Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 3/2003

Editorial März 2003

 

 

 

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Pränataldiagnostik - weiter leben


Karl Johann Lampe, der Junge auf dem Titelbild, hat seine lebensbedrohliche Pränatale Diagnose überlebt. Seine Mutter Caroline erlebte die Wochen bevor und nachdem sein schwerer Herzfehler und das Down-Syndrom diagnostiziert wurden als Tortur: Ihre Gynäkologin wollte ihr eine Pränatale Diagnostik verweigern – sie sei dafür zu jung, die Kasse würde die Kosten nicht tragen. Als ein Pränataldiagnostiker den ersten auffälligen Befund erhob, schien ihr, dass er den Zustand ihres Kindes bagatellisierte, um sie von einem möglichen Schwangerschaftsabbruch abzuhalten.

In der 28. Schwangerschaftswoche war die Entwicklungsstörung offensichtlich. Es hieß, dass ihr Kind „dringend einer Operation unmittelbar nach der Geburt zugeführt werden müsse“, die es allerdings nur mit Glück überleben würde. Sie zweifelte, ob das sinnvoll sei und wurde gewarnt, dass man ihr das Sorgerecht entziehen könne, falls sie der OP nicht zustimmen würde – zum Wohl des Kindes. Auch gäbe es Heime für Kinder, deren Eltern sich bei ihrer Pflege überfordert fühlten. Caroline begann einen Schwangerschaftsabbruch mit Fetozid zu erwägen, um ihrem Kind nicht nach seiner Geburt eine wahrscheinlich tödliche Operation zuzumuten. Glücklicherweise traf sie auf zwei weitere Pränataldiagnostiker, die ihr die notwendige Beratung menschlich vermittelten. Sie fasste Mut, ihr Kind zur Welt zu bringen. Eine Neonatologin unterstützte sie darin, das Kind nicht zu operieren - seine Lebensqualität sei auf diese Weise höher.

Karl wurde wider Erwarten als lebensfrisches Kind geboren. Sein Herz funktioniert besser als alle Fachleute vermutet hatten. Heute ist er 15 Monate alt. Seine Eltern wissen, dass er kein langes Leben zu erwarten hat. Umso kostbarer ist die Zeit mit ihm. Caroline Lampe würde auch im Rückblick nicht auf Pränataldiagnostik verzichten wollen: „Man kann das Rad nicht mehr zurückdrehen.“ Aber sie fordert eine offene und wertfreie Aufklärung für jede Frau, jedes Elternpaar mit allen Informationen, die sie für ihre Entscheidungsfindung brauchen.

Ich selbst sollte vor fast sechs Jahren nach einer problematischen Ultraschalldiagnose über das Weiterleben meines ungeborenen Kindes bestimmen. Die Aufforderung zu entscheiden, erlebte ich nicht als Schutz für meine Gesundheit, sondern als Distanzierung der Gesellschaft: „Wenn du den unberechenbaren Aufgaben nicht gewachsen sein wirst, die dein ungeborenes Kind dir später einmal stellen könnte, hast du selbst Schuld.“ Meine Entscheidung, nicht zu entscheiden, wuchs mit der Einsicht, dass ich auch meine anderen drei Kinder und mich „in Gefahr“ bringen würde – unser Lebensgefühl würde sich verändern, wenn die Möglichkeit, ein krankes Familienmitglied aus dem Leben auszuschließen, eine ernsthafte Option wäre.

Katja Baumgarten

 

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