Von den Engeln als Boten Gottes und Helfer der Menschen
Engel, gibt's die? Für Ulrich Leive, den Bibelmaler, stellt sich diese Frage nicht. Engel werden in der Bibel erwähnt, das genügt ihm, einige haben sogar besondere Aufgaben und werden mit Namen vorgestellt, man denke an Gabriel, den Engel der Verkündigung, oder an Michael, Rafael und Uriel.
Wenn es zu dem biblischen Thema passt, dann hat Ulrich Leive keine Scheu, auch Engel darzustellen.
Ihm ist bekannt, dass der jeweilige Name von besonderer Bedeutung ist, werden durch ihn doch das Wesen und seine Wirkweise offenbar, und es gab immer Menschen, die davon überzeugt waren, dass man durch die Kenntnis eines Engelsnamens (oder gar des großen Gottesnamens) auf verschiedenste Weise das eigene Leben und das Leben anderer beeinflussen kann. So forschten Kabbalisten und alle möglichen Geheimwissenschaftler in den biblischen Texten nach verborgenen Engels- oder Gottesnamen. So soll man 72 Engelsnamen erhalten, wenn man auf Hebräisch aus dem 2. Buch Mose die Verse 19-21 des 14. Kapitels untereinander schreibt und das sich ergebende Wort mit den Bestandteilen der alten Gottesnamen EL oder JAH verbindet, wie es auch bei den Namen der Erzengel Gabri-EL, Micha-EL, Rafa-EL und Uri-EL gemacht worden ist.
Da erhub sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels her zog, und machte sich hinter sie; und die Wolkensäule machte sich auch von ihrem Angesicht, und trat hinter sie, Und kam zwischen das Heer Israels. Es war aber eine finstre Wolke, und erleuchtete die Nacht, daß sie die ganze Nacht, diese und jene, nicht zusammenkommen konnten. Da nun Mose seine Hand reckte über das Meer, ließ es der HErr hinweg fahren durch einen starken Ostwind die ganze Nacht, und machte das Meer trocken; und die Wasser teileten sich voneinander. |
Neben diesem Zweig des Geheimwissens und der einflussreichen Engellehre des Dionysius Areopagita gibt es noch weithin unbekannte andere von der biblischen Überlieferung abweichende Quellen, die Ulrich Leive benutzt hat, als er seine Engelserien malte. Hauptsächlich hat er eine Schrift ausgewertet, die er durch mich kennen gelernt hat. Sie befindet sich im Besitz eines «Vereins zum Studium alten Wissens», dessen Mitglieder sich regelmäßig in ihren Vereinsräumen in einem Burghotel im Weserbergland treffen. Die Schrift heißt Von den Engeln als Boten Gottes und Helfer der Menschen und ist in einem schwer zu entziffernden Hebräisch verfasst. Der Verfasser nennt sich Salomo von Toledo, was wohl ein Pseudonym sein dürfte; dunkle Andeutungen lassen Spekulationen zu, dass es sich um einen gelehrten Juden handelte, der konvertierte und in einem katholischen Kloster Zuflucht fand. Man denkt an die Zeit der Autodafés.
Irgendwie muss er auch in der Tradition der Templer gestanden haben, denn es gibt eine Zeichnung des Baphomet, jenes legendären Idols, das angeblich von den Templern verehrt wurde. Ulrich Leive hat sich davon zu seiner Version der Tarotkarte Nr. 15 Der Teufel inspirieren lassen.
Die Texte sind nach wissenschaftlichen Kriterien nur schwer zu bewerten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass alles nur eine Fälschung ist, hilft das nicht wirklich weiter, denn es bleiben die Fragen: Wer hat gefälscht? Wann und warum wurde gefälscht? Ulrich Leive ist das ziemlich egal. Er geht mit der gleichen Unbekümmertheit an diese Texte heran, wie er es auch mit den biblischen Texten getan hat. Er liest Merkwürdiges und Fremdes über Engel und malt danach ihre Porträts, und er teilt uns ihre nie gehörten geheimen Namen mit. Darf er das? Haben die Dargestellten ihm ihre Erlaubnis gegeben? Ulrich Leive schweigt dazu beharrlich! Es würde uns nicht wundern, wenn er insgeheim lacht!
Jeder der 72 Engel hat seine Bedeutung, seinen Aufgabenbereich, in dem er wirkt, er hat, salopp gesprochen, einen bestimmten Nutzwert für die Menschen. Ein Bild, meditativ betrachtet, erzeugt ein Kraftfeld, eine Schwingung, auf die wir uns einlassen können. Sie kann uns prägen, sie kann uns verändern, sie kann uns zum Gipfel emportragen, aber auch in einen Abgrund stürzen. Wir können Energien in uns wecken, dass wir uns fähig fühlen zu unendlicher Liebe, aber auch bereit zu maßlosem Hass, zu unbändiger Zerstörung. Welch eine Gefahr! Die scheinbar harmlosen Bilder, die Ulrich Leive uns zeigt, können uns zum Verhängnis werden, wenn wir mehr in ihnen sehen wollen als eine Reihe von Kunstwerken. Sie sind von stärkerer Wirkung als das bekannte und gefürchtete Ritual des Abramelin. Deshalb wird hier auch bewusst verschwiegen oder allenfalls angedeutet, welche Kräfte konkret von bestimmten Bildern entfesselt werden können, welche Engel für welche Aufgaben für uns nützlich sind.
Salomo von Toledo hat eine einzigartige Schrift hinterlassen, die uns anleitet, unsere Wünsche zu visualisieren, sie in unserer Phantasie als real erfüllt zu erleben, um dann ganz loszulassen, damit die vorläufige Scheinwelt zur Wirklichkeit werden kann, in Szene gesetzt durch tätige Engel, in deren Energiefeld wir durch Betrachtung der Bilder von Ulrich Leive eintauchen. Das ist kein mittelalterlicher Aberglaube, sondern, wenn man so will, eine durchaus moderne spezielle Psycho-Technik.
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