Für das Verständnis dieses Bildes scheint es mir sehr wichtig, dass man darauf achtet, welche Personen bekleidet und welche Personen unbekleidet sind.
Drei Herren im Vordergrund sind stattlich bekleidet. Der rechts ist geradezu vornehm ausgestattet. Er trägt eine Kopfbedeckung, hat ein Tuch um den Hals geschlungen, hat ein schönes blaues Oberkleid mit Borten und Riemen über der Brust - eine gepflegte, gut aussehende Persönlichkeit. Er hat auch gut sichtbar ein Goldstück in der Hand, das er gleich in den Opferstock wird fallen lassen. Die beiden Herren in der Mitte sind ebenfalls auffallend gekleidet, sportlich, jugendlich, mit teuren Hemden und Hosen. Der mit dem kecken gelben Hut ist sich auch seiner Wichtigkeit bewusst: er streckt die Brust vor und hebt den Kopf herausfordernd: seht her, da bin ich! Auch diese beiden haben ein reichliches Almosen in der Hand. Kleider machen Leute. Das sind erfolgreiche Männer, die sich ihrer Schuldigkeit den Armen gegenüber durchaus bewusst sind und das auch zur Schau tragen. Dass sie nur aus ihrem Überfluss ein Tröpfchen abgeben, das spielt hier keine Rolle.
Und nun die Unbekleideten! Vor allem natürlich die arme Witwe, um die sich das Gleichnis dreht. Sie kann keine Kleiderpracht vorführen, nur ihre nackte Schönheit, das heisst, ihre Aufrichtigkeit, ihre Hingabe. Jesus weiß, dass sie einen Großteil des Wenigen, das sie besitzt, aus Güte, aus Mitgefühl in den Opferstock wirft. Das ist die Haltung, die Jesus gefällt. Er selber und die Jünger, die um ihn stehen, gehören auch zu dieser Gruppe von Menschen, die nackt vor Gott stehen, sich und Gott nichts vormachen, sondern einfach sind, offen, menschlich, geschwisterlich teilend, mitteilend.
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