Zuerst sieht man nur die zwei riesigen Soldaten, die mit geradezu wollüstigem Lächeln Jesus die Dornenkrone auf den Kopf drücken, sodass seine Stirn gleich blutüberströmt wird. Man hat übrigens den Eindruck, die beiden Soldatengesichter seien Masken, welche die beiden Männer sich übergestülpt haben. Wie sehen wohl die Gesichter hinter der Maske aus? Ein weiterer Mann treibt seinen Spott mit Jesus: Er hat ihm einen roten Mantel über die Schultern gelegt, gibt ihm ein Rohr als Zepter in die Hand und schreit ihm ins Ohr: „Heil dir, König der Juden!“. Die hinter der Gruppe zuschauenden Soldaten haben auch ihren Spaß an der ulkigen Szene.
Erst jetzt wird man gefangen vom Anblick des Antlitzes Jesu. Es ist unergründlich tief, geheimnisvoll. Ich verstehe die Faszination Ulrich Leives über dieses Antlitz, dass er es nahezu zweihundert Mal gemalt hat. Es ist so: je länger man in dieses Antlitz schaut, desto mehr wird es zur Botschaft an jeden einzelnen von uns: Schau mich an, wie hast du's mit mir? Was bedeute ich dir? Bist du nur angewidert von diesem leidensvollen Antlitz, oder beginnt dir daraus ein Dahinterstehendes, ein Transzendentes zu raunen, das dich in deiner Seele berührt und von dem du selbst nicht weißt, warum es dich nicht mehr loslässt? Kommt da nicht inmitten dieses großsprecherischen, aufgeplusterten Menschseins der Soldaten das wahre Menschenantlitz zum Vorschein, das dich zu dir selber bringt, das dich unmissverständlich mahnt: sei wahr, folge mir!
Wem kommt da nicht die Liedstrophe Paul Gerhardts in den Sinn:
O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron,
o Haupt, sonst schön gekrönet mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber frech verhöhnet: Gegrüßet seist du mir. |
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