Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 6/2002

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wien - 26. ICM-Kongress

"midwives and women together for the family of the world"

 

"Es geht so viel Kraft von Ihnen aus!"

Katja Baumgarten hat vielerlei Eindrücke auf dem 26. Internationalen Hebammenkongress in Wien gesammelt. Aus dem reichhaltigen, teilweise überflutenden, Angebot, berichtet sie über die High-Lights, High-Tech-Produkte und die kleinen Dinge am Rande, die mit Low-Tech auch Wesentliches bewirken können

Fünf Tage lang, vom Sonntag dem 14. bis zum Donnerstag dem 18. April 2002 wurde Österreichs Metropole zum weltweit sichersten Ort. Auch für den Fall einer plötzlichen Sturzgeburt unterwegs war er hochkompetent versorgt: Die Stadt war förmlich überflutet von den über 2.200 Hebammen aus allen fünf Kontinenten der Erde - allenthalben leicht zu erkennen an den hellblauen Umhängetaschen, mit denen die Teilnehmerinnen des 26. Internationalen Hebammen Kongresses zur Begrüßung ausgestattet wurden.

Leider gab es neben der umfassenden Wiener Gastfreundschaft auch einen höchst unerfreulichen Zwischenfall: Einige afrikanische Kolleginnen, die mit ihren prächtigen landestypischen Gewändern immer wieder für Bewunderung sorgten, wurden gleich am ersten Abend in der U-Bahn aggressiv mit rassistischen Parolen verbal angegriffen, was der euphorischen Freude zum Auftakt der farbenfrohen internationalen Zusammenkunft der Geburtshilfe-Expertinnen aus der ganzen Welt einen empfindlichen Dämpfer aus der Alltagswirklichkeit verlieh.

Geradezu ein Gefühl der Ergriffenheit hatte bei den Eröffnungsfeierlichkeiten aufkommen können. Zu dieser großen Versammlung „Weiser Frauen“ aus 79 Nationen waren viele in ihren landestypischen Trachten erschienen: Die große Vielfalt der hochmotivierten gebildeten und selbstbewussten Frauen aus allen Teilen der Erde war überwältigend, die allesamt jede für sich mit unterschiedlichen Schwierigkeiten und Herausforderungen in ihren Heimatländern ihr Bestes geben, den Müttern und Kindern in der Zeit der Geburt beizustehen und sie zu beschützen. Und gleichzeitig daran arbeiten, den Berufsstand der Hebammen zu stärken und die Qualität der geburtshilflichen Arbeit zu verbessern.


Lehrerinnen des Lebens

„Ich bin wirklich begeistert von der Stimmung hier“, begrüßte Frau Dr. Margot Klestil-Löffler, Österreichs First Lady und Schirmherrin des Kongresses die Hebammen aus aller Welt im großen Saal des „Austria Center Vienna“, das trotz seiner insgesamt eher unwirtlichen Architektur, für die folgenden Tage mit blühendem Leben gefüllt wurde: „Es geht so viel Kraft von Ihnen aus!“ Sie bestärkte die Hebammen in ihrem Beitrag zur interventionsarmen Geburtshilfe, indem „der Mensch dem Menschen Heilmittel ist und sein sollte“. Noch immer fühlten sich zahlreiche Frauen in der Zeit der Schwangerschaft und der Geburt allein gelassen und ausgestoßen, eine Zeit, in der sie oft keine Vertrauten um sich hätten. Die Hebamme könne den Müttern und ihren Kindern die engste Freundin sein, die entscheidend dazu beitrage, die Säuglingssterblichkeit zu senken die in Österreich bei 4,9 Promille liegt, weltweit dagegen bei 52,6 Promille „Nicht Technik fehlt, sondern das Wissen, wie Leben auch unter schwierigen Umständen erhalten werden kann. Hebammen, die in allen Teilen der Welt mit Vorurteilen und geburtswidrigen Praktiken konfrontiert sind, sind die Lehrerinnen des Lebens“. „Nicht Ärzte sind in erster Linie für die Geburt zuständig, sondern die Hebammen!“ schloss Frau Dr. Klestil-Löffler und scherzhaft fragte sie: „Was machen all die Frauen und Kinder, wenn Sie jetzt alle hier in Wien sind?“


„Save the children award“

Drei Preise wurden an Hebammen verliehen, die in ihrem Land unter schwierigen Bedingungen erfolgreich grundlegende Verbesserungen eingeführt hatten. So ging beispielsweise der mit 4.000 Euro dotierte Preis „Save the Children award“ an Rosemary Nyirenda aus Malawi und an Virgina Mutemari aus Zimbabwe. Sie hatten unter anderem beide die Känguruh-Methode in ihrer Region eingeführt. Dadurch konnte zahlreichen Neugeborenen das Leben gerettet werden. Der ebenfalls mit 4.000 Euro dotierte „Marie Goubran Preis“, benannt nach der 1990 verstorbenen ehemaligen geschäftsführenden Sekretärin des ICM, wurde von ihrem Sohn Alex Goubran an Marie Janneh aus Gambia und an Cecilia Anna Asare aus Ghana überreicht. Ziel des Preises ist es beizutragen, in Ländern mit besonderer Hilfsbedürftigkeit und begrenzten finanziellen Mitteln, die Ausbildung und Praxis von Hebammen zu fördern. Schließlich wurde noch der „Preis der Columbia Universität für Hebammen und ihre Verbände“ den Gewinnerinnen Phan Thi Hanh aus Vietnam, Martha Bokosi aus Malawi und Venus Mark aus Trinidad & Tobago verliehen. Dieser Preis ist mit 5.000 Dollar dotiert und soll nicht nur die Bemühungen einer Hebamme zur Senkung der maternalen und neonatalen Mortalität und Morbidität würdigen sondern dient gleichzeitig auch der Stärkung ihres Hebammenverbandes.


Überflutendes Angebot

Das erforderliche Organisationsvermögen der größenteils ehrenamtlich tätigen Kolleginnen des österreichischen Hebammenverbandes unter der Leitung der ICM-Präsidentin Maria Spernbauer sprengte fast die Grenzen des Möglichen: Aus 800 eingereichten Abstracts hatte das von Margaritha Kindl angeführte wissenschaftlichen Komitee 580 Veranstaltungen zusammengestellt: zumeist Vorträge und Workshops, aber auch Posterpräsentationen und Filmvorführungen. Schwerpunktthemen waren Aus- und Weiterbildung, Kompetenzen und Standards, Hebammenarbeit und soziale und politische Verhältnisse, Frauengesundheit, Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit. Auch aktuelle Themen wie Infektionen, Zunahme operativer Interventionen, Pränataldiagnostik, Gentechnologie wurden behandelt.

Bei dieser reichhaltigen, teilweise unüberschaubaren Fülle war es an der Besucherin, zielstrebig und diszipliniert die Spreu vom Weizen zu trennen, wobei ein fortwährendes Gefühl der Atemlosigkeit und Ohnmacht aufkommen konnte, bei dem Versuch, dem interessanten Angebot gerecht werden zu wollen. Ein übersichtlicherer Katalog und vor allem eine straffere Vorauswahl wären sicherlich hilfreich gewesen - letztes hätte vermutlich auch dazu beigetragen, die Kosten zu senken.

Die Teilnahmegebühren werden mit 440 Euro zusätzlich zu den Kosten für Reise und Unterkunft für viele Kolleginnen jenseits der Schmerzgrenze gelegen haben, gerade auch für die freiberuflichen Hebammen, die zusätzlich noch ihren Verdienstausfall zu überbrücken hatten. Für die Hebammenschülerinnen aus dem europäischen „Einzugsgebiet“ von Wien, war die Teilnahme offensichtlich nur in den seltensten Fällen erschwinglich: Dass Schülerinnen beim nächsten Kongress mehr als diesmal 20 Prozent Ermäßigung erhalten, versprach Petra Ten Hoope vom ICM. So wird man künftig hoffentlich mehr junge Gesichter sehen und damit dem Berufsstand mit einem fachlich so grundlegend gestärkten Nachwuchs einen großen Gefallen tun.


ICM - International Council of Midwives

Der 1919 in Antwerpen gegründete ICM (International Council of Midwives), inzwischen mit Sitz in Den Haag, ist Veranstalter des Internationalen Hebammenkongresses, der alle 3 Jahre in einem anderen Land stattfindet. Die erste internationale Hebammenzusammenkunft soll es bereits 1900 in Berlin mit beachtlichen 1 000 Teilnehmerinnen gegeben haben. Die Vereinigung von 83 nationalen Hebammenorganisationen aus 70 Ländern, wozu kürzlich die Hebammenverbände aus Mali, Barbados, Trinidad, Tobago, Kroatien und der Kanadische Verband der Hebammen als neue Mitglieder beigetreten sind, war mit 50 dieser nationalen Hebammenorganisationen in Wien angetreten. Insgesamt waren Hebammen aus 79 Ländern gekommen, also auch aus Staaten, die nicht im ICM vertreten sind. Der ICM, der mit seiner Arbeit die nationalen Hebammenorganisationen stärken möchte, fordert als Voraussetzungen für den Beitritt die professionelle und finanzielle Unabhängigkeit des jeweiligen Hebammenverbandes.


Sectio-Rate senken

Ein neues Positionspapier wurde bei Gelegenheit dieses Kongresses verabschiedet: „Die Hebammen des ICM-Council unterstützen die Förderung der vaginalen Geburt im Gegensatz zum Kaiserschnitt. Der ICM bedauert den Einsatz des Kaiserschnitts für Frauen, wenn nicht gewisse auf wissenschaftlichen Nachweisen basierende klinische Kriterien erfüllt werden.“ Untermauert wurde diese Forderung durch einige Vorträge, die sich mit dieser Thematik kritisch auseinander setzten.

Kornelia Müller aus Österreich gab beispielsweise in ihrem Vortrag „Schwangerschaft und Geburt im neuen Jahrtausend“ zu bedenken, dass der psychologische Zusammenhang, als Folge von Angst vollständige Kontrolle ausüben zu wollen, in Mexico-City bereits zu einer Sectio-Rate von 60 Prozent geführt hat. Auch in Österreich kämen manche Sanatorien mit 38 Prozent Sectiones dieser Entwicklung bereits bedenklich näher. Unverständlich sei, dass weltweit die reichsten Frauen mit der besten Ernährung die kompliziertesten und teuersten Geburten hätten.

Auch Prof. Beate Schücking, Ärztin aus Deutschland, ging in ihren Ausführungen über „Die Auswirkung der Geburt auf die Gesundheit der Frau“ einem der vier morgendlichen Hauptvorträge, auch auf die hohen Interventionsraten am Beispiel ihrer Auswertungen niedersächsischer Zahlen ein. Auf 21,4 Prozent sei die Sectio-Frequenz dort mittlerweile angestiegen - davon würden jeweils 50 Prozent als Notfall-Sectio und die andere Hälfte als geplante Sectio durchgeführt. Anfang der 90er Jahre war sogar zwischenzeitlich ein Rückgang der Sectio-Frequenz zu beobachten, mittlerweile sei es jedoch wieder zu einem deutlichen Anstieg gekommen. „Die medizinischen Vorteile der hohen Interventionsrate ist nicht belegt!“ kritisiert Schücking: „Hingegen weiß man, dass die primäre Sectio zu einem Anstieg der kindlichen Morbidität führt.“ „Die Diskussion wird mehr emotional als evidenzbasiert geführt“, klagte Schücking und forderte eine Ausweitung der Forschung hinsichtlich der„langfristigen Wirkung auf die Frauen, denen zur Geburt der Bauch aufgeschnitten wird“.

Nur noch 72,8 Prozent spontane Einlingsgeburten seien zu verzeichnen, die keinesfalls arm an Interventionen seien. 19 Prozent der Geburten fänden in PDA statt. Obwohl bekannt sei, dass eingeleitete Erstgeburten ein fünffach höheres Sectio-Risiko aufweisen, würde diese Maßnahme bei 18 Prozent der Geburten durchgeführt. Umfangreiche Studien würden belegen, dass die hierzulande bei 50 Prozent aller Geburten durchgeführte Episiotomie, die weltweit am häufigsten durchgeführte Operation, keine Vorteile bringe. Sie erwähnte einen Vortrag, wonach es karibische Hebammen gäbe, die diese Verletzung nie gesehen hätten.

Die von der WHO empfohlenen Maximalwerte liegen bei 10 - 20 Prozent. Nur die außerklinische Geburtshilfe in Deutschland erreiche mit 4 - 19 Prozent diese Empfehlung, die Hausgeburtshilfe kommt sogar mit nur fünf Prozent Episiotomien aus.

Zur hohen medizinische Überversorgung brachte Prof. Schücking das plastische Beispiel, dies sei, als würde man wie für eine Himalayabesteigung ausgerüstet sein und dabei allenfalls über eine Almwiese laufen wollen.


Indien – quo vadis?

Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, aus der angebotenen Fülle angemessen berichten zu wollen. Am beeindruckendsten waren für mich die Vorträge, die sich mit der Situation in den armen und ärmsten Ländern befassten. „Hut ab“ vor den vielen Kolleginnen, die sich tagtäglich unter problematischsten Bedingungen bemühen, hochwertige Geburtshilfe zu leisten. Einige ihrer Ausführungen werde ich hier ansatzweise wiedergeben.

Als einzige Vertreterin der 300.000 indischen Hebammen, hielt Dr. M. Prakasamma, Leiterin der „Academy for Nursing Studies“ in Hyamabad, den großen Eröffnungsvortrag mit dem Thema „Geschlecht, Macht und Politik“. Mit einer Milliarde Einwohnern habe Indien die allergrößten Probleme in der geburtshilflichen Versorgung. Die zierliche, kämpferische Frau, hielt einen tief bewegenden Vortrag, in dem sie den Tod unzähliger indischer Frauen aufgrund von sozialen Ungerechtigkeiten anprangerte. Eine der Ursachen dafür sei das Kastensystem. Die „Dai“, wie die traditionelle Geburtshelferin (TBA) in Indien genannt wird, wurde immer schon geliebt. Sie verbrachte viel Zeit mit der werdenden Mutter, begleitete sie umfassend in der Zeit ihrer Schwangerschaft und Geburt. Sie lebte in der dörflichen Gemeinschaft. Die „Dai“ gehörte einer geringen Kaste an: Ohne offizielle Ausbildung, wurde das Wissen von der Hilfe bei Geburten früher direkt von der Schwiegermutter an die Schwiegertochter weitergegeben. Mittlerweile jedoch sterben die Dais aus. Da sie machtlos sind, bekommen sie weiterhin keine systematische Ausbildung. Bisher habe sie mit einer ANM (auxiliary nurse midwife) gearbeitet, einer Hilfskrankenschwester, die gleichzeitig Hebamme ist und in der Zeit der Britischen Herrschaft die frühere Autonomie der Dais abgelöst hatte. Auch sie lebte im Dorf mit den Frauen, die Dai stand ihr zur Seite. Nach den 80er Jahren wurden diese ANM zu „Mädchen für alles“ mit der Bezeichnung „multipurpose health workers“. Ihre Ausbildungszeit wurde von 24 auf 18 Monate gesenkt und Ärzte übernehmen ihre Aufgaben. Die Dais, die in den 60er/70er Jahren in den Dörfern unter Leitung von ANM`s Geburten leiteten, erhalten jetzt gar keine Ausbildung mehr, da die ANM`s nur noch in Gesundheitszentren arbeiten. Die Dais brauchen nun neue Partner für ihre Tätigkeit im Dorf und finden diese Unterstützung bei männlichen Heilpraktikern, die von Geburtshilfe nichts verstehen. „Jetzt ist die Situation schlimmer als vor 50 Jahren, als die Engländer das Land verließen. Indien hat bei der Entwicklung seines Gesundheitssystems eine Chance gehabt, aber alle Schritte in die falsche Richtung gemacht: Immer zurück!“ „Ein großes Land wie meines, braucht Unterstützung durch ein weltweites Netz von Hebammen.“, schloss Dr. Prakasamma ihren nachdenklich stimmenden Vortrag.


600.000 Mütter sterben jedes Jahr

Auch der Vortragskomplex „Einsatz von Hebammen in Katastrophengebieten“ über einen ganzen Nachmittag lang war besonders beeindruckend. Low Tech, das heißt einfache Technologien, die jederzeit einsetzbar sein können, sind notwendig, gerade wenn kaum Ressourcen zur Verfügung stehen. Judith O‘ Heir aus Australien hielt einen der Vorträge zum Thema - „Wenig Technik, große Wirkung: die Versorgung von Frauen im Katastrophenfall“. Sie ist eine der Initiatorinnen der „Initiative sichere Mutterschaft“, die sich 1987 in Nairobi, in Kenia zum Ziel gesetzt hatte, die Müttersterblichkeit in Ländern mit hoher Sterblichkeitsrate bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Noch immer sterben weltweit mehr als 600.000 Mütter im Jahr, 99 Prozent davon in den armen Ländern und in Krisengebieten. 1997 wurde dies in Kolumbien untersucht, mit der Erkenntnis, dass die Mehrzahl der Frauen mit der richtigen Behandlung gerettet werden könnte. Beispielsweise wären die meisten Todesfälle in den Flüchtlingslagern in Pakistan und Afghanistan verhinderbar gewesen: So beschrieb die Australierin die Verhältnisse in einem Lager in Afghanistan, wo das Transportmittel für Gebärende auf dem Weg zur Not-Sectio ein Esel gewesen sei, der einen Wagen mit einer Matratze zog.

„Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in konfliktreichen Gebieten,“ berichtete Frau Al Gasseer, die gegenwärtig für die WHO in Genf tätig ist. Sie hat im Sudan und auch im Westjordanland gearbeitet: „Gerade Mütter und Babys sind in humanitären Notfallgebieten besonders betroffen.“ So haben beispielsweise weltweit 120 Millionen Frauen keinerlei Versorgung der Familienplanung, was die Voraussetzung für eine gesunde Mutterschaft sei.

Wichtig für die Ausarbeitung von Hilfsplänen sei eine genaue Kenntnis der Bedingungen in Katastrophengebieten. Dabei sei die sorgfältige Dokumentation von besonderer Bedeutung. Bisher würde jede Statistik anders gesammelt und erfasst - hier müsse eine Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit geschaffen werden. Es gäbe Naturkatastrophen oder Kriege die unterschiedliche Hilfsmaßnahmen erforderten. Dauer und Intensität von Katastrophen seien verschieden. Im Notfall sei Soforthilfe erforderlich, die manchmal Tage, manchmal Jahre andauern müsse. „Wir sind die häufig die letzten, die am Katastrophenort ankommen.“


Kleine Veränderungen mit großer Wirkung

Dr. Ricardo Davanzo, Kinderarzt aus Italien berichtete, dass von den 7,1 Millionen Kindern, die weltweit jährlich sterben, die Hälfte in den ersten 28 Lebenstagen stirbt. Davon sterben 2,7 Millionen bereits in den ersten 7 Tagen. Auch hier sind Katastrophengebiete wieder besonders stark betroffen. Er wies darauf hin, dass oft kleine Veränderungen eine große Wirkung hätten: So sei es in vielen Kulturen tief verwurzelt, die neugeborenen Kinder einzuwickeln. Das habe zur Folge, dass sich die Kinder nicht so viel bewegten, was zu einem schlechten Temperaturhaushalt führen könne und so zur Gefahr für das Baby werde. Das sei eine schlechte Technologie, die es aufzugeben gelte.

Demgegenüber könnte beispielsweise durch die überaus kostengünstige Känguruh-Mutter-Versorgung für Frühgeborene mit niedrigem Geburtsgewicht ein sehr positiver Effekt erzielt werden: Das Kind erfahre Liebe, Wärme und Anregung, es wachse besser und habe ein geringeres Infektionsrisiko. Die Mutter, der Vater oder auch die Großmutter könnten Probleme des Kindes besser erfassen, was das Risiko für das Baby erheblich reduziere. Man müsse aber trotz allem akzeptieren und erwarten, dass Kinder trotzdem sterben, gerade solche mit Geburtsgewicht unter 1.200 Gramm. Trotzdem sei diese Methode wesentlich besser, als gar keine Hilfe. Als interessantes Beispiel von effektiver Low-Tech erwähnte er eine neuveröffentlichte Studie, die besagt, dass bei der Reanimation die Raumluft, die es überall kostenlos gibt, dem teuren in Krisengebieten oft gar nicht vorhandene Sauerstoff im Ergebnis sogar überlegen sei.

Degefeh Haileesus schließlich, Hebamme aus Äthiopien, hielt ihren Vortrag über die Situation in Liben, einem Landstrich in Äthiopien, in dem die Einwohner vorwiegend von Landwirtschaft leben und der geburtshilflich zu den am schlechtest versorgten der Welt gehört. 148.000 der Einwohner dieses Gebietes sind Frauen, von denen jährlich 1.400 Mütter bei Geburten sterben. 90 Prozent der traditionellen Geburtsbegleiterinnen sind Analphabetinnen. Durch das Programm „Save the children“ nahmen diese TBA`s in den letzten Jahren gemeinsam an lebensrettenden Kursen teil, so dass mittlerweile immerhin 37 Prozent der Geburten von geburtshilflich ausgebildeten TBA`s betreut werden.


High-Tech und High-Lights

Neben all diesen den Horizont erweiternden Vorträgen konnte man in der informativen Fachausstellung einen Überblick über die zahlreichen neuen und altbewährten Produkte und über Vereine und Verbände aus dem geburtshilflichen Bereich gewinnen. Eine der Neuentwicklungen stach dabei besonders ins Auge: Eine gelenkige schwangere Kunststoffpuppe in Lebensgröße, als Demonstrationsobjekt für Geburtsvorgänge aller Art in allen Positionen. Die Bauchdecke der Plastikfrau wurde von dem Vertreter fachmännisch ohne viel Aufhebens geöffnet und mit einem „Ungeborenen“ bestückt, das dann vollautomatisch geboren wurde. Kostenpunkt ca. 20.000 €. Weltweit wurde bislang ein Exemplar verkauft. Auch für das kleinere Budget gab es ein Angebot: Der gebärende Unterleib war als Demonstrationsobjekt auch einzeln, ohne die gelenkige Puppe zu haben.

Der österreichische Abend soll nicht unerwähnt bleiben, von dessen Vergnüglichkeit noch am nächsten Tag berichtet wurde: vor allem fragte man sich, wie wohl die sensationelle Truppe hochschwangerer Bauchtänzerinnen so termingerecht organisiert worden waren.

Und ein Highl-Light war natürlich auch die Ausstellung “Aller Anfang” die noch bis zum 6. Oktober im Volkskundemuseum zu sehen ist (siehe DHZ 1/2002). Dort traf man am Freitag nach dem Kongress noch zahlreiche Hebammen, vertieft und mit jener Muse die in den Tagen davor nie aufkommen konnte.

Mit dem alles in allem sehr gelungenen und anregenden Kongress ging auch die Amtszeit von Maria Spernbauer zu Ende. Die herzliche Gastgeberin mit den sprühenden Charme übergab ihre schwere Amtskette bei der Abschlussfeier am Donnerstag unter tosendem Applaus an die neue ICM-Präsidentin, Caroline Weaver. Der nächste Kongress wird vom 24. bis zum 28. Juli 2005 in Brisbane, Queensland in Australien stattfinden.


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