Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft2/2001

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Anspruchsvoll als Hebamme und Geschäftsfrau

Katja Baumgarten stellt die Hebamme Ute Volz und den Aufbau ihrer Hebammenpraxis in Hannover vor. Sie idealisiert und beschönigt nichts, sondern beschreibt in erfrischender Offenheit die Vor- und Nachteile der Freiberuflichkeit


Aufbruch

Nach 15 Jahren Kreissaaltätigkeit stand für Ute Volz der Entschluss fest: eine eigene Praxis. Zu lange hatte sie an einen Arbeitsplatz gewirkt, der ihre menschlichen Bedürfnisse nur unzureichend zufrieden stellte. "Ich wollte einen schönen Ort schaffen, an dem sich alle Menschen wohlfühlen." Dieses Motto wurde zum Namen für die Hebammenpraxis "Valetudo" - das lateinische Wort heißt auf deutsch "Wohlbefinden".

"Den Aufenthaltsräumen für Hebammen und Krankenschwestern wird in der Krankenhausarchitektur selten Aufmerksamkeit geschenkt - häufig sind es die hässlichsten Räume, die eine gesunde Regeneration beim Arbeiten nicht zulassen," findet Ute Volz: "Ich hatte auch keine Lust mehr, meine Kurse in irgendeinem Kellerraum im Krankenhaus abzuhalten." Der Klinikalltag strapazierte sie zunehmend. "Eine Geburt pro Schicht ist ok., aber wenn dann noch eine Schwangere klingelt und schließlich sind es 3-5 Frauen, die gleichzeitig Aufmerksamkeit brauchen, das ist zuviel."

Auf eine 2-zeilige Annonce: "Suche Hinterhaus oder Werkstatt für Einrichtung einer Praxis" gab es ein einziges Angebot. Eine ehemalige Polsterwerkstatt in dem Stadtteil, in dem sie auch wohnt. "Als ich die Räume gesehen hatte, wusste ich: Das ist es!" Das war im August 1995.

Trotzdem brauchte Ute Volz jetzt erst mal viel Zeit. Umbauplanung und vor allem die Finanzierung ihres Traumes musste auf die Beine gestellt werden. Ihre 10.000 Mark Eigenkapital - ein Tropfen auf den heißen Stein! "Ich schrieb eine Konzeption, wie ich mir meine eigene Praxis vorstelle. Ich fasste meine Träume in Worte." Ihr geplanter Standort liegt günstig: Viele junge Menschen mit Kindern wohnen hier. Der Hebammenverband gab auf ihre Bitte hin eine offizielle Stellungnahme für die Bank ab, die Ute Volz als erfahrene Hebamme mit notwendiger fachlicher Kompetenz für ihr Vorhaben auswies. Inoffiziell erhielt Ute Volz den ungebetenen Ratschlag, sich doch ihre Pläne noch einmal gut zu überlegen. "Erst ab einem Einnahmenvolumen über 120.000 Mark lohne sich ein derartiger Schritt, sonst brauchte ich gar nicht erst anfangen," erinnert sich die Hebamme noch immer verärgert. Ihr wurde nahegelegt, die Räumlichkeiten innerhalb ihrer Wohnung für die Freiberuflichkeit einzusetzen. Genau das wollte Ute Volz aber nicht. Ihr ging es um einen professionellen Arbeitsplatz mit klarer Trennung von Beruf und Privatleben. Ihren Auftritt als Hebamme will sie unter keinen Umständen in der "Kuschel-Ecke" angesiedelt sehen. "Ich will raus aus diesem landläufigen Bild der Hebamme, die Tag und Nacht für Mütter, Babys und Väter kostenlos und immer freundlich zur Verfügung steht. Viele Hebammen sorgen nicht gut genug für sich selbst." Wie soll bei einem Mangel an eigener Lebenssinnlichkeit den betreuten Frauen die nötige Fülle und Lebensfreude weitergegeben werden? "Ich bin anspruchsvoll - in dem was ich bieten möchte und in dem, was ich für mich selbst suche."


Finanzierung

Der Gang von Bank zu Bank erwies sich als persönlicher Test: „Dreimal wurde mein Projekt abgelehnt: Ich wurde als Frau schlecht behandelt, mein Vorhaben wurde mir nicht zugetraut. Dann hatte ich meinen Auftritt gelernt.“ Zur 4. Bank ging sie als entschiedene professionelle Fachfrau mit einem interessanten und überzeugenden Konzept, bat um ein ebenfalls überzeugendes Angebot der Bank, das sie auch prompt zwei Tage später erhielt.

Den Hauptteil der Finanzierung deckte ein sogenanntes DTA-Darlehn bei der Deutschen Ausgleichbank ab. Jede Bank kann bei dieser bundeseigenen Kreditvergabeanstalt für ihre Kreditnehmer ein spezielles Existenzgründungsdarlehn beantragen. Diese Möglichkeit und eine EKH, eine Eigenkapitalhilfe, ebenfalls bei der Deutschen Ausgleichsbank, überbrückten ihr fehlendes Eigenkapital und machten es überhaupt erst möglich, dass sie für das umfangreiche Vorhaben Kundin bei ihrer Bank werden konnte. Die staatliche Bank übernimmt mit dieser Förderung für die Existenzgründung das finanzielle Risiko gegenüber der Hausbank. Zur weiteren Finanzierung konnte dadurch noch ein normales Hypothekendarlehn bei ihrer Bank abgeschlossen werden. Sie vermutet, dass sie die Unterstützung der Bank in erster Linie wegen ihrer persönlichen Überzeugungskraft erhielt - betriebswirtschaftlich war ihr Projekt sicher ein Wagnis.


Helle Räumlichkeiten

Sie hat gewonnen. Trotz eines Schuldenbergs von über 375.000 Mark für den sie nun verantwortlich ist, hat sie sich ihren Wunschtraum von einer guten Arbeitsatmosphäre erfüllt. Die Räumlichkeiten konnten erworben, der Umbau endlich ausgeführt werden. Ute Volz richtete ihre Praxis nach ihrem persönlichen Geschmack ein, ohne Hilfe von Innenarchitekten. Die Ausstrahlung sollte sowohl modern, kompetent und professionell, als auch warm und erholsam für alle Beteiligten sein.

In dem äußerlich eher sachlichen Flachbau fühlt man sich sofort willkommen. Außen ein kleiner gut gepflegter „Vorgarten“ mit ausreichend Platz für Kinderwagen und Fahrräder: "Ich war entschieden, eine Praxis als Eigentum zu erwerben, weil ich auf keinen Fall vom dauerhaften Wohlwollen eines Hausvermieters abhängig sein wollte und in dieser Hinsicht zu keinem Kompromiss bereit war." Die Räume sind durch die vielen großen Fenster hell und freundlich. Im Eingangsbereich trifft man zunächst auf einen erhöhter Tresen, dahinter das "Büro". Er dient als "Distanzhalter", auch zum inneren Schutz: "Nicht jeder, der in die Praxis kommt, hat die besten Absichten." Beispielsweise gibt es Vertreter oder einige Frauen gegen die man sich schlecht abgrenzen kann. "Wenn ich selbst immer in meiner Mitte wäre, bräuchte ich das nicht." Daneben findet sich eine offene Sitzgruppe für Beratungsgespräche. Mehr Intimität herrscht im abgeschlossenen Untersuchungsraum zur Schwangerenvorsorge. Gerade bei den CTG-Kontrollen ergibt sich oft ein intensives persönliches Gespräch. Ein großer, sehr heller Gruppenraum steht für Kurse zur Verfügung - gut zu heizen z.B. für Babymassage-Kurse.


Als Eigentümerin auch Mitglied im Team

Ute Volz ist als Eigentümerin "Chefin" der Praxis, aber auch Mitglied im Team der vier unabhängigen freiberuflichen Hebammen. Mittlerweile sieht sie das selbst als nicht so glückliches Konstrukt. Zwar hat sie die größte Einflussnahme auf das Erscheinungsbild und die Abläufe der Praxis, andererseits aber auch die volle Verantwortung für den monatlichen Schuldendienst von 3.500 Mark an die Bank. Manches bleibt an ihr hängen. Wann etwas für die Praxis getan werden müsste, sieht sie das als Geschäftsfrau vielleicht etwas eher und dringlicher als die anderen drei Hebammen: Die Praxis muss nach außen bestmöglich präsentiert werden, es braucht ständig neue Ideen, um die Qualität der Angebote auf Höchststandard halten und Stagnation zu vermeiden.

Die Kolleginnen sind ihre Mieterinnen mit normalen Mietverträgen bei 3-monatiger Kündigungsfrist: 650 Mark Miete inklusive Nebenkosten für die Vollzeitkollegin, der entsprechende Anteil für die beiden Teilzeitkolleginnen. Jeder Kollegin steht die Praxis für diesen Beitrag mindestens ein Tag in der Woche zur Nutzung für Vorsorge, Beratung und natürlich für ihre Kurse zur Verfügung.

Ute Volz sieht die Probleme, die der Einstieg in die Freiberuflichkeit für sie und ihre Kolleginnen mit sich gebracht hat. Alle Beteiligten mussten die neuen Anforderungen erlernen. Dazu gehörte, dass plötzlich das gewohnte regelmäßige Einkommen aus der Klinik wegfiel. Eigene Existenzängste übertrugen sich auf das Team, zB, dass angemeldete Frauen "abspringen" würden oder ein Kurs nicht voll würde. Jede Hebamme brachte für die Freiberuflichkeit ein unterschiedliches persönliches Konzept mit, das erst zusammenwachsen musste, z.T. auch uneingelöst blieb. Mit der Erfahrung kam mehr Sicherheit, in größeren Zeitabständen, in 3-6-Monats-Zyklen zu denken. Ute Volz hat sich selbst als zunächst sehr bestimmend in Erinnerung. Das hing auch mit dem großen Druck zusammen, den der Schuldenberg mit sich brachte. Alle waren nicht geübt in der neuartigen Zusammenarbeit. Das Team suchte regelmäßige Unterstützung durch einen Supervisor.


Großer Bedarf

"Valetudo" wurde sofort von den schwangeren Frauen angenommen. Begünstigend wirkte, dass gerade die Fallpauschalen für Geburten im Abrechnungsmodus der Krankenhäuser eingeführt wurden. In denselben Häusern, wo noch unmittelbar zuvor ambulante Geburten sehr schwerfällig zugelassen und zahllose medizinische Gründe angeführt wurden, warum die frisch entbundene Mutter noch einige Tage länger in der Klinik bleiben sollte, ermutigte man plötzlich die Frauen zum frühzeitigen Aufbruch nach Hause. Es gibt seitdem viel mehr sogenannte teilambulante Geburten, bei denen die Frauen schon nach zwei bis drei Tagen entlassen werden. Auch Frühentlassungen nach Sectiones sind heute häufiger geworden. Ein erweitertes Arbeitsfeld der freiberuflichen Hebammen.

25 Mütter werden im Durchschnitt pro Monat mit Vor- und Nachsorge durch die Praxis betreut, aufgeteilt auf die vier Kolleginnen. Es werden 7-10 Hausgeburten im Jahr durchgeführt. Das ist eher wenig, aber Ute Volz sieht auch die Belastungen, die ein so weit gefächertes Angebot mit der ständiger Rufbereitschaft mit sich bringt. Mit ihren 45 Jahren tut ihr die berufliche Regelmäßigkeit gut, empfindet sie die Einschränkungen der Wartezeit als belastend für das Alltags- und Privatleben. 20 - 30 Geburtsvorbereitungskurse werden pro Jahr abgehalten, hinzu kommen 20 Rückbildungskurse, 5-7 Babymassagekurse, 5 Säuglingspflegekurse, 1x wöchentlich trifft sich der Mutter-Kind-Kreis mit Säuglingen und 14-tägig die offene Gruppe für Mütter mit 6-8 Monate alten Krabbelkinder. Externen Hebammen werden die Räumlichkeiten in den nicht genutzten Zeiten ebenfalls angeboten: Für eine Pauschale von 330 Mark pro Kurs wird die Organisation der Ankündigung und Anmeldung der Frauen gleich mitübernommen.

Häufig rufen Frauen mit Stillproblemen lange nach der Geburt an, die sonst keine Hebamme erreicht haben. Solche Beratungen sind „Service“ und werden nicht abgerechnet. Durch die Bekanntheit der Praxis melden sich die Frauen immer früher an, häufig sofort, wenn sie wissen, dass sie schwanger sind. Ute Volz begrüßt die Betreuung in der Frühschwangerschaft. Je früher sie die Frauen kennen lernt, desto persönlicher kann die Bindung werden und umso mehr Fingerspitzengefühl kann sie für schwierige Fragen entwickeln. Zum Beispiel, wenn es um  familiäre Belastungen oder um Probleme im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik geht.


Selbstbestimmt

"Durch das umfassende Angebot wenden sich Schwangere eher an eine Praxis als an einzelne Hebammen," beobachtet Ute Volz. Davon profitieren alle Beteiligten. Die Arbeit in der Praxis ernährt alle vier Hebammen. Jede von ihnen arbeitet autark und hat ihre eigene Nische, die sie mit ihren speziellen Kursen abdeckt. Dadurch gibt es keine Konkurrenz. Die Schwangeren melden sich zur Vor- und Wochenbettbetreuung bei ihrer jeweiligen Kurs-Hebamme an. So bleibt Kontinuität gewahrt. Jede Kollegin handelt autonom, es gibt klare Grenzen, man redet sich gegenseitig nicht rein. Freitags treffen sich die Hebammen zum gemeinsamen Gespräch beim Frühstück über organisatorische Praxisabläufe, manchmal über besondere "Fälle".

Die Vielfalt der Arbeit in ihrer Praxis macht Ute Volz große Freude. Zum Beispiel empfindet sie auch die Büroarbeit als willkommene Abwechslung: "Mein Konzept ist aufgegangen." Trotzdem soll dies kein Arbeitsplatz für alle Ewigkeit sein. "Bei der Gründung der Praxis, habe ich an einen Zeitraum für die nächsten 10 Jahre gedacht." Ihre Lebenssituation als alleinerziehende Mutter verändert sich, ihre Tochter ist nahezu erwachsen und wird unabhängig. "Die Praxisgründung war für mich eine Herausforderung zu einer weitgehend selbstbestimmten Arbeit. Ich habe viele gute Erfahrungen gemacht, der Erfolg macht mich stolz. Aber jetzt fange ich an, langsam aus dem Beruf herauszuwachsen und suche Veränderung.", zieht die tatkräftige und ideenreiche Hebamme Bilanz: "Vielleicht mache ich noch mal etwas völlig anderes, was gar nichts mit dem Hebammenberuf zu tun hat."

www.hebammen-hannover.de: Die übersichtliche, gut gestaltete Webseite gibt Auskunft über das Angebot in der Hebammenpraxis Valetudo in Hannover-Linden. Die Webseite ist neu - die Praxis existiert seit 1996.

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