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Abrissbirne und Fotografieren - eine kleine Korrspondenz der revier-gang Im Februar 2002 hat es uns von der revier-gang gereicht. Angesichts einer weiter anhaltenden Abrisswelle haben wir uns unseren Frust untereinander ausgetauscht mittels einer kleinen e-mail- Korrespondenz. Wen es interessiert, hier ist sie:
... stehe inzwischen (fast) auf dem Standpunkt: Reißt ab den Scheiß, Hauptsache ich hab ihn vorher noch fotografiert. Solche 'Relikte' wie Erin oder Hammerkopf mit Werbeagentur stoßen mir zunehmend auf, die Industrialisierung des 19. Jhds. hat auch keinerlei Rücksicht auf agrarische Restkulturen genommen, gerade das war ihr wesentlich zueigen. Das Ruhrgebiet ist keine Montanregion mehr, Dienstleistung und Smarttech wollen und sollen übernehmen. Die Zukunft des Ruhrgebiets ist ein amerikanisierter Nachkriegs- Häuserbrei mit Dienstleistungsschuhkästen durchsetzt. Das sollte man akzeptieren, Hochöfen und Fördertürme sind auf jedenfalls nicht mehr typisch für diese Region, und wirken , besonders in ihrer Nachnutzungsmelange überall wie Fremdkörper. Wenn man nicht den radikalen Mut hat diese Relikte in 'Würde' verrotten zu lassen, dann sollte man sie tatsächlich einfach abreißen, ...Tja genug polemisiert
Man will vom alten Ruhrimage weg. Egal ob dabei ein Fördergerüst von der Jahrhundertwende unter den Hammer kommt. Egal ob ein bekannter Architekt an so einem Bauwerk war. Egal ob es sich um einen architektonischen Höhepunkt aus den 20gern handelt. Hauptsache Erneuerung.Bitte mal von Euch Dreien Eure Meinung dazu.
Hallo Zusammen, Also erstmal bin ich natürlich Christians Meinung, mitnehmen was man kriegen kann der Anlass ist eh unerfreulich. Selbst wenn da die Grandprix Eurovisionsvorauscheidung abgehalten würde... eine Gelegenheit irgendwas abzulichten gibts immer. Ausserdem sind es ja keine heiligen Stätten, waren es nie und werden es nie sein. Die Tatsache, dass man sich dort mit einer Fotoausrüstung hinbegibt um Eindrücke für die nachwelt zu erhalten misst ihnen eh schon eine Bedeutung bei die sie für die ehemals in ihnen werktätigen ja nie gehabt haben. Von der Ruhrstadt halte ich im übrigen auch garnix, a. weil das Ruhrgebiet keine Stadt ist b. weil ich ohnehin gegen die vermarktungsfreundliche Gleichmacherei von Politstrategen (siehe Euro) bin und c. weil auf diese Idee meist zugereiste kommen die die inneren Strukturen des Ruhrgebiets nicht kennen und glauben weil alles gleich aussieht könnte man es dann ja auch sofort gleich machen. Die Konsequenzen dieser Tätigkeit kann man an in den 70ern eingemeindeten, und heute völlig verödeten Schlafstädten wie Wanne-Eickel oder Wattenscheid erkennen. Gerade die ältere Bevölkerung im Ruhrgebiet kann mit der gigantischen Ruhrstadteingemeindung auch nicht anfangen. Na ja, nochmal zum Industrierelikteerhalt. Ich habe in Lens/Frankreich mal zwei alte Fördertürme als Einkaufswagenreservoir auf einem gigantischen Supermarktparkplatz gesehen: Einerseits ein gelungenes Symbol für den Siegeszug der amerikanisierten Dienstleistungsgesellschaft, andererseits natürlich eine Verhöhnung der Bergarbeiterlichen Kultur, besonders auf einem von zahlreichen Grubenunglücken heimgesuchten Standort wie Lens. So, bis später mal , Uwe
Das Ruhrimage schleicht davon. Anfangs fand ich die Mail von Uwe N. provokativ, aber als ich sie mehrmals durchgelesen habe, verstand ich ihn besser. Im Ruhrgebiet hat man nie gelernt, mit der Vergangenheit zu leben. Was nicht mehr gebraucht wurde, musste entfernt werden. Wir haben kaum alte Bauten hier, alles ist mit Verkehrswegen durchsetzt. Warum nicht auch die alten Fördertürme knicken, alles was nach Montan riecht platt machen. Irgendwann vergessen wir dann, wie schlimm es damals war, wie schwer die Kumpels hier geackert hatten. Aber dann fehlt uns auch ein Stück Identität. In diesem Sinne bin ich Uwe´s Meinung: Macht es platt, aber erst nachdem ich da war zum Fotografieren... In diesem Zusammenhang würde ich auch gerne einmal Eure Meinung über Ruhrstadt erfahren. Ich habe schon einige Diskussionen hierüber im Familienkreise geführt und habe heftigen Gegenwind geerntet.
> Also Leute, bleibt mal auf dem Teppich in Sachen Ruhrstadt;-) Ich hoffe Du und Daniel habt euch nicht als Zugereiste angesprochen gefühlt!!! Ich meinte eigentlich zugereiste Planungsprofis aus Politik und Wirtschaft, die hier ihre Gigantonomischen Weltmetropole Spinnereien ausleben wollen. Und natürlich die dazugehörigen Kommunalpolitiker ,die das Provinzdasein ihrer Klein und Mittelstädte nicht akzeptieren wollen.Heraus kommen dabei kulturelle Erungenschaften von Weltruf wie das Centro. Und natürlich die dazu passenden Cityfriedhöfe von Oberhausen bis Castrop-Rauxel. Tja, da wär man wieder bei der leidigen Frage der Motivation die hinter der Schrottfotografiererei steckt. Eins steht fest, ein Stück relevante Ruhrgebietsgegenwart halten wir da nicht fest. Das war vor 20 Jahren vielleicht noch in dieser Form möglich. Es ist natürlich auch wesentlich bequemer immer wieder nostalgische Klischees aufzusuchen und abzufotografieren, als das tatsächlich archetypische dieses Lebensraumes herauszuarbeiten und dann zu dokumentieren.Wenn ich mal eben 600 km zurücklegen muss um noch eine erhaltene Kokerei abzufotografieren zu können komm ich mir eigentlich eher wie ein Antiquitätensammler vor. So gesehen würd ich mich auch eindeutig in die Kategorie Sammler und Nostalgiker einordnen. Echte 'Entdeckungen' sind das nicht die ich da tätige.> @Dan: "Im Ruhrgebiet hat man nie gelernt, mit der Vergangenheit zu
leben. Was > für Revier, jede Stadt hat damit ihre Probleme, vgl. die Debatten über > Shopping Malls in HH und Nürnberg. Ich glaube mittlerweile, das > Industriekultur in NRW relativ gesehen sogar eine recht hohe Bedeutung hat. > Also abendfüllendes Thema... vgl. auch meinen Artikel von vor 6 Jahren
auf Da bin ich Daniels Meinung, das eigentlich typische und vielleicht die wahre und einzige (wenn sich mal von den 'ehrliche Kumpels'-klischees trennen würde) Qualität des Ruhrgebiets ist seine konsequente Geschichtslosigkeit und der radikale Umgang mit Vergangenem. So gesehen wäre ein Umbau zu einer straff durchkommerzialisierten Siedlungsmasse mit dem Namen Ruhrstadt doch der richtige Weg.
HI! >Also Leute, bleibt mal auf dem Teppich in Sachen Ruhrstadt;-) Das Ruhrgebiet habe ich in den 70gern erlebt. Als reine Kindheitserinnerungen. (Siehe webmaster auf www.zwischenemscherundruhr.de) Erst in 2000 bin ich durch meinen neuen Job wieder in diese Region gekommen. Auch wenn sie praktisch vor meiner Haustüre ist. >Prunkstück sozialdemokratischer Kulturpolitik (jau!) - wo gibt es sonst Auch wenn ich irgendwann mal aus einer Unternehmerfamilie entsprungen bin, fällt es eigentlich jedem Blinden auf, das CDU Kreise häufig gegen jede Erhaltung sind und gegen die Industriekultur wettern wo sie nur können. (Kokerei Hansa) Anders bezeichnen Leute wie der Dortmunder SPD Bürgermeister die Union- Brauerei als SCHANDFLECK für die Innenstadt.Schon in einem Mail an Dan hatte ich das Revier nochmals als Mekka der Industriekultur bezeichnet. Leider ist dieses Gebiet für uns Freaks mehr und mehr abgeerntet und ich fotografiere bereits jede noch so kleine Maschinenhalle und jedes Zechenhaus. (Aber nur wenn keine Satellitenschüssel drauf ist (:-)Denkmalpflege >muss immer eine Auswahl von Objekten treffen, wo es gerechtfertigt OK! Finde ich richtig nur: 1. Wenn in Hattigen ein Stahlwerk unter Denkmalschutz gesetzt wird, um es in gleichem Atemzug abzureißen wird jeder Debatte die Grundlage entzogen. Das gleiche gilt für die Hochöfen von Fönix West und auch für Teile der angesprochenen Kokerei Hansa. 2. Wenn in Oer Erkenschwick ein Fördergerüst abgerissen werden soll, dass um die Jahrhundertwende gebaut wurde, habe ich kaum noch Verständnis für irgendeine Denkmaldiskussion. Nach Angaben von Architekt Dr. Heidemann finden sich neobarocke Elemente in der Anlage, die Ähnlichkeiten mit Teilen der Pariser Oper haben. Also gerechtfertigt??? > >Wenn das so ist, sind Fotografie, professionelle Dokumentation sowie
"oral >Also Jungs: FOTOGRAFIEREN!!! Klar Fotografieren. Wenn ich mir mal etwas Pessimismus leisten darf: Immer wieder wird von dem nicht zu gewinnenden Wettlauf gegen die Abrissbirne geredet. Und dieser Wettlauf ist für mich seit ca. einem Jahr trotz meiner gelegentlichen Wochenendtouren zu einer Horrortour geworden. Beinah TÄGLICH kommen neue Hiobsbotschaften. Der Gasometer in Eving ist einem gute Zustand, der um das vielfache besser als der Hansagasometer zu bezeichnen ist. Er steht quasi auf einer Insel zwischen Bach und Kleingärten. Das Argument für mehr Grünflächen ist klar ein Scheinargument. Die Evinger Mitte besteht fast nur noch aus Wiesen. Offensichtlich ist die letzte Restaurierung erst ein paar Jahre her. Aber nun: WEG DAMIT!Nochmal zu CB: Die Bedeutung der Industriekultur in NRW steht im krassen Gegensatz zu großangelegten Imageaktionen, von Leuten die gerne aus dem Revier ein 2tes Düsseldorf machen wollen. Für mich persönlich: Dem Konsumterror wird immer weiter Anschub gegeben. Ich brauch keine Centro und keine Kathedralen der Spassgesellschaft wie Skibahnen in Bottrop und Neuss. Orte der Kultur gehen dagegen in den Schredder. Unsere Belgientouren hingegen gefallen mir sehr gut. Hier findet man den Verfall in Würde und keine Skibahnen.So datt war es für Heute. Euer Uwenberger
Ja Jungs, jetzt lese ich die Resonanz von Nick und Uwenberger. Ähnlich der Widersprüchlichkeiten zwischen - unserer Foto - Philosophie zwischen Ästhetisierung und Dokumentation - Euphorie beim Entdecken bislang unbekannter Objekte und Resignation vor der Abrissbirne - Lob für Erhaltungsinitiativen rund um IBA und Traurigkeit über Abrisswahn - Begeisterung für (technische) Modernisierung und Enttäuschung über den Verlust von Kulturtraditionen ( Kurze Formel: Skispass und Centro versus Taubenzüchten und im Hof bolzen ) zugunsten oberflächlicher Spasskultur könnte diese Korrespondenz zum Jehova- Thread ausarten. Ich bleibe gleichwohl dabei, dass das Revier im Umgang mit seiner Industriegeschichte weder besonders gut noch besonders schlecht ist (Ausnahme IBA, aber das war Landes- und nicht Kommunalpolitik) - im Vergleich zu ähnlichen Regionen, besonders krass dabei Großbritannnien. Schaut Euch auch mal im viel gelobten Wallonien um - da ist nur weniger Geld vorhanden, um altindustrielle Objekte platt zu machen und Shopping Malls drauf zu stellen. Schaut Euch auch mal die teils aufgemotzten Siedlungen und die riesigen Supermärkte an den Autobahnauffahrten an - die Kulturlandschaften werden immer mehr verwechselbar. Dass das für *uns* zu wenig ist, bleibt unbestreitbar. Abriss Stahlwerk Hattingen: es ist immerhin ehrlicher, ein Denkmal abzureißen, als so lange zu begutachten, bis noch nicht einmal der Denkmalwert bleibt. Gegenbeispiel vor vielen Jahren der HTR- Kühlturm in Hamm. Wirklich ärgerlich ist freilich auch für mich die weitgehend provinzielle, perspektiv- und fantasielose Kommunalpolitik im Revier. Fast alle Errungenschaften der Industriekultur haben wir der Landespolitik zu verdanken, die lange Jahre einen deutlichen Schwerpunkt hier hatte vielfach gegen den Widerstand der Kommunen - wenn es nach der Stadt Duisburg gegangen wäre, gäbe es das Hochofenwerk Meiderich nicht mehr, wenn es nach Bochum gegangen wäre, auch nicht die Jahrhunderthalle usw. Unser Ärger ist mithin das Gegenstück zu unserer Leidenschaft - auch damit müssen wir leben. |
Virtuelle Foto-Galerie Industriegeschichte und Kulturlandschaft Stand: 17.08.05 © Christian Brünig Dank an |