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Projekte Beispiel: Krankheitsbilder
Polaroids
Hoffmanns Erzählungen
Strukturfiguren
Marker auf Papier
Malerei
Acryl auf Spanplatte |
Martina Biesenbach - Malerei
und Objektkunst
Der Blick aufs Soziale, auf die
ungeschönten Realitäten in den Grenzbereichen der modernen Industriegesellschaften,
ist bei den zeitgenössischen bildenden Künstlern in Deutschland selten geworden.
Anders als manche Protagonisten der Young British Art blenden sie die harten
Fakten weitgehend aus, um einer entkontextua- lisierten l’art pour l’art
zu frönen, die sich weiterhin als gesellschaftlich Sublimes versteht.
Eine Ausnahme stellt die Arbeit von Martina Biesenbach dar;
auf der Grundlage einer langjährigen Beschäftigung im sozialarbeiterischen
Bereich spart auch ihr künstler-isches Schaffen die brisanten sozialen Fragen,
die in einer sich auflösenden Solidar- gemeinschaft virulent werden, nicht
aus. Bei einem solchen Vorgehen ist aber Distanz und Neutralität vonnöten,
eine Neigung etwa, die gesellschaftlichen Ränder pauschal zu glorifizierer,
geht Biesenbach ab. Ein erstes Resultat einer solchen objektiv verstandenen
Gestaltungsmethode war ihre Serie “Krankheitsbilder” [1997], die
sich auf die diagnostische Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen bezieht.
Sie ist ein Versuch, den jeweiligen pathologischen Mustern eine bildnerische Umsetzung
zu verleihen. Jedoch geschieht das weniger auf eine freie, künstler- isch-expressive
Art, sondern auf eine gewissermaßen organische. Basierend auf der Vorstellung,
dass verschiedene Krankheitsformen sich speziell in unterschied- lichen motorischen
Störungen niederschlagen, etwa Hyperaktivität auf der einen, stark verlangsamte
Bewegungs- abläufe auf der anderen Seite, entschied sich Biesenbach für eine
per- formativ-body-artistische Realisation. Das heißt, die Bilder sind
entstanden, indem sich Biesenbach mittels Fuß-, also Trampel- bzw. Bewegungsspuren
in die jeweilige Symptomtik “einzufühlen versuchte. Daraus
resultierten Arbeiten mit fleckigem Farbgesprenkel und hektischen roten Fußstapfen
im Falle des Paranoikers, ein düsteres, schweres und unbewegliches Bild, schwarze
Fläche auf dunkelblauem Grund, bei der schizoiden Persönlichkeitsstörung, die
durch eine starke Isolation des Kranken gekennzeichnet ist. Die
dem innewohnende Überzeugung, dass die menschliche Seelenlandschaft in viele
widerstreitende Möglichkeiten zerfällt, drückt auch eine Reihe
von Polaroid-Selbstporträts [1998] aus sowie ein Zyklus überarbeiteter
Fotografien "Hoffmanns Erzählungen" [1999]. Hier posiert die Künstlerin
mit vor Entsetzen geweiteten Glupschaugen, einer Blindbrille, wie man sie auf
der Sonnenbank verwendet, um (in ironischer Färbung) zu demonstrieren, wie
jemand im Zustand größter Verzweiflung die Würde zu behalten versucht.
Dass hier Fotos den Ausgangspunkt für eine Weiterverarbeitung liefern, ist
im Schaffen Biesenbachs kein Einzelfall: so hatte sie die Möglichkeit, den
ausgelagerten Kölner Straßenstrich einen Tag vor "Inbetriebnahme"
zu besuchen und fotografisch zu dokumentieren. Auffällig ist an dieser Serie
das betonte Understatement, der Betrachter musss schon wissen, worum es sich handelt.
Biesenbach nämlich richtet das Augenmerk mehr auf unscheinbare Details, teilweise
auch auf eine scheinbare Ästhetisierung. So zeigen die Fotos diese nichtssagenden,
nummerierten Sexcontainer in menschenleeren Fluren, Waschräume, Waldstücke,
aber nichts wirklich Verfängliches. Diese Fotos boten dann den Anlass
für eine freiere Umsetzung des Themas in eine Serie von tafelbildartigen
Assemblagen. Zentrales Motiv ist ein roter (eigentlich nutzloser) Alarmknopf,
mit dem die Sexkabinen versehen sind, der jeweils mittig ins Bild gesetzt und
vielfach variiert wird. So wird er zum Apfel, zur Gitterstruktur, zum rot zerspritzten
Schwamm (steht für einen Luftröhrenschnitt, der bei der Operation einer
älteren Prostituierten vorgenommen werden musste). Andere Arbeiten lösen
sich von diesem Leitmotiv, weisen mit einer Menge von Liebesperlen in aufgelöster
Form oder mit einem Blumenkranz auf die naiv-idealistischen Romantik-Vorstellungen
von Familie und heiler Welt hin, mittels derer die Frauen ihre tatsächliche
soziale Realität zu transzendieren suchen. Registrieren und Involvement,
zwischen diesen beiden Polen bewegt sich Biesenbachs Zugriff, analog zu einem
erfolgsversprechenden sozialen Eingreifen, das sich ebenfalls nicht auf bloße
Identifikation und Kompensation beschränken darf, werden in Biesenbachs Arbeit
die Fakten nüchtern diagnostiziert (denen man gleichwohl nie völlig
neutral gegenüber stehen kann), die künstlerischen Resultate liefern
die synthetisierende Aufhebung dieses Antagonismus. So auch die Reihe "Strukturfiguren"
[seit 1999], diese "Tagebuchzeichnungen" sind von Soziogrammen beeinflusst,
sie stellen die skripturale Wiedergabe von funktionalen Bezügen in unterschiedlichsten
Realitätsbereichen dar. Die verschiedenen Beziehungsstrukturen zwischen den
handelnden Personen in Institutionen oder sozialen Gruppen werden so auf ihre
jeweiligen Positionen und Verknüpfungen hin analysiert. Das erlaubt Aussagen
über das Wesens von Strukturen und ihre Funktionsfähigkeit. Im Gegensatz
zu pädagogischen Diagrammen nehmen diese Notate bei Biesenbach figürlichen
Charakter an: ein hektisches Geflecht von Pfeilzuweisungen wird so zur manischen
"Durchstreichung" einer institutionellen Struktur, die so nicht lebensfähig
ist. Auch diese Zeichnungen bilden den Grundbestand für eine größere
bildnerische Ausarbeitung: "Die Amen" von 2000. Hier werden Schriftspuren
auf eine rauhe Textur appliziert, die Strukturdiagramme werden zunehmend entsemantisiert,
werden zum reinen Bild. So nämlich bietet die künstlerische Synthetisierung
zwischen Analyse und Sympathetik - das dürfte klar sein - nicht zuletzt auch
der Künstlerin selbst einen Weg des persönlichen Verarbeitens angesichts
des steigenden Drucks im Sozialgefüge. Enno Stahl 2003 |