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Autorin: Katja
Baumgarten |
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Annegret Braun
Brücken schlagen und Leid verwandeln | Teil 2 Katja Baumgarten | Annegret Braun ist Leiterin von PUA, einer in dieser Form einzigartigen "Beratungsstelle zu Pränatalen Untersuchungen und Aufklärung". Im zweiten Teil des Gesprächs berichtet die Kinderkrankenschwester und Diakonin von ihrem persönlichen Antrieb, die Beratungsstelle ins Leben zu rufen Katja Baumgarten: Sie beraten und begleiten seit acht Jahren Schwangere und ihre Partner vor, während und nach Pränataldiagnostik. Wie ist Ihr beruflicher Hintergrund? Annegret Braun:
Ich war früher Kinderkrankenschwester
auf ganz verschiedenen Stationen im Krankenhaus, dann häusliche
Kinderkrankenschwester und zwischendurch auch Lehrerin für Kinderkrankenpflege
in Zürich. Woher kommt die Triebkraft für Ihren ungewöhnlichen Einsatz? Mein Thema ist eigentlich das Leid in dieser
Welt. Vielleicht kommt es aus meinem religiösen Hintergrund, mich
mit Schicksalsschlägen auseinander zu setzen und mit den Veränderungen,
die dadurch ins Leben einbrechen. Das Leid, das kommt, kann ich nicht
ändern. Aber ich kann versuchen zu verhindern, dass noch mehr dazu
kommt. Vieles, woran wir am meisten leiden, ist nicht das Schicksal
selbst, sondern ein von Menschen zusätzlich gemachtes Leid. Schon
in meiner Zeit als Kinderkrankenpflegeschülerin habe ich begonnen,
dagegen einen "Feldzug" zu führen - ich war eine Kämpferin
und habe mich in tausend Nesseln gesetzt. Damals, 1970, gab es zum Beispiel
noch keine offene Besuchszeit - sie war nur mittwochs und sonntags von
zwei bis vier Uhr. Nach einem halben Jahr wollte ich mit der Ausbildung
wieder aufhören: Ich hielt es nicht mehr aus, nachmittags um vier
in die Zimmer zu gehen und den Eltern zu sagen: "Die Besuchszeit
ist zu Ende!" Wenn die Eltern sich verabschiedeten, erlebte ich
ein Drama bei den Kindern. Ich dachte, das ist schlimmer als ihre Blinddarmentzündung
oder ihr schwerer Tumor. Aus dieser Erfahrung kam es 1971 zu einer der
ersten Ganztagsbesuchsmöglichkeit in einem Kinderkrankenhaus, und
damals einmalig auch auf der Frühchenabteilung! 1974 gründeten
wir eine der ersten Mutter-Kind-Stationen in Deutschland. Konnten Sie Ihre Idee umsetzen? Ich bin in das Krankenhaus zurückgegangen,
in dem ich früher Kinderkrankenschwester war und habe elf Jahre
lang als Klinikseelsorgerin auf einer Frühgeborenen-Intensivstation
gearbeitet. In Stuttgart gab es damals acht verschiedene geburtshilfliche
Abteilungen und die Frauen bekamen ihre Kinder grundsätzlich außerhalb
der Kinderklinik. Wenn Kinder zur Welt kamen, die medizinische Hilfe
brauchten, wurden sie von den Müttern getrennt und in die Kinderklinik
verlegt. Sobald man in der Kinderklinik erkannt hatte, was für
eine Perspektive das Kind hatte, habe ich damals in der jeweiligen geburtshilflichen
Abteilung die dazugehörigen Mütter aufgesucht. Mein Ziel war
es, diese Brücke wieder zu schlagen, die gerade so brutal zerbrochen
war und am Anfang - in dieser wirklich krisenhaften Zeit - den Eltern
zur Seite zu stehen. Wie kamen Sie auf die Idee, die Beratungsstelle PUA zu gründen? Einmal sagte ich zu einem Humangenetiker
spaßeshalber, nachdem wir es in der Kinderklinik mit derselben
Familie zu tun hatten: "Irgendwann mache ich einmal eine Beratungsstelle
um Ihre Beratungsstelle drum herum." Ich merkte damals, dass es
eine Beratung braucht, die eine weitere Dimension hat, die normalerweise
nicht erfasst wird. Halten Sie es für besser, wenn Eltern von ihrem Recht auf Nichtwissen Gebrauch machen? Wenn man im Kreißsaal von einem schwerkranken Kind überrascht wird, dann ist man natürlich in einer Ausnahmesituation. Es ist ein Schreck und Schock für alle. Aber das ist eigentlich naturgemäßer - schon immer ist es vorgekommen, dass Kinder bei der Geburt gestorben sind. Frauen, wenn sie so ein Kind geboren haben, wachsen Kräfte zu, mit denen wir normalerweise nicht rechnen. Wenn jemand einem das vorher sagen würde, würde man verrückt, denkt man. Aber wenn man es nicht vorher weiß, geht es dann irgendwie. Ob es immer glücklich geht, kann ich nicht sagen. Aber dieses monatelange Vorher-Wissen wirft viele in eine Dauerkrise. Wenn diese Kinder auf die Welt kommen, ist es mein größter Schmerz, zu sehen, dass ihre Mütter häufig sagen "Jetzt ist es da, aber ich habe irgendwie die Beziehung und die Liebe zu dem Kind verloren, weil ich so viel Angst vor ihm hatte." Das lieben zu können, wovor man Angst hatte, das ist wie eine Quadratur des Kreises. Bereuen Eltern es nachträglich, dass sie vorbereitet waren? Ich will nicht unterschätzen, dass die Eltern, die diesen Weg gegangen sind, im Nachhinein tatsächlich sagen: "Es war gut, es zu wissen, dann bin ich bei der Geburt nicht so erschrocken." Sie haben aber völlig vergessen, dass sie monatelang einen Schrecken hatten und der war ja dann nicht geringer. Wir als Ärzte, Hebammen und Schwestern denken, es ist besser, die Eltern wissen es schon vorher - dann läuft im Kreißsaal alles gefasster ab. Wenn sie beispielsweise wissen, dass ihr Kind eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte hat, dann können sich alle drauf einrichten und es ist ruhiger nach der Geburt. Die Eltern erschrecken dann zwar schon, aber es ist nicht dieser plötzliche Schreck. Die Tränen fließen vielleicht leise, aber da gibt es keinen Aufschrei: "Ich will dieses Kind nicht" oder "Der Gynäkologe hat etwas falsch gemacht". Ich selbst hatte auch in den ersten Jahren das Gefühl, dass es leichter und damit besser sei, wenn sie es schon wissen. Für mich als Klinikseelsorgerin war es angenehmer, weil es fŸr uns alle nicht so diesen "Anfangsschock-Stress" hatte. Aber irgendwo muss die Verzweiflung ja ausgelebt worden sein - und das ist alles zu Hause bei diesen Eltern während der Schwangerschaft gelaufen. Was fehlt in der Betreuung der Eltern? Da ist fast kein Mensch, der ihnen in dieser
Zeit - wenn sie es denn schon wissen - Brücken baut, wie sie mit
diesen wechselnden Gefühlen und den vielen medizinischen Informationen
fertig werden. Das Internet könnte ich manchmal am liebsten "auf
den Mond schießen". Jemand der in Not ist, kann nicht beurteilen,
welche Inhalte seriös sind und wie sie einzuordnen sind. Oder wenn
sich die Eltern in Bibliotheken Fachbücher anschauen. Entsetzlich!
Die Krankheitsbilder sind mit allen schrecklichen Symptomen so dargestellt,
damit ein Arzt daraus lernt - nicht als Aufklärung für betroffene
Eltern. Diese Bilder müssen dann in der weiteren Schwangerschaft
wieder entschärft werden - mit anderen Bildern, Geschichten und
Erlebnissen. Ich kenne selbst zahlreiche Menschen mit ihren Lebensgeschichten,
die mit Behinderungen und Erkrankungen leben und sie bewältigen,
die heute in der Schwangerschaft diagnostiziert werden. Und ich kenne
auch Menschen, die an die Grenzen gestoßen sind, wo wir andere
Lösungen gefunden haben. Aber wenn das alles nicht im Raum steht,
sondern nur der Schreck und nur gesagt wird, wir lösen das Problem
mit einer Operation - das kann der kleinste Herzfehler sein, den man
gut operieren kann, dann bekommt das seine ganz eigene Dynamik. Das
war auch einer der Gründe, die Beratungsstelle PUA ins Leben zu
rufen. Der andere Grund ist, dass die Technik so stark zugenommen hat.
Ich habe in den vielen Jahren in der Klinik mehr als 400 Familien erlebt,
die ihre Kinder früh verloren haben. Wenn ein Kind gestorben ist,
gibt es normalerweise zwischen Ärzten und den Eltern Nachgespräche
in Bezug auf neue Schwangerschaften. Dann fallen von Gynäkologen
oder von Kinderärzten Sätze wie: "Aber bei der nächsten
Schwangerschaft, machen wir alle Untersuchungen und dann gucken wir
genauer." Als hätte man diesmal etwas versäumt und hätte,
wenn man alles getan hätte, das Kind vielleicht sogar "retten"
können. Auch für Eltern wird der Wunsch nach mehr Sicherheit
zunächst wichtig. Im ersten, dritten und vierten Teil des Gesprächs berichtet Annegret Braun über die Schattenseiten eines unkritischen Einsatzes der Pränatalen Diagnostik, ermutigt zur menschlichen und professionellen Begleitung von Eltern, die ein krankes Kind erwarten und erzählt von ihren Erfahrungen in der Sterbebegleitung kranker Neugeborener, die nicht lange leben können.
PUA
Die Autorin Fachartikel und Filme von Katja Baumgarten _________________________________________________________________________
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