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Das Leben von Daniil Charms

Theaterstück in Zusammenarbeit mit Svetlana Fourer
gefördert durch das Kulturamt der Stadt Köln

Arttheater Köln April/Mai 2006 (Aufführung des Monats /Kölner Rundschau)

Regie: Svetlana Fourer
Regieassistenz: Camilla Brodde
Ton und Musik: Ide Lödige
Kostüme: O & E Bekritskaja
Bühnenbild: Eugen Izmailov
Presse: Elena Beier PR Agentur
mit Jens Kipper, Halil Yavuz, Johann Wild, Kerstin Fischer und Ilwa Melchior

Der russische Dramatiker, Schriftsteller, Lebenskünstler, Performer und Mystiker Daniil Charms (1905 – 1942) war einer der ersten, der das Absurde zur Kunstform erhob – in der Literatur und auf der Bühne – lange vor Beckett und Ionesco. Als Jugendlicher erlebte Daniil Juwatschew (so sein bürgerlicher Name) die kommunistische Revolution, Bürgerkrieg, Hungersnot und schließlich die Aufbruchsstimmung der Zwanziger Jahre. Seine Heimatstadt St. Petersburg – 1924 umbenannt in Leningrad – wurde für ein paar kurze Jahre Zentrum der Avantgarde-Künste: Maler, Dichter, Kineasten experimentierten mit neuen Formen und Arbeitsweisen. Mit seinem Freund Alexander Vvedenskij und anderen Dichterkollegen gründet Charms verschiedene Künstlergruppen. Am bekanntesten wird OBERIU, die Vereinigung der realen Kunst.

Ein aufregendes Boheme-Leben mit Liebesaffären (u.a. mit der Malerin Alice Poret) und spektakulären Kunstaktionen steigern die Experimentierlust enorm. Geplant ist, in neuartigen Kunstprojekten die Grenzen von Literatur, Theater, Film und Malerei aufzuheben. Mit Unterstützung des Malers Malevic führen die Oberiuten 1928 im Haus der Presse „Die drei linken Stunden“ auf – ein Spektakel aus Gedichtlesungen, Akrobatik, Theater und Filmvorführung. Die Kritik in der Presse ist vernichtend. Der Druck der sowjetischen Kulturpolitik auf die unabhängigen experimentellen Gruppen nimmt zu. Auftritte und Veröffentlichungen werden fast unmöglich.

Mit Beginn der 30er Jahre schlägt die Repression in blanken Terror um. Die Beschuldigungen „antisowjetisch“ und „konterrevolutionär“ bedeuten für Tausende von Menschen das Todesurteil. Auch Daniil Charms und Alexander Vvedenskij kommen ins Visier des sowjetischen Geheimdienstes NKWD. 1931 werden die beiden wegen antisowjetischer Gesinnung verhaftet und für mehrere Monate in die Provinzstadt Kursk verbannt. Zurück in Leningrad lernt Charms seine große Liebe Marina Malic kennen. Aber ein normales Leben ist nicht mehr möglich. Seine finanzielle Situation ist katastrophal. Armut, Hunger und der stalinistische Terror bestimmen den Alltag. Menschen verschwinden. Schauprozesse demonstrieren die Allmacht Stalins. 1938 wird Nikolaj Zabolockij, einer seiner OBERIUTEN-Freunde, verhaftet ... Und Charms schreibt weiter. Seine Gedichte und Geschichten spiegeln den Irrsinn der Stalin-Ära. Doch schwarzer Humor als Selbstschutz vor der Absurdität des kommunistischen Massenwahns konnte dem Druck des. totalitären Regimes nicht stand halten. 1940 werden Daniil Charms und Alexander Vvedenskij verhaftet. Vvedenskij wird auf der Deportation in ein Straflager getötet. Charms stirbt 1942 in der Psychiatrie eines Leningrader Gefängnisses, während die deutschen Truppen die Stadt belagern.

Im Stück wurden u.a. Erinnerungen und Dokumenten verwendet, die bisher nur auf Russisch zugänglich waren: die Erinnerungen von Marina Malic, des OBERIUTEN Jakov Druskin, von Charms Geliebter Alice Poret, die Aufzeichnungen des Sohnes von Nikolaj Zabolozkij und die Dokumente des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zu den Verhören und Verhaftungen verschiedener Mitglieder der OBERIU. In Szene gesetzt lässt das Material „Das Leben von Daniil Charms“ als polyphones Bild erscheinen, in dem Legenden und Fakten, die Realität und das Absurde, Farce und Moderne aufeinander treffen. Es erzählt eine zeitlose Geschichte über Freiheit und Kompromisslosigkeit in der Kunst und im Leben.