenz,
selbst
widerlegt. (kurze Pause)
Nämlich, in Ihrem genialen
Buch: in der Bibel. Schon dort steht geschrieben: Im Anfang war das
Wort, und
das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Lassen wir die logischen
Brüche
beiseite, und konzentrieren wir uns auf diese Aussage: GOTT WAR DAS
WORT. Herr (hat
die Arme
hinter dem Rücken verschränkt, geht auf und ab, wirft
ihr giftige
Blicke zu).
Weiba! Fausta (betrachtet
ihn
amüsiert, räuspert sich).
Die Bibel selbst ist also die Basis für die
Sprachkritik, die dann Wilhelm von Ockham- Herr (knurrt).
Den hättma
vabrennt, wenn da Ludwig need gwen wa. Fausta (überrascht).
Sie sprechen ja Bayerisch. Kommen Sie
vielleicht aus dem Bayerischen Wald? Herr (patzig).
I
woaß gar
need, warum olle ollawei moanan, daß i ausm Bayerischen Woid
kim. Nein
- (buchstabiert) N - E - I - N, ich
komme
nicht, ich wiederhole: NICHT aus dem Bayerischen Wald. Ich komme aus (kurze Pause, langsam, betont, indem er eine
Grimasse schneidet )Siebenbürgen. Ich bin
nämlich Dracula. Fausta (grinst
frech).
Aha, Dracula. Jetzt,
wo ich Ihnen gerade beweisen wollte, dass Sie NUR
EIN WORT sind. Götter sind nur Worte. (hebt
abwehrend die Hände, da der Herr ihr einen vernichtenden Blick
zuwirft) Fritz
Mauthner. Nicht von mir. Herr (marschiert
immer noch auf und ab, schimpft leise vor sich hin).
Do
hett i ja
glei dahoam bleim kinna. Weiba! Kam gibt ma eana an kloana Finga, dann
nemmans
glei de ganze Hend. I hobs ja ollawei gsagt: Frauen soin kocha und
Kinda
kriang. Aba need de ganze Zeit umananda studiern und lauta
Scheiß lesn. Fausta (beobachtet
ihn,
hört ihm interessiert zu).
Sie sind ja ein richtiges reaktionäres kleines
Arschloch! Herr (bleibt
stehen,
zieht die Fliegerbrille herunter, so dass sie um den Hals baumelt,
stemmt die
Arme in die Hüfte, ungläubig).
Arschloch - Arschloch hod de zu mia
gsagt! (fuchtelt erbost mit erhobenem
Zeigefinger in Richtung Fausta) SIE - SIE - das ist - (sucht
nach Worten) ähm, das ist Gotteslästerung,
jawoll (lauter)
Gotteslästerung. Fausta (ungerührt).
Typisch, wer
geistig unterlegen ist, der schreit. Herr (rot
vor Zorn).
Was? Geistig unterlegen? Das ist (brüllt)
MAJESTÄTSBE- Fausta (springt
auf,
rennt zu ihm hin, hält ihm den Mund zu, herrscht ihn an).
Sind Sie
verrückt geworden? (geht zur
Tür, horcht,
geht beruhigt zum Schreibtisch zurück, setzt sich wieder,
nimmt einen
Schluck
aus der Weinflasche) Herr (besänftigt
durch ihre Berührung, verlegen). Tut
mir leid. Hier ist ja ein Miets-
ähm, Mietshaus. Ruhestörung und so. Wissen Sie, bei
uns im Himmel -. Fausta (winkt
ab). Lassen
Sie mal.
Kein Problem. (betrachtet ihn
misstrauisch) Soso, im Himmel. (zu
sich selbst, während sie den Herrn im Auge behält)
Gott ist ein
Produkt des
menschlichen Geistes. (legt die Stirn
angestrengt in Falten) Herr (hilfsbereit).
Ist Ihnen nicht
gut? Kann ich Ihnen helfen? Fausta (erstarrt,
kneift die Augen zu, fährt sich mit der Hand über die
Stirn).
Puuh,
ist mir schlecht. Ich brauche frische Luft. (geht
zum
Fenster, öffnet es, atmet tief durch) Eine
entsetzliche Nacht. Wie still es ist. Unheimlich, diese Ruhe. Es
ist, als müsste die Erde zerbersten. (horcht
nach draußen) Seltsam,
da ist ein Hämmern, ganz
leise, in der Ferne. Wo das wohl herkommt? (lauscht
angestrengt, erstaunt)
Herr (löst
sich aus
seiner Erstarrung, geht zu Fausta hin, legt ihr eine Hand auf die
Schulter,
verunsichert).
Äh, meine Liebste, Sie werden doch jetzt nicht, ähm,
ich
meine, Sie werden doch - Sie werden - Fausta (dreht
sich um,
lacht).
Ich - In diesem
Moment beginnt
draußen ein fürchterlicher Lärm. Es
kracht und schießt. Fausta rennt zum Schreibtisch, packt eine
Tasche,
stopft
Papier und ein paar Bücher hinein, läuft zum Fenster,
will
hinausklettern. Herr (packt
sie am
Handgelenk).
Hiergeblieben. Wo wollen Sie denn hin? Fausta
(in
Panik). Die
Feuerleiter. Die Feuerleiter hinunter. Herr
(entrüstet).
Na, hören Sie mal, ich tue Ihnen doch gar nichts. Fausta (entwindet
sich
seinem Griff).
Draußen wird geschossen. Ich muss weg. Herr (reißt
sie
zurück).
Jetzt machen Sie mal halblang! Das ist doch nur ein Feuerwerk. (feierlich) Hiermit beginnt das Neue
Jahrtausend. Fausta (lässt
die
Tasche fallen, murmelt).
Ach so. (geht
zum Schreibtisch, holt sich die Weinflasche, hockt sich auf die
Matratze,
trinkt und jammert). Entsetzlich. Entsetzlich. Herr (reibt
sich die
Hände, geht zum Angriff über).
Aber, meine Gnädigste, das Neue
Jahrtausend beginnt. Was ist denn daran so entsetzlich? (setzt
sich neben sie auf die Matratze) Fausta (
weinerlich).
Was? Alles.
Einfach alles ist entsetzlich. Herr (während
die
Knallereien allmählich verhallen).
Vielleicht ist Ihnen nur zu warm. (fingert an
ihrem Mantel
herum) Möchten
Sie den Mantel nicht ausziehen? Der ist ja furchtbar dick. Sie
müssen
ja
schwitzen wie ein Schwein. Ähhm, ich wollte sagen: Da
müssen Sie sich
ja unwohl
fühlen. Fausta (apathisch).
Schwein, ja, Schwein. Ich halte mich an
Rimbaud. (tragisch) Unter Schweinen
kann man nur ein Schwein sein. Herr (hört
nicht auf
sie, ist mit seinen Fummeleien beschäftigt, hat es geschafft,
Mantel
und Bluse
zu öffnen, grabscht an ihrem Busen herum).
Schwein, sehr interessant,
Schwein. Fausta (kommt
zu sich,
gibt ihm eine Ohrfeige).
Und Sie, Sie sind das allergrößte Schwein, das
herumläuft. (knöpft Bluse
und Mantel
wieder zu). Herr (reibt
sich die
Wange, weinerlich).
Aber der andere durfte auch. Fausta (zornig).
Und überhaupt:
Wie sind Sie denn in mein Zimmer gekommen? Da war abgeschlossen. - Und
- und
was wollen Sie hier eigentlich? Das ist mein Zimmer. Da haben Sie gar
nichts zu
suchen. Herr (grinsend).
Ich möchte Ihre
Seele retten. Fausta
(verdutzt).
Meine Seele retten? Herr (eifrig). Ja,
genau. Das erste und wichtigste Gebot ist: Matthäus Kapitel
22, Vers 37
- 38:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen,
deiner
ganzen Seele und deinem ganzen Denken - (drückt
sie auf die Matratze, beugt sich über sie, fährt mit
der Hand unter
ihren
Mantel, atmet geil) UND DEINEM GANZEN KÖRPER! Fausta wehrt
sich,
schlägt ihm mit dem Knie zwischen die
Beine und springt auf. Der Herr krümmt sich, stöhnt,
setzt sich aber
dann doch
auf. Fausta (wütend).
Jetzt reicht's. RR(rollend)AUS! (brüllt
und
blickt auf den Herrn, der wie ein Häufchen Elend dasitzt, muss
lachen)
Mann
o Mann, und so was will ein Gott sein. (kichert)
Hihi. Also, wenn du Gott bist, dann bin ich Mephisto. Das - Sie wird
unterbrochen
durch Lärm von draußen. Quietschende
Autoreifen, einzelne Schüsse, das Rattern von
Maschinenpistolen,
Getrampel im
Hausgang. Fausta (erstarrt
für ein paar Sekunden, packt den Herrn am Arm, zieht ihn hoch).
Komm, steh
auf! Schnell! Nichts wie weg von hier! Herr (reibt
sich mit
schmerzverzerrtem Gesicht in der Hodengegend).
AAch, was ist
denn los? Fausta (bereits
am Fenster, die Tasche in der Hand).
Frag nicht so
blöd, komm! Sonst bist du innerhalb kürzester Zeit in
deinem Himmel (stockt) - oder in
der Hölle! (klettert aus
dem Fenster, winkt ihm
nochmal) Jetzt komm schon! Beeil dich! Ich kann nicht mehr
länger
warten. (verschwindet) Ein General (tritt majestätisch ein, mit obligatorischer schwarzer Brille, sieht sich um, geht zum Fenster, schaut hinunter). Eines Tages kriegen wir dich, du Ratte. (im Befehlston) Sofort alle Straßen sperren lassen. Alle Häuser der Umgebung durchsuchen! (deutet auf den Herrn) In die Zentrale, in den Keller. Das Zimmer absuchen nach Waffenverstecken etc.! (tritt ab) |