Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 9/2000

Editorial Oktober 2001

 

Im Notfall ...

Wenn betagte Kolleginnen aus ihrer langjährigen Praxis berichten, treibt mir manchmal das bloße Zuhören Schweiß auf die Stirn: Bei Komplikationen unter der Geburt, musste zunächst ein Arzt gerufen werden – ohne Telefon und Auto, wurde er oft zu Fuß geholt. Wenn er die Einweisung anordnete, konnte die Verlegung ins häufig weit entfernte Krankenhaus beginnen. Natürlich nicht mit Rettungswagen heutiger Bauart. Es gab auch Meinungsverschiedenheiten. Eine Kollegin erinnert sich, wie der gerufene Arzt ihre Einschätzung nicht teilte. Er verließ die Gebärende wieder. Die Hebamme konnte die nach ihrer Ansicht gefährliche Situation kaum aushalten. Erst beim zweiten Ruf ließ sich der Arzt überzeugen. „Auf den letzten Drücker“ wurde das Kind im Krankenhaus gerettet.Als junge Hebamme war ich erstaunt, wie wenig älteren Kolleginnen unter diesen Umständen bei Hausgeburten „passiert“ ist. Sie haben kaum je ein Kind durch plötzliche Komplikationen verloren, weil sie nicht rechtzeitig das Krankenhaus erreicht hatten. In Zeiten vor Perinatalerhebungen, als außerklinische Entbindungen als unverantwortlich abgetan wurden, haben mich ihre Berichte ermutigt und gestärkt. Ich war hellhörig, von der Art der Geburtshilfe und der Beobachtungsgabe dieser erfahrenen Kolleginnen zu lernen. Gleichwohl bin ich heilfroh, heutzutage zu arbeiten mit Rettungsdiensten und erstklassig ausgestattete Krankenhausabteilungen im Hintergrund.

Einmal musste ich den Babynotarztwagen zu einer Hausgeburt rufen. Ein Abfall der kindlichen Herztöne schien mir bedenklich, die Verlegung der Frau ins Krankenhaus zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll. Ich vergesse nie meine Erleichterung und Dankbarkeit, als das freundliche Team eintraf und sich einfühlsam, ohne Unruhe im Geburtszimmer „einrichtete“. Das Kind, das schließlich lebensfrisch geboren wurde, brauchte zum Glück keine Hilfe. Selbst voll Freude über den guten Ausgang der Geburt und ohne ein Wort darüber, dass sie nun „umsonst“ ihre Ausrüstung in die vierten Etage hochgetragen hatten, verließen uns die Helfer wieder. Mir verschafft es eine tiefe Beruhigung, für den „schlimmsten Fall“ hochkompetente Notfallspezialisten rufen zu können. Leider gibt es in Deutschland noch kein flächendeckendes Netz von Neugeborenen-Notarzt-Diensten. Gerade im ländlichen Raum lässt die Notfallversorgung manchmal zu wünschen übrig und erinnert an die Umständlichkeit, von der die Kolleginnen aus früheren Zeiten berichten.

_________________________________________________________________________