Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 9/2000

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Adoption

Vor 18 Jahren hatte ich ein unvergessliches Erlebnis mit einer Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigab. Ich war gerade 22 Jahre alt und arbeitete auf der Entbindungsstation im Kreiskrankenhaus Dachau. Diese Abteilung war damals eine der ersten geburtshilflichen Stationen, die eine sogenannte „sanfte, natürliche  Geburt“, eine familienorientierte Geburtshilfe nach Leboyer/Odent versuchten. An der Kreissaaltür klingelte eine schwangere junge Frau. Sie kam zur Entbindung in Begleitung ihrer Mutter. Wie sich bald herausstellte, wollte sie ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben und hatte sich bewußt dieses „alternative“ Krankenhaus ausgesucht. Die 18-jährige Frau war unbeabsichtigt schwanger geworden und hatte sich aus religiösen Gründen gegen eine Abtreibung, für eine Adoption entschieden. Sie erschien außergewöhnlich gut vorbereitet, kam durch ihre Atemtechnik gut mit den Wehen zurecht, mit der umsichtigen, solidarischen Unterstützung ihrer Mutter. Sie verzichtete auf Schmerzmittel unter der Geburt, weil sie befürchtete, sie könnte dem Kind damit schaden. Wie sie mir erzählte, hatte sie sich in der Schwangerschaft besonders gesund ernährt und verhalten, um dem Kind in ihrem Bauch das Beste mit auf den Weg zu geben, auch wenn sie es nicht behalten und großziehen konnte. Sie hatte eine leichte, harmonische Geburt. Nur eine Durchtrittsnarkose wünschte die Gebärende: sie wollte ihr Kind nach der Geburt nicht sehen.

Es war für mich damals ein eigentümliches, widersprüchliches Gefühl, mit ihrem neugeborenen Sohn ins Nachbarzimmer zu gehen, um ihn dort anzuziehen und dann auf die Kinderstation zu bringen. Auf unserer Entbindungsstation war es eine unbedingte Selbstverständlichkeit, daß die neugeborenen Kinder in ihren ersten Stunden im Dämmerlicht auf dem Bauch der Mutter lagen. Falls das nicht ging, begrüßte sie der Vater auf dieselbe Weise. Der vorübergehend „mutterlose“ kleine Jungen lag in meinem Arm und mußte auf diese liebevolle Zuwendung zur Begrüßung auf der Welt verzichten. Meine eigene Hilflosigkeit in dem Moment machte für mich spürbar, wie schwerwiegend der Trennungsschritt von seiner Mutter war. Gleichzeitig hatte ich den allergrößten Respekt vor der Leistung dieser jungen Frau.


Die Autorin

Katja Baumgarten ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die Deutsche Hebammen Zeitschrift tätig.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de

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