Sequenzen, Fetzen, Visionen Ulrich Leives Figurenbilder Menschenvoll die Bilder von Ulrich Leive. Auf denen von 1989 drängen sich die Menschenfiguren noch dicht und himbeerrosa angemalt. Plumpleibig, scherenschnittartig, mit spitzen Nasen und riesigen Köpfen. Sie scheinen sich zuzurufen im Gedränge, andere lösen sich im Farbdunst auf. Jeder Millimeter zwischen ihnen im Bildhintergrund ist angefüllt mit bunten Zeichen, Symbolen, Häusern, Kreuzen, Menschlein. Lebenssequenzen, Erinnerungsfetzen, Traumvisionen, die Welt scheint außer Rand und Band geraten, fast zu gewichtig, zu erdrückend für die, die sich ihren Weg dazwischen bahnen. Wanderer nennt sie der 39jährige Maler, Wanderer auf ihrer ewigen und weltweiten Fluchtbewegung. Das ist ebenso real wie metaphorisch gemeint, bedenkt den nicht enden wollenden Strom Flüchtender aus aktuellen Kriegsgebieten in allen Erdteilen genauso wie den Menschen als Suchenden - nach dem eigenen kleinen Glück, nach dem Sinn des Lebens. Leive hat sich lange Jahre vor allem biblischen Themen gewidmet. „Christus kann in jedem Menschen wiedererweckt werden“, fasste der Journalist Manfred Melles in seiner Rede Leives Ansicht in Worte. Dass die Suche nach dem - für Leive durchaus nicht nur christlich geprägten - göttlichen Funken häufig zunächst ins Leere führt, in die innere und äußere Einsamkeit, betonen die Bilder der neunziger Jahre. Die Menschen verlieren ihr lebendiges Rosa, ihre Augen, Münder und Geschlechtsmerkmale. Übrig bleiben schnell schraffierte Umrisse. Die Expressivität der Malerei macht einer fast manischen Lust an der Delikatesse unterschiedlicher Oberflächenbearbeitung Platz. Leive experimentiert mit Farbe und Strukturen, legt weiche Schleier über fruchtige Farben, setzt Kritzeleien wie Insekten darüber, wagt vertikale Blöcke. Der Dialog der Wanderer mit den Betrachtern wird feinstimmiger, nimmt sie mit auf die Wanderschaft.
Beate Nass, in: Soester Anzeiger, 5. 11. 1996
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