Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 7/2006

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Prof. Dr. Herrmann Welsch

Prof. Dr. Hermann Welsch: „Man mag
kaum glauben, dass immer noch Frauen
in Folge ungenügender postoperativer
Überwachung nach einem Kaiserschnitt verbluten“
Foto: Privates Archiv von Prof. Dr. Herrmann Welsch

 

Müttertodesfälle
besser aufklären!


Katja Baumgarten hat mit dem Frauenarzt Prof. Dr. Hermann Welsch über seine Erfahrungen bei landesweiten Einzelfalluntersuchungen von Müttersterbefällen in Bayern gesprochen.

Katja Baumgarten: Sie haben sich mit dem Thema Müttersterblichkeit seit vielen Jahren beschäftigt. Wie haben Sie zu diesem Thema gefunden?

Prof. Dr. Hermann Welsch: Kindern das Leben zu schenken, ist die natürlichste Sache der Welt, andernfalls würde die Menschheit aussterben. Die Tatsache, dass Frauen dafür auch in unserem Land in seltenen Einzelfällen immer noch das Risiko ihres Lebens eingehen und daran sterben können, hat mich schon während meines Medizinstudiums beschäftigt und durch mein ganzes Leben als Geburtshelfer begleitet. In den 1950er Jahren erlebte ein angehender Frauenarzt während der Weiterbildung noch häufiger Müttersterbefälle. In den 60er Jahren ergab sich aus der Literatur, dass die Müttersterblichkeit bei uns in Deutschland höher war als beispielsweise in nord- und westeuropäischen Ländern. Gesicherte Erklärungen für diese Tatsache gab es damals nicht. Als die Schwangerenberatung 1966 eingeführt wurde, habe ich in Fortbildungsvorträgen erstmals mit Daten zur Müttersterblichkeit argumentiert. Zu Beginn der 70er Jahre forderte die Gesundheitsministerkonferenz die Frauenärzte in der Bundesrepublik auf, wie in anderen europäischen Ländern auch in Deutschland auf freiwilliger Basis Einzellfalluntersuchungen bei Müttersterbefällen durchzuführen, mit dem Ziel, die vergleichsweise zu hohe Zahl der Müttertodesfälle besser aufzuklären und damit zu einer Reduktion beizutragen. Diese Untersuchungen führen wir seit 1983 in Bayern im Auftrag der Bayerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde kontinuierlich durch – anfangs gemeinsam mit Prof. Dr. Heinrich A. Krone, Bamberg, seit 2004 mit Prof. Dr. Arthur Wischnik, Augsburg.

Was ist das Besondere an Ihren Erhebungen?

Unsere Untersuchungen in Bayern sind heute - nach Einstellung der sehr exakten und gründlichen Untersuchungen zur Müttersterblichkeit in der früheren DDR – die einzigen landesweiten aussagekräftigen Einzelfalluntersuchungen zur mütterlichen Mortalität und Letalität in der Bundesrepublik. Es geht uns dabei nicht in erster Linie um Zahlen und Statistiken, sondern um eine möglichst weitgehende Abklärung der einzelnen Müttersterbefälle. Dies gelingt vielfach, weil uns auf freiwilliger Basis bei Zusicherung strengster Vertraulichkeit und eines lückenlosen Datenschutzes von den betroffenen Geburtshelfern in fast allen Fällen Krankenunterlagen, Geburtsverläufe, Operations- und gegebenenfalls Obduktionsberichte überlassen werden. Dabei geht es nicht darum, jemanden Fehler anzulasten. Ziel ist allein, durch Abklärung der einzelnen Müttersterbefälle Einblick in den Ablauf zu erhalten und zum einen aufzuzeigen, wo auch heute noch vitale Gefahren für Frauen in der Gestationsphase drohen können und zum anderen auf adäquate diagnostische und therapeutische Maßnahmen hinzuweisen.

Welche Gefahren sollten geburtshilfliche Teams besonders im Blick behalten?

Zunächst sollten die häufigsten Ursachen von Müttersterbefällen bedacht werden. Dabei benutzen wir ein 1996 von der Europäischen Gesellschaft für Perinatale Medizin angegebenes Einteilungsschema. Danach sind bei uns in Bayern – und ich kann nur für dieses Land sprechen - Embolien – und zwar sowohl venöse Thromboembolien als auch Fruchtwasserembolien – die häufigste Todesursache bei Müttersterbefällen. Eventuelle Thrombosen und Embolien in der Vorgeschichte der Schwangeren, zum Beispiel nach Pilleneinnahme oder in der Familienanamnese sind ein wichtiger, klärungsbedürftiger Hinweis, ein prägravider BMI (body mess index) von größer 30 ist ein gravierender Risikofaktor und erfordert bei gegebener Indikation eine gewichtsadaptierte Thromboseprophylaxe. Die zweithäufigste Ursache sind die Verblutungs-Todesfälle. Die Plätze 3 und 4 - das wechselt in unseren 6-Jahres Teilkollektiven immer wieder – nehmen hypertensive Erkrankungen und Genitalsepsis.ein. Dazu kommen noch einzelne Narkose Todesfälle sowie Müttersterbefälle im Zusammenhang mit Fehlgeburt, Schwangerschaftsabbruch und Extrauteringravidität.

Was ist bei Blutungen besonders zu beachten?

Besonders hinweisen möchte ich auf die postpartalen Verblutungstodesfälle aus unterschiedlichen Ursachen: Man mag kaum glauben, dass immer noch Frauen in Folge ungenügender postoperativer Überwachung nach einem Kaiserschnitt verbluten. Es sind natürlich extrem seltene Einzelfälle, aber jeder Müttersterbefall ist ein Todesfall zu viel. Die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat deshalb, gestützt auf unsere Daten aus Bayern und die Gutachtererfahrung weiterer Kollegen eine Empfehlung zur postoperativen Überwachung von Kaiserschnittpatientinnen erarbeitet, die derzeit der DGGG zur Anerkennung als S1-Leitlinie vorliegt.
Frauen werden in der Regel nach einer Sectio zur Überwachung in den Kreißsaal oder einen Nebenraum verlegt. Nicht, dass Hebammen nicht in der Lage wären, Puls und Blutdruck zu messen oder bei Nachblutungen den Arzt zu rufen. Wenn aber zusätzlich zwei oder drei Geburten gleichzeitig zu betreuen sind, kann es zu Defiziten bei der postoperativen Überwachung mit der Folge vital bedrohlicher Komplikationen kommen. Dies betrifft in erster Linie Kaiserschnitte außerhalb der Kernarbeitszeit. Es ist wichtig, dass dieses Überwachungsproblem von jeder Abteilung erkannt und daraus entsprechende Konsequenzen gezogen werden.
Es gibt immer noch einzelne Müttersterbefälle durch postpartale Atonien bei Vaginalgeburten. Bei jedem Blutverlust über 500 Milliliter muß sofort ein Facharzt gerufen werden. Erfahrungsgemäß wird die Größe des Blutverlustes leicht unterschätzt.
Jede Hebamme in der Klinik hat das Recht über einen Assistenten hinweg direkt den zuständigen Oberarzt zu rufen, wenn der Assistent ihrer Meinung nach die geburtshilfliche Situation nicht richtig einschätzt und beherrscht.

Können Sie weitere Hinweise anhand Ihrer Einzelfalluntersuchungen geben?

In den letzten zwei Jahrzehnten gab es einzelne Müttersterbefälle mit klassischem Kindsbettfieber, der A Streptokokken Sepsis. Hebammen sollten wissen, dass es postpartale Sepsis-Fälle gibt, die sich zunächst nur mit einer Tachykardie und Hypotonie manifestieren, die Frauen fühlen sich einfach schlecht, sie sind ängstlich und haben indifferente Bauchschmerzen. Ich kenne Verläufe - alle nach Spontangeburten - wo die wegen Bauchschmerzen durchgeführte Ultraschalluntersuchung unauffällig war, die Episiotomie reizlos, Fieber fehlte und die Leukozytenwerte im Normbereich lagen. Nach Gabe von Diclofenac stellte sich vorübergehend Besserung ein, später kamen Atemprobleme dazu. Niemand hatte daran gedacht, dass dies Symptome einer beginnenden Puerperalsepsis sein können. Wenn ein postpartaler Schockzustand nicht rasch durch Volumenauffüllung beseitigt werden kann, muss immer daran gedacht werden, dass dies ein Zeichen für einen frühen septischen Schocks sein kann. In allen diesbezüglichen Verdachtsfällen muß das CRP überprüft werden, bei beginnender Puerperalsepsis finden sich extrem hohe Werte. In Bayern sind zwischen 1997 und 1998 vier Wöchnerinnen nach Vaginalgeburten an A-Strektokokken Sepsis gestorben, zwei in Kliniken und zwei zu Hause unter Mitbetreuung durch Hebammen.

Ihre Zahlen zum Kaiserschnittrisiko werden häufig zitiert. Wie kommen sie zustande?

Wir führen die Einzelfalluntersuchungen von Müttersterbefällen durch. Die frühere Bayerische Perinatalerhebung, seit 1998 „Qualitätssicherung Geburtshilfe“ der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der stationären Versorgung (BAQ) erfaßt die exakte Anzahl der durchgeführten Kaiserschnitte. Nur durch Zusammenführung beider Daten ist es möglich, präzise Aussagen zur landesweiten Sectio Mortalität und Letalität in Bayern zu machen. Wir überblicken inzwischen die Jahre 1983 bis einschließlich 2005 und stützen unsere Aussagen auf über 460.000 Kaiserschnitte. Dies ist das größte Sectio Kollektiv im deutschsprachigen Raum. Nur mit Hilfe von Einzelfalluntersuchungen sind gesicherte Aussagen zum aktuellen mütterlichen Sterblichkeitsrisiko in unserem Land möglich. Perinatalerhebungen und die Qualitätssicherung Geburtshilfe sind allein dazu nicht in der Lage, weil zum einen Müttersterbefälle nach Verlegung der Wöchnerin in andere Abteilungen beziehungsweise nach Klinikentlassung nicht erfaßt werden und zum anderen, weil bei diesen Erhebungen nicht zwischen Sectio Mortalität und Letalität differenziert werden kann.

Worin liegt der Unterschied zwischen Mortalität und Letalität?

Sectio-Mortalität umfasst alle in zeitlichem Zusammenhang während oder innerhalb von 42 Tagen nach der Sectio verstorbenen Mütter, unabhängig von der Todesursache. Zur Sectio-Mortalität gehören direkte und indirekte Müttersterbefälle und nicht gestationsbedingte mütterliche Todesfälle. Die Sectio Mortalität bezieht sich auf 1.000 Kaiserschnitte und wird in Promille angegeben.
Sectio-Letalität umfasst alle in ursächlichem Zusammenhang während oder innerhalb von 42 Tagen nach der Sectio an operations- oder anaesthesiebedingten Komplikationen verstorbenen, präoperativ gesunden, risikofreien Mütter. Die Sectio Letalität umfasst nur einen Teil der direkten Müttersterbefälle. Die Sectio Letalität bezieht sich auf 1.000 Kaiserschnitte und wird in Promille angegeben. Nur die Sectio Letalität kann dem operativen Eingriff zur Last gelegt werden.
Wie bereits erwähnt, ist eine Unterscheidung zwischen Sectio Mortalität und Sectio Letalität ist nur mit Hilfe von Einzelfalluntersuchungen nach Einsicht in die Krankenunterlagen möglich. So erlaubt beispielsweise die Diagnose „Fruchtwasserembolie“ in der ärztlichen Todesbescheinigung noch keine Differenzierung bezüglich Mortalität oder Letalität. War die Indikation zur Sectio eine präoperativ manifest gewordene Fruchtwasserembolie und ist die Mutter an den Folgen der Fruchtwasserembolie verstorben, gehört dieser Todesfall zur Sectio Mortalität. Wurde die Sectio aus anderer Indikation durchgeführt und kam es intraoperativ als Komplikation des Eingriffs zu einer Fruchtwasserembolie, an deren Folgen die Frau verstarb, ist dieser Todesfall der Sectio Letalität zuzuordnen.

Wie sehen die Zahlen aus – Sectio versus vaginale Geburt?

Der Präsident der DGGG, Prof. Dr. Klaus Vetter, hat mich gebeten, beim Kongreß der Gesellschaft im September 2006 in Berlin über die aktuelle Letalität und Mortalität bei Sectio und Vaginalgeburt anhand unserer Daten bis 31.12.2005 vorzutragen. Nach Publikation unserer Ergebnisse in englisch- und deutschsprachigen Fachzeitschriften bin ich gerne bereit, falls gewünscht und daraus keine verlagstechnischen Schwierigkeiten resultieren, der DHZ die Orginalfassung oder einen Auszug unserer Resultate zur Verfügung zu stellen.
Damit können sich spätestens 2007 Hebammen auch in Deutschland objektiv über das aktuelle mütterliche Sterblichkeitsrisiko bei Sectio und Vaginalgeburten anhand der aus Bayern vorliegenden harten Daten informieren. Leider war zu dieser in Zeiten steigender Sectio Zahlen gerade im Hinblick auf Aufklärungsgespräche mit Schwangeren besonders wichtigen Frage in der DHZ 2/2005 sowohl im Editorial von Prof. Dr. Birgit Reime als auch in weiteren Aufsätzen der Autorin nicht sachlich argumentativ informiert, sondern teilweise einseitig und polemisch Stellung genommen worden.

Wie hat sich das Sectiorisiko in den vergangenen Jahren entwickelt?

In den ersten sechs Jahren unserer Erhebungen, von 1983 bis 1988, lag bei rund 82.000 Kaiserschnitten die Sectio-Mortalität bei 0,53 Promille und die Sectio Letaltät bei 0,23 Promille. Die Sectio-Letalität ist in der Folgezeit über 0,13 Promille im Zeitraum 1989 bis 1994 auf 0,04 Promille in den Jahren 1995 bis 2000 sehr stark zurückgegangen. Das bedeutet, dass zwischen 1995 und 2000 auf rund 25.000 durchgeführte Kaiserschnitte eine präoperativ gesunde Frau an Operations- oder Anästhesiekomplikationen der Sectio verstorben ist.
Zwischen 1995 und 2000 betrug die Letalität bei Vaginalgeburten 0,017 Promille, das entspricht einem Müttersterbefall einer präpartal gesunden Schwangeren auf rund 60.000 Vaginalgeburten. Aus diesen Zahlen errechnet sich für die Jahre 1995 bis 2000 ein um das 2,3 fache höheres Sterblichkeitsrisiko bei Sectio im Vergleich zur Vaginalgeburt. 1983 bis 1987 war dieses Risiko noch 7,0 fach, 1989 bis 1994 noch 5,5 fach höher gewesen.
Bei elektiver Sectio ereignete sich zwischen 1995 bis 2000 lediglich ein Sectio Letalitätsfall auf rund 60.000 primäre Kaiserschnitte. Auch wenn Einzelzahlen noch keine gesicherten Aussagen zulassen, so scheint zumindest ein Trend erkennbar, dass sich das mütterliche Sterblichkeitsrisiko bei präoperativ gesunden, risikofreien Schwangeren bei elektiver Sectio und Vaginalgeburt zunehmend annähern.
Diese Feststellung beinhaltet aber keine Stellungnahme meinerseits pro oder kontra einer immer großzügigeren Sectio Indikationsstellung bis hin zur Wunsch Sectio. Bei den genannten Daten geht es allein um eine möglichst realistische Darstellung der Sterblichkeitsrisiken unterschiedlicher Entbindungsverfahren, um nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Droht mit der Zunahme von Kaiserschnitten eine wachsende Gefährdung beispielsweise bei weiteren Schwangerschaften und Geburten?

Hebammen und Geburtshelfer denken bei der Frage nach der vermutlich größten vitalen mütterlichen Gefährdung bei Schwangerschaften im Zustand nach Kaiserschnitt in der Regel an die Uterusruptur, denn Uterusrupturen nach Sectio kennt jede Hebamme und jeder Geburtshelfer aus eigener Erfahrung. Erfreulicherweise ist in Bayern jedoch seit 1984 keine Frau mehr an einer Uterusruptur im Status nach Sectio gestorben!
Die im Hinblick auf das Leben der Frau gefährlichste mütterliche Spätkomplikation nach vorausgegangener Sectio ist die Placenta praevia, insbesondere in Kombination mit einer häufig erst intraoperativ erkannten Placenta accreta/increta. Da immer wieder Frauen an diese Komplikation verbluten, hat die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der DGGG 2006 auf unsere Anregung eine weitere Empfehlung „Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio – Risk-Management zur Vermeidung von Müttersterbefällen“ erarbeitet. Dieses Papier liegt derzeit ebenfalls der DGGG zur Anerkennung als S1 Leitlinie vor.
Jede Hebamme, die Schwangerenbetreuung durchführt, muss dafür sorgen, dass eine Hoch-Risiko-Schwangeren mit einer Placenta praevia im Zustand nach Sectio ausschließlich in Schwerpunktkliniken mit kontinuierlicher Verfügbarkeit ausreichender Blutmengen und Blutersatzmittel rund um die Uhr hospitalisiert und entbunden wird und nicht mit ihr zur Entbindung in das nächstgelegene Krankenhaus geht, auch wenn der persönliche Kontakt zwischen Hebamme und Schwangerer noch so gut ist.

Wird das Risiko beim Kaiserschnitt auf Wunsch der Frau für weitere Schwangerschaften und Geburten von vielen nicht unterschätzt?

Ich kann mir vorstellen, dass sich eine Schwangere mit geplanten Wunsch Kaiserschnitt primär keine großen Gedanken über weitere Schwangerschaften macht. Deshalb muß der Geburtshelfer beim Kaiserschnitt auf Wunsch die Schwangere über Risiken bei späteren Schwangerschaften, wie Uterusruptur und Plazentationsstörungen im Einzelnen aufzuklären. Dabei muss die Frau wissen, dass bei einer Placenta praevia bei Zustand nach Sectio im Extremfall aus Gründen der Blutstillung auch eine Gebärmutterentfernung, unabhängig vom jeweiligen Lebensalter der Frau, erforderlich werden kann.

Gibt es auch Zahlen zur außerklinischen Geburtshilfe?

Von 1983 bis 2006 ist in Bayern keine Frau bei einer ausschließlich von einer Hebamme betreuten Hausgeburt verstorben. Allerdings haben wir in Bayern sehr niedrige Zahlen an außerklinischen Geburten. Deshalb dürfen aus dieser Feststellung keine falschen Schlüsse gezogen werden.

Lässt sich die Rate der mütterlichen Todesfälle weiter senken?

Ich denke schon. Allerdings wird es eine völlig risikofreie Geburtshilfe auch in Zukunft nicht geben. Hebammen und Geburtshelfer sollten sich gemeinsam um eine weitere Senkung von Müttersterbefällen bemühen. Dabei ist die Kenntnis, warum Mütter heute noch sterben, eine nicht unwesentliche Voraussetzung.

Warum ist es so schwierig, die Erhebungen zur Müttersterblichkeit bundesweit auf einem so hohen Niveau einzuführen, wie Sie es in Bayern machen?

Dazu bedarf es einmal eines großen, zeitaufwendigen persönlichen Engagements und eines langen Durchhaltevermögens. Ferner muß der Untersucher bekannt sein und das volle Vertrauen seiner ärztlichen Kollegen/Innen im Land besitzen, denn wer gibt schon freiwillig die Krankenunterlagen von Verstorbenen so einfach heraus. Bei langjährigem kontinuierlichem Einsatz kann im Lauf der Jahre der Aufbau eines echten Netzwerks gelingen.  Ich führe ich diese Untersuchungen auch im Ruhestand zunächst weiter, weil ich mich der Geburtshilfe immer noch verbunden fühle. Allerdings steht mit Prof. Wischnik ein Nachfolger schon fest, damit nach meinem Ausscheiden diese wichtigen Einzelfalluntersuchungen bei Müttersterbefällen in Bayern nicht eingestellt werden.

Aber Ihre Kollegen aus den anderen Bundesländern sollten doch eigentlich engagierter sein – es ist doch auch fachlich sehr wichtig, dass präzise Zahlen vorliegen.

Ich sehe zumindest Möglichkeiten für eine verbesserte Auswertung von mütterlichen Sterbefällen im Rahmen der Qualitätssicherung Geburtshilfe. Ende April 2006 war ich von der Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS), Düsseldorf, zu einem Vortrag „Risikomerkmal mütterlicher Sterbefall im stationären Bereich der Geburtshilfe, Zahlen, Fakten, Nutzen.“ eingeladen. Wenn bei allen von der Qualitätssicherung Geburtshilfe erfassten mütterlichen Sterbefällen im stationären Bereich der Geburtshilfe zunächst auf Länderebene strukturierte Gespräche nach bundeseinheitlichen Gesichtspunkten durchgeführt würden, wäre eine zentrale Auswertung dieser Daten durch die BQS möglich. Damit würden pro Jahr Einzelheiten von circa 30 bis 35 weiteren Müttersterbefällen in der Bundesrepublik bekannt und dies wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Herr Prof. Dr. Welsch, vielen herzlichen Dank für dieses Gespräch!



Der Interviewte

Dr. med. Hermann Welsch, Univ. Prof. i.R., ist Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. 1969 habiliterte er zur Prophylaxe der gestationsbedingten Rhesus-Sensibilisierung. 1970 wurde er Leitender Oberarzt, 1975 apl. Professor. Sein klinischer Schwerpunkt liegt auf der Geburtshilfe. Von 1979 bis 1992 war er tätig an der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinikum der Universität München-Großhadern. Seit 1983 führt er im Auftrag der Bayerischen Gesellschaft für Geburtshilfe und Frauenheilkunde (BGGF) landesweite Einzelfalluntersuchungen bei Müttersterbefällen bei möglichst allen Müttersterbefällen in Bayern – anfangs gemeinsam mit Prof. Krone, Bamberg, seit 2004 mit Prof. Wischnik, Augsburg. Derzeit einziges landesweites Projekt zur Müttersterblichkeit in Deutschland. 2004 Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der BGGF. 2006 Einladung zum Referat „Letalität der Geburt 1983 – 2005“ (Risiken von Spontangeburt und Schnittentbindung im Spiegel weiter steigender Sektioraten) beim 56. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Berlin.


Die Autorin

Katja Baumgarten ist Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist als Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die Deutsche Hebammen Zeitschrift tätig.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de


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