Christine Grüter
(mit Antworten von Myrite Maduse):
Versuchungen einer
rezensierenden Antonia
Das Buch Miriam: V/erziehung zur Hexe
Das Buch Maria Johanna: Hexenbildung
Archetypisierende Korrespondenzen
... Dein Buch Johanna muss bei mir ordentlich im Unterbewusstsein gewühlt haben - jedenfalls träumte ich (und ich träume selten) irgendwas von der Vagina dentata. Eine Horrorvision, die bereits seit langem in mir schwelt: zurück in den Mutterleib - BIG MAMA SUCKS YOU IN ...
Irgendwie, ich kann's beim besten Willen nicht erklären, nichtmal mir selbst, hat Maria-Johanna voll eingeschlagen und bei mir noch die hinterletzte sexuelle Blockade aktiviert. Bedingt durch diverse Erfahrungen habe ich ein höchst ambivalentes Verhältnis zu Frauen, und inzestuöse Vorfälle aus der Kindheit trugen noch das ihrige dazu bei - über den gesamten Komplex ist mir inzwischen eine 10 000 Watt-Neonröhre aufgegangen, insbesondere im letzten Jahr. Seither schüttelt es mich, wenn ich in Zusammmenhang mit mir an sexuelle Aktivitäten auch nur denke (an homosexuelle, wohlgemerkt; über Heteroerfahrungen verfüge ich nicht, habe sie allerdings auch nie gesucht oder gar vermißt). Das ist die Vorgeschichte - und nun las ich das Buch Maria-Johanna, das archetypische Urängste emporschnellen ließ wie verbrannten Toast. Aber nicht nur das - völlig ungerufen tauchen Bilder/Phantasien auf wie z.B. dies: eine Frau, die allzu betont ihre männliche (oder, um in der Sprache Maria-Johannas zu bleiben, patriarchal geprägte) Seite auslebt, wird durch ihre eigene Vagina nach innen gesaugt und implodiert. Nett, nicht? Um die Wahrheit zu gestehen: am Morgen nach der Lektüre kostete es mich arge Überwindung, mich beim Waschen an den fraglichen Stellen SELBST zu berühren... Widerwillen? Angst? Ekel? So richtig fassen kann ich die Gefühle, die da beim Duschen abgingen, nicht, aber sie zwangen mich dazu, die Ursache zu ergründen. Und siehe da, Maria-Johanna hatte mir eine ganze Menge über mich selbst zu erzählen:
Ich vermute, Dein Buch wühlt in den Seelentiefen, auch, wenn's einem beim Lesen erst mal gar nicht klar wird oder vielleicht bloß unterschwellig - und genau dies könnte auch der Grund für die heftige Ablehnung derer sein, die nicht gewillt sind, in den Abgrund der (inneren) Hölle zu sehen; womöglich, sehr wahrscheinlich sogar, ist ihnen dieser Grund nichtmals ansatzweise bewußt und die Gegenargumente, die sie dann nennen, sind ziemlich vordergründig, ob es nun die ... provokanten Thesen oder sonst was sind. Was Dein Buch evoziert, ist der Archetypus der Großen Mutter, das weibliche Prinzip nicht nur in seiner nährenden, sondern auch - und gerade - in seiner zerstörerischen Form, wie es beispielsweise von der Göttin Kali, der dreigesichtigen Brigid, von Lilith und manchen anderen symbolisiert wird. Die archetypischen Seelenbilder liegen freilich tief in der Seele verborgen, davor stehen Bilder realer Frauen, der eignen Partnerin(nen), der eigenen Mutter und last not least das der eigenen Weiblichkeit. Summa summarum fordert das Buch - lassen wir die Männer einmal außen vor,da sie eigentlich nur Aufhänger der Story sind - jede Frau zur Auseinandersetzung mit sich selbst auf. Daß es diesen Effekt selbst dann hat, wenn man/frau gar nicht zu derlei aufgefordert werden mag, daß es also gewissermaßen eine Eigendynamik entwickelt, genau das spricht für hohe künstlerische Leistung. Alle Achtung.
;Dies hat Myrite zu folgender Nachfrage verleitet:
Wenn ich es aber eigentlich nicht erreichen möchte, heißt das doch
wie mit Atomwaffen spielende Kinder sein; das ist dann ja nicht Kunst, sondern
gefährlich. Und wenn mir nicht klar ist, was für ne Waffe ich da geschrieben
habe, bin ich vielleicht dumm und leichtsinnig, das zu veröffentlichen?
Und schädige Frauen und muss damit rechnen, öffentlich zersägt
zu werden? Oder muss das Buch als Vorsicht, kann Explosionen auslösen,
oder Implosionen, gekennzeichnet werden? Gegen Veränderung auslösende
Wirkung habe ich ja nix. Davor öffentlich geschlachtet zu werden schon.
Also das eine will ich hier mal klarstellen: wer dich für Maria-Johanna schlachten will, gehört selbst gehäutet und gegrillt!!! Im übrigen ist das DOCH Kunst, keineswegs ein leichtfertiges Spiel mit gefährlichen Waffen; Du hast etwas geschrieben, das archetypische Vorstellungen aufrüttelt, aber Du bist nicht dafür verantwortlich, was die LeserInnen mit den bei ihnen aktivierten Archetypen machen. Haben sie mit diesen Archetypen ein Problem,okay, dann gibt Dein Buch ihnen die CHANCE, sich einmal näher damit zu befassen, dem Problem - und folglich sich selbst - ins Gesicht zu sehen. Erkenntnis ist der allererste Schritt zur Heilung/Bewältigung des Problems. ...
... Durch das Lesen von Maria-Johanna habe ich ... einiges über mich selbst gelernt; nur VollidiotInnen kämen auf die Idee, Maria-Johanna für Malheur verantwortlich zu machen, das in ihnen selbst bzw. in ihrer eigenen Vergangenheit begründet liegt. Das wäre ungefähr so logisch wie das Verhalten von Potentaten aus der Antike, wo der Bote einer schlechten Nachricht zur Strafe für das Unglück hingerichtet wurde. Und überhaupt, was heißt hier Unglück? Maria-Johanna kann ebensogut die innere Stärke, das Selbstbewußtsein einer Frau fördern, kommt ganz darauf an, welches innere Potential angesprochen wird. Wie die Frau den Archetypus der Großen Mutter wahrnimmt, ob er positiv oder negativ besetzt ist... Und dafür bist schließlich nicht Du verantwortlich.
In den 30er Jahren komponierte ein Restaurantpianist in Budapest eine Melodie, die die Menschen auf Anhieb bezauberte, in den Bann schlug: Das Lied vom traurigen Sonntag. Es ist wunderschön, ich höre es mir hin und wieder an und habe auch das Video mit dem gleichnamigen Film. Ungeachtet seiner Schönheit hat dieses Lied jedoch in den 30/40erJahren sowohl in Europa als auch in den USA eine riesige Selbstmordwelle ausgelöst; der Komponist war verzweifelt hierüber und beging zur Zeit des Naziterrors ebenfalls Selbstmord. Zuvor hatte er unermüdlich nach der inneren Botschaft des Liedes gesucht, konnte sie aber nie benennen. Seine Freunde fanden sie heraus, allerdings erst, nachdem sie die Demütigungen der Nazis am eigenen Leib erfahren hatten: den letzten Rest Würde darf man sich nicht nehmen lassen, den letzten Kübel Jauche sollte man sich ersparen... Was auch immer - das Lied ist wirklich schön, und der Komponist ist keineswegs dafür verantwortlich, daß so viele es als Begleitmusik ihres Abgangs wählten. Außerdem, ich habe es schon so oft gehört und lebe noch. Es liegt also immer an der inneren und äußeren Situation des jeweiligen Hörers/ Lesers/ Betrachters, wie ein Kunstwerk auf ihn wirkt. Die Kunst besteht darin, daß es überhaupt wirkt.
Wer jedwede Wirkung von vorneherein ausschließen will, darf nur Bienchen
und Blümchen malen - aber sogar dann ist nicht gewährleistet, daß
sich kein sehr verzweifelter Mensch beim Anblick der Idylle das Leben nimmt,
weil er nun die vermeintliche oder tatsächliche Hölle, in der er lebt,
kaum noch erträgt. ...
... Nehme ich mir in dieser unguten Stimmung hingegen das morbideste, sarkastischte,
unheimlichste und düsterste Werk vor, das ich zu packen kriege, wandelt
sich meine Stimmung alsbald. Und warum? Weil ich mich verstanden fühle!
... kenne ich niemanden, der - oft auf hinterfotzige, subtile Weise - mehr Anpassungsdruck
ausübt als gerade Frauen. Das mag mit ihrer Sozialisation zusammenhängen,
klar. Aber das ist es nicht allein. Dieser Anpassungsdruck übt nämlich
eine nahezu kastrierende Wirkung auf alle mögliche Aktivitäten aus,
ob nun bei Kindern, anderen Frauen oder Männern. Kastration jedoch ist
exakt, was der Vagina dentata zugeschrieben wird... Könnte es also sein,
daß Frauen, denen der Archetypus der Großen Mutter in keinster Weise
bewußt ist, ihn gerade deshalb auf eher destruktive Weise ausleben? So
wie ja bekanntlich alles, was verdrängt wird, sich auf besonders unangenehme
Weise bemerkbar macht ... ... Auch dazu gibt's einen netten Film: Die Klavierspielerin.
Noch besser ist freilich das gleichnamige Buch von Elfriede Jellinek, die eine
wahrlich dämonische Mutter-Tochter-Verstrickung schildert).
Wer sich selbst ins Gefängnis sperrt (sich möglichst anpasst), gönnt anderen nicht die Freiheit (setzt sie subtil oder massiv unter Druck, hinterfragt sie gern, kritisiert, was das Zeug hält, kastriert sie also im übertragenen Sinne). Von daher wäre es ein wertvoller Beitrag Maria-Johannas zur seelischen Gesundung aller, sollte es ihr gelingen, Frauen die Nachtseite der Weiblichkeit, den Archetypus der Großen Mutter bewußt zu machen - zumindest ansatzweise. Und jene, welche nichtmals gewillt sind, einen Blick in die eigenen Abgründe, in die Welt der inneren Archetypen zu werfen, die sollen mir nichts über Frauenmagie, Göttinnen und dergleichen erzählen - denn aus ihren Mündern wäre es lediglich spinnerter, sentimentaler Kokolores. ...
Hier ein Auszug aus Myrite´s Antwort:
ich lese gerade Luisa Francias "Die Sprache der Traumzeit", ist über
Kunst und Magie. Da kommt auch das Thema Verantwortlichkeit und Beeinflussung
durch Kunst vor, allerdings auf Kunst bezogen, die Gewalt provoziert. Und ich
denke natürlich über die Wirkung nach und will alles verstecken! Wenn
es eine Wirkung hat, dieses Buch, bin ich gespannt, wie sachlich die Diskussion
dann ist und was so alles passiert. Dein Text ist ja ein richtig guter Begleittext
zur Maria-Johanna und überhaupt über das Wüten und Aufbauen der
Archetypen. Jedenfalls einfach Klasse. Zeigt ja nicht nur Widerstände sondern
auch die positiven Chancen auf.)
Warum verstecken? Erstens wirkt, was versteckt wird, sich aus dem Dunkel heraus oft besonders heimtückisch aus (... denk an die Teppiche, unter die all der Schmutz gekehrt wird, bis man vor lauter Beulen kaum noch laufen kann), zweitens wird es höchste Zeit, daß Frauen ihre Potentiale entdecken, auch die sogenannten negativen - wobei ich dieses "negativ" ohnehin fraglich finde, da wir nun einmal in einer Welt der Polarität leben und erst im Zusammenspiel bzw. in der Reibung der Gegensätze Entwicklung möglich ist. Drittens trägt selbst die Große Mutter dieses Doppelantlitz - viertens: wer Frauen ihre Würde und Größe zurückgeben will, muß ihnen auch die Möglichkeit/das Potential der Täterschaft zubilligen, denn sonst wären sie keine frei handelnden, sondern durch was auch immer unabänderlich konditionierten Wesen ohne nennenswerte Entscheidungs- & Entwicklungsfähigkeit. Das sind sie aber - allen Göttinnen sei Dank - nicht.
© Christine Grüter/Myrite Maduse