Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 8/2002

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Therese Schlundt

Therese Schlund bei einem Wochenbesuch

Bild: Gisela Tuchtenhagen

 

80 Jahre...
und noch nicht im Ruhestand


Katja Baumgarten hat die betagte Kölner Hebamme Therese Schlundt besucht und dabei ihren Alltag ein Stück begleitet, der immer noch durch ihren Beruf geprägt ist. Aus den Gesprächen mit der schöpferischen, vielfältig engagierten Hebamme zeichnet sie aus Anlass dreier Jubiläen das Bild einer beindruckenden Frau nach

Auch in diesem Jahr bewirbt sich Therese Schlundt wieder um den Kölner Innovationspreis. Vor zwei Jahren kam ihre "Kölner Kommode" in die engere Auswahl und wurde in einem Katalog zwischen High-Tech-Entwicklungen präsentiert. Diesmal hat sie das Glanzstück ihrer zahlreichen Erfindungen eingereicht: den "Kölner Strampler". Wie alle von ihr entwickelten Stücke ist auch dieses aus der lebenslangen praktischen Erfahrung und Umsicht geboren, was man bei den meisten heutigen Produkten vermisst. "Ich war immer der Meinung, es den Müttern und den Kindern erleichtern zu müssen: Zeit und Nervenkraft zu sparen." So lautet die Devise der vielfachen Erfinderin. Therese Schlundt liebt keine Druckknöpfe und Reißverschlüsse an Babykleidung. Ihr lange mitwachsender "Kölner Strampler" ist absolut frei davon: ein schlauchförmiger, gestrickter Strampelsack mit breitem Bündchen oben und unten, der die üblichen Strampelhosen ersetzen soll, dabei äußerst einfach zu handhaben ist. Die Weite des Säckchens ist gerade so gewählt, dass die Windel durch die untere Öffnung leicht gewechselt werden kann. Andererseits bietet die Umhüllung dem Kind Wärme, Begrenzung und genug Beinfreiheit, dass sich beim Strampeln die nackten Füßchen gegenseitig finden können, und auch die Mutter zur Beruhigung leicht hineingreifen kann. "Das Neugeborene, das aus der Geborgenheit der Gebärmutter kommt, strampelt ängstlich, seine Welt hat keine Wände mehr" Das war einer der Leitgedanken bei dieser Entwicklung.


Im Alter noch aktiv

Die betagte Kölner Hebamme ist unermüdlich: Am 10. August 1922 geboren, wird Therese Schlundt in diesem Monat 80 Jahre alt. Zur Ruhe gesetzt hat sie sich aber noch lange nicht. Nicht nur an ihren Schöpfungen, wie beispielsweise ihrer beliebten Geburtsvorbereitungs-CD, dem "Kölner Wehensong", der "Kölner Tür", dem "Kölner Keil" und vielem mehr, arbeitet sie weiter oder sucht beharrlich nach Vertriebswegen und Produktionsstätten in ihrer Region: "Mit meinen Kölner Erfindungen will ich Menschen auch Arbeit beschaffen. Keine Schwarzarbeit, damit ist ja das Problem nicht gelöst." Sie ist auch in ihrem fortgeschrittenen Alter noch als praktizierende Hebamme tätig und stadtbekannt. Gemeinsam mit ihrer Tochter Ingrid Udelhoven, einer ausgebildeten Kinderkrankenschwester, führt sie die "Oase", ein Mutter- und Kind-Zentrum, das sie vor 20 Jahren, am 15. August 1982 als eine der aller ersten Einrichtungen dieser Art gründete - in einem Alter, wo sich wohl die Mehrzahl der Kolleginnen auf ihren wohlverdienten Ruhestand einstellen. Den scheint es bei ihr jedoch nicht zu geben: auch heute noch führt sie regelmäßig Schwangerenberatung, Geburtsvorbereitungskurse und Wochenbettbesuche, Mütterberatung und Rückbildungskurse durch - nach einem Schlaganfall vor drei Jahren, allerdings in sehr eingeschränktem Umfang. "Die Oase habe ich mir immer vorgestellt als einen Ort der Begegnung - die Leute können sich ja untereinander sehr viel helfen." Therese Schlundt verfolgte in ihrer Betreuung immer ein offenes Konzept: "Die Frauen können so früh und so oft kommen wie sie wollen, der Rekord liegt bei 35 Besuchen in einer Schwangerschaft." Die Geburtsvorbereitung findet ebenfalls in offenen Kursen statt: "Die Frauen sind da ganz frei: Wann sie ankommen und wie oft sie kommen ist ihnen überlassen." Auch die Beratung "schwieriger Fälle" scheut die rüstige Kollegin nicht: Als beispielsweise einmal bei dem Kind einer ihrer Mütter schwere Fehlbildungen festgestellt wurden, fand die Schwangere die fortlaufende Unterstützung durch die Hebamme und ihre Tochter und wagte es, ihr Kind auszutragen. Inzwischen ist es zwei Jahr alt und Therese Schlundt hält den Kontakt zur Familie auch jetzt noch.


Bewährtes bewahren

Die Nachsorgen fallen unregelmäßig an: "Manchmal habe ich drei Wochen keine mehr und dann habe ich wieder vier gleichzeitig." Von den einfachen alten Hebammenmittel hält sie nach wie vor sehr viel: Fissan-Silberpuder zur Nabelpflege, Garmastan-Salbe für die Brust, Penaten-Creme für den Po, mit Kleie-Bad von Töpfer und mit Nivea hat sie sogar Hämorriden erfolgreich behandelt. Und natürlich der gute alte Fencheltee. Als ich Therese Schlundt in Köln besuche, nimmt sie mich zu einem ihrer Wochenbettbesuche mit. Ich bin beeindruckt, mit welcher Ruhe und Sorgfalt sie die Mutter mit ihrem ersten Kind über die Zwischenzeit seit dem letzten Besuch befragt. Sie gibt ihr behutsam Ratschläge, sie beruhigt und ermutigt, sie denkt sich in sie hinein, verwendet eine anschauliche einfache Sprache. Unerschöpfliche Kompetenz strahlt sie aus, ohne dabei ihr Expertinnenwissen belehrend in den Vordergrund zu stellen. Sie fragt auch mich als Kollegin - ein Signal dass es vielleicht auch andere Auffassungen geben kann. Scheinbar nebenbei gibt sie Hinweise, die die junge Frau in ihrer eigenen Kompetenz nicht in Frage stellen. 'Das Alter kann seine Stärke haben, gerade in unserem Beruf', denke ich mit Hochachtung im Stillen. Eine Freude, diese offenherzige Begegnung der vierfachen Urgroßmutter mit der jungen Mutter. Die kleine Sprachstörung, das Überbleibsel von ihrem Schlaganfall, ist dabei wie weggeblasen. "Wie lange kommen Sie denn noch?" fragt die Wöchnerin. "Solange bis Sie keine Sorgen mehr haben.", erhält sie zur Antwort.


Gläubige Christin

Fast täglich fährt die gläubige Katholikin in die Innenstadt, um den Tag mit einer Morgenandacht im Kölner Dom zu beginnen. Ihr Glaube scheint ihren Blick, ihre Weltsicht und ihre Toleranz zu weiten, wie ich es selten erlebt habe. Ohne jede Dogmatik spricht sie von ihren Ansichten - nicht nur als Hebamme. Bei einer Autofahrt zeigt sie mir den Ort an einer Ausfallstraße, wo für Kölns Prostituierte bessere Arbeitsbedingungen geschaffen werden sollen und erläutert mir ausführlich die Diskussion, die darum in der Öffentlichkeit geführt wird. Ihr Mittagessen nimmt sie seit ihrem Schlaganfall bei Emmaus ein, einer katholischen Hilfsorganisation mit Mittagstisch für Wohnungslose und Alkoholkranke, wo sie geliebt und von allen gern gesehen ist. Keinerlei Geste der Distanzierung auch nicht in wohlwollender Art - sie macht einfach keinen Unterschied im zugewandten Umgang mit ihrem Mitmenschen. Ein Blatt mit diesem Gebet sah ich bei ihr: "Heiliger Geist, Geist der Freiheit bewahre uns davor, uns in Nebensächlichkeiten zu verlieren, und schenke und das Gespür für Wesentliches. Befreie uns von dem Bedürfnis, uns abzusichern, hin zum Mut für Dich Ungewohntes zu wagen. Durchdringe und überwinde unsere Vorurteile unsere falschen Rücksichtnahmen und Blockaden, die Leben und Wachstum hemmen. Lass Offenheit und innere Freiheit für Dich und füreinander wachsen, damit wir immer mehr zu Instrumenten Deines befreienden Wirkens in der heutigen Welt werden."


Schöpferische Quellen

Seit zwei Jahren geht die kreative Hebamme einmal in der Woche zum Malen ins Vrings-Treff, ebenfalls ein Projekt für obdachlose Menschen. Sie liebt diese Stunden dort besonders. "Für mich ist es ungeheuerlich, etwas zu machen, wo ich nicht vorhersehe, wie es wird.", beschreibt sie das Malen und damit das Wesen aller schöpferischer Vorgänge, was ihr ja auch von den Geburten her vertraut ist. Eine große Anzahl von Werken ist seitdem entstanden und ich bewundere die Vielfalt der Blätter und ihren unerschöpflichen Einfallsreichtum. Unter anderem hat sie Wehen bildlich dargestellt, andere Bilder sind ungegenständlich - freie Experimente mit Form und Farbe. Bilder gibt es im Haus von Therese Schlundt mengenmäßig: Ihr verstorbener Mann war nämlich unter anderem preisgekrönter Sportfotograf. Das Ehepaar hat früher oft zusammen in der Dunkelkammer gestanden und dabei den spannenden und zauberhaften Entwicklungsvorgang beobachtet: "wie das so langsam hochkam - wie die Konturen sich entwickelten." Als sie mir die Mappen mit den großartigen Fotografien zeigt, bin ich fasziniert von den Bildern der Hochleistungssportler: In ihrem Gesichtsausdruck, aufgenommen im Moment des Sieges, des Erreichens der Ziellinie nach ungeheuerlicher Anstrengung - finde ich dasselbe Spektrum von Ekstase, von Entrücktheit, Schmerz und Glück wieder, das ich als Hebamme in den Gesichtern der gebärenden Frauen so gut kenne.


Prägende Kindheitseindrücke

"Wissen Sie eigentlich noch, wie Sie darauf gekommen sind, Hebamme zu werden?" möchte ich gerne wissen. "In meiner Verwandtschaft ist eine Mutter von neun Kindern am fünften Wochenbetttag gestorben", erinnert sich Frau Schlundt: "Das hat mich als Kind sehr berührt, dass man da überhaupt sterben konnte. Da wurden ja früher wirklich die Kinder zusammengerufen. Da hieß es nicht am nächsten Tag: 'die Mutter ist gestorben' - das haben die mitbekommen. Das Zweijährige stand dann auch am Bett, das ist meine liebste Cousine. Und da hat die Mutter gesagt: 'Passt ja auf dieses Kind auf.'" Die Erzählungen über diese Familientragödie hat sie immer im Gedächtnis behalten. Mit 16 Jahren wollte die Kölnerin eine Zeitlang Detektivin werden: "Bin ich auch geworden, eine Halbe!" lacht sie verschmitzt. Dann machte sie vor dem Abitur ein sechswöchiges Praktikum in einem Säuglingsheim - es herrschte bereits Krieg. Sie arbeitete in einem Zimmer mit acht Kindern: "Das jüngste war drei Wochen alt - es trank nicht, die Mutter war depressiv, der Vater war im Krieg gefallen. Ja und dann waren da uneheliche Mütter, die dort gewohnt und in der Uniklinik entbunden haben. Es war oft Fliegeralarm. Und dann standen sie, wenn sie Wehen bekamen, bekleidet mit ihren grauen Kitteln in der Ecke und krümmten sich. Und das war alles so gespenstisch. Wenn der Alarm vorbei war, wurden sie weggebracht in die Uniklinik. Diese Bilder! Da habe ich immer gedacht: 'Das muss auch anders gehen, dass das alles nicht so eine schreckliche Sache ist.' Ja, das ist mir dann haften geblieben."


Vater und Mutter

Weitere Wurzeln für ihre zutiefst verantwortungsvolle Berufsauffassung mögen in ihrem Elternhaus angelegt worden sein. Ihr Vater, technischer Oberinspektor der Reichsbahn, musste immer allzeit bereit für einen Einsatz sein. Therese Schlundt schreibt in ihren Aufzeichnungen über ihr Leben: "'Der Bap war heute bei einer Blockstörung', sagte meine Mutter oft, bevor wir Kinder in die Schule gingen. Das bedeutete, im Stellwerk war ein Relais ausgefallen und er musste mitten in der Nacht die Störung beseitigen. Ich habe noch in Erinnerung, wie vor seinem Bett seine Hose lag, röhrenförmig, so dass er nur hineinzusteigen brauchte, wenn das Telefon in der Nacht ging. Wie ein Blitz war er dann verschwunden. Dieses Vorbild meines Vaters, das Beispiel, das er mir gegeben hat, hat mich lange Jahre begleitet - in den Nächten, die ich bei den Geburten verbrachte. In unserer Dienstordnung steht ja: 'Ungesäumt, ohne Ansehen des Standes und des Vermögens Hilfe zu leisten', und diesen Passus habe ich immer sehr ernst genommen. Leider hat mein Vater nicht mehr erlebt, dass ich Hebamme wurde." Auch von einem anderen wesentlichen Kindheitserlebnis schreibt sie: "Noch sehr wichtig und sehr schlimm für mich war, dass meine Mutter eine Geburt aus Querlage hatte, wobei dann der kleine Junge starb. Mein Bruder wurde ungetauft - er wurde ja tot geboren - in einer Ecke des Friedhofs beerdigt und Sie können sich vorstellen, dass mich das ganz arg mitgenommen hat. Damals, als das geschah, war ich vier Jahre alt. Für mein ganzes Leben, für meine ganze Kindheit war das so schlimm, dass dieses Kind ungetauft gestorben ist und also dann so beerdigt wurde. Ich muss dazu noch etwas sagen, was meine Mutter immer sagte: 'Ach, ich hab' mir gar nicht viel Sorgen gemacht für die Geburten und es ist nie etwas passiert, ich war nie beim Doktor.' Stimmt ja nicht, denn dieser kleine Bruder wurde aus Querlage tot geboren. Aber scheinbar verdrängte sie das."


Als Mutter Hebammenschülerin

Obwohl sie bereits seit über 50 Jahren praktizierende Hebamme ist und für ihre besonderen Leistungen sogar mit dem "Bundesverdienstkreuz am Bande" ausgezeichnet wurde, hat Therese Schlundt ihre Berufstätigkeit erst relativ spät begonnen. Knapp 19 Jahren alt, brachte sie nach ihrem Abitur und ihrer Heirat mit Heinz Schlundt zunächst ihre Tochter Ingrid zur Welt. Wegen einer Eileiterfehlgeburt kamen keine weiteren Kinder. "Wir streiten uns immer," lacht Ingrid Udelhoven: "Wenn ich sage: 'Ich habe vier Kinder zu Hause bekommen, da habe ich auch ein bisschen Ahnung davon', sagt sie immer: 'Ich 4.000' - dann steh' ich da!" "Wenn ich sechs Kinder bekommen hätte, wäre ich nicht Hebamme geworden." gibt ihre Mutter zu bedenken. Ihren Beruf wählte sie auch, weil sie eigentlich mit ihrem Mann nach Peru auswandern wollte. Mit 29 Jahren, im Oktober 1951, als ihre Tochter bereits 10 Jahre alt war, machte sie ihr Examen. Nach einer halbjährigen Praktikumszeit erhielt sie im April 1952 ihre Anerkennung als Hebamme. Leicht wird ihr Weg dahin nicht gewesen sein. Heinz Schlundt, als Sportlehrer damals arbeitslos, lebte in einem Zimmer in Iserlohn im Sauerland und versorgte dort das gemeinsame Kind, während sie in Bochum in der Hebammenschule wohnen musste. "Die Zeit in Bochum war sehr hart," erinnert sich Therese Schlundt: "Also, die verlangten wirklich was und es gab nur 14 Tage Urlaub insgesamt. Aber ich fand das gut, weil die Ausbildung nur anderthalb Jahre dauerte. Heute lernen die Schülerinnen drei Jahre, aber sie schlafen zu Hause. Wir wohnten da. Wir wurden, wenn wirklich eine Geburt war, wo wir noch was lernen konnten, auch in der Nacht gerufen, selbst wenn wir den ganzen Tag gearbeitet hatten. So bin ich Hebamme geworden." Ein sechzehnstündiger Arbeitstag war damals nicht ungewöhnlich. Auch in anderer Hinsicht war die Ausbildung für die gestandene Mutter eine Herausforderung: Beispielsweise wurde sie eines Tages wegen eines angeblich fehlerhaft ausgeführten Einlaufs gerügt. Sie war sich ihrer Sache jedoch sicher und versuchte sich zu rechtfertigen. Als Disziplinarmaßnahme sollte sie daraufhin hundertmal schreiben: "Ich darf nicht denken." Dafür war sie nicht geschaffen: Therese Schlundt gab stattdessen einen Aufsatz über Ignaz Semmelweis ab.


Harte Zeiten

Nicht nur für sie selbst war diese Zeit hart: "Mein Mann und meine Tochter haben während meiner Ausbildungszeit gehungert, er war ja arbeitslos." Ihr Mann erkrankte an Lungentuberkulose. Die Auswanderungspläne zerschlugen sich. Weitere Jahre musste die Familie an zwei verschiedenen Orten leben: Während ihrer Berufsanfängerzeit, als ihre Tochter dann wieder bei ihr lebte. Zunächst arbeitete die Junghebamme ein Jahr lang in einem Hagener Krankenhaus und bekam am 15.1.1953 schließlich die ersehnte Niederlassungserlaubnis als freie Hebamme in Paderborn. Sie "beerbte" damals eine Kollegin, der ihre Eileiterschwangerschaft zum Verhängnis geworden war, sodass sie daran verstarb - eine damals noch häufige Komplikation, bei der Therese Schlundt selbst einige Jahre zuvor "noch einmal davon gekommen" war. Erst eineinhalb Jahre nach ihrer ersten Praxisgründung, konnte sie schließlich zu ihrem Mann ins Sauerland übersiedeln und sich in Menden niederlassen, wo Heinz Schlundt inzwischen als Sportlehrer und Trainer in einem Leichtathletik-Verein Arbeit gefunden hatte. Wieder Jahre später, 1959, ein gemeinsamer Neuanfang in der Stadt Köln.


Mut zur Hausgeburt als Erbe

"Ich habe immer ganz viel mitgekriegt," erinnert sich Ingrid Udelhoven mit strahlenden Augen an ihre Jugend: "Deswegen habe ich auch so gerne selbst Kinder gekriegt. Und meine Tochter hat auch ihre Drei zu Hause bekommen. Der Mut, zu Hause zu gebären - das vererbt sich, wenn man diese Sicherheit sieht und wenn die Hebamme immer euphorisch nach Hause kommt. Einmal, da wollte sie nachts um fünf hier alles umbauen, weil sie von einer tollen Geburt kam!" "Haben Sie denn auch Ihrer Tochter bei den Geburten geholfen?", frage ich Frau Schlundt. "Ich wollte es, aber sie wohnte in Berlin.", erwidert sie: "Ich nahm das nächste Flugzeug aber die Kinder waren dann schon da - die ersten zwei, die Jungen. Die letzten zwei, die Töchter, die habe ich geholt." "Die habe ich dir entgegengebracht!", korrigiert Ingrid Udelhoven. "Ich wünschte, dass jede Schwangere ihre Schwangerschaft so erleben kšnnte!" hat Therese Schlundt am Seitenrand dieses Gedicht kommentiert, das ihre Enkelin schrieb - Försterin von Beruf und schwanger mit dem ersten ihrer drei Kinder. "Ich trage einen Frieden mit mir herum offener schlägt mein Herz leichter läuft meine Zunge mutiger tänzelt mein Fuß Zuversicht hat sich eingenistet Kraft wächst in mir Hoffnung ist in mir alles dies still und behutsam gemächlich, ruhig, stetig, friedlich bescheiden melodisch und wunderbar göttlich natürlich in mir ist Antwort in vielen Sprachen die Fragezeichen entwinden sich glätten sich fraglos in Offenheit, Bereitschaft zerfallen in Tropfen ... Tränen des Glücks" Elisabeth Fell-Udelhoven (1992)


Einheit von Familie und Beruf

Ob sie die viele Abwesenheit ihrer Mutter durch die Berufstätigkeit auch manchmal als Belastung erlebt hat, frage ich Ingrid Udelhoven. Sie verneint entschieden: "Wenn man zehn Jahre alt ist, dann ist das nicht so schlimm. Ich war sportgetrieben. Mein Vater war ja Sportlehrer und wir sind viel auf den Platz gegangen zum Training." "Sie war nämlich mehr weg, als ich durch meinen Beruf", wirft Therese Schlundt ein, deren Mann es als Leistungssportler 1943 sogar zum Deutschen Meister über 800 Laufen gebracht hatte. Ihre Tochter erbte diese Begeisterung für den Sport und die Begabung zum schnellen Laufen: Auch sie wurde Deutsche Meisterin. "Ich habe es immer toll gefunden, was meine Mutter machte." schwärmt sie: "Diese Natürlichkeit im Ganzen, weil sie auch sonst naturliebend ist. Das sind nicht die Geburten alleine - das zieht sich durchs Ganze. Dann ist das auch integriert in die Familie. Das ist nicht so: Das sind wir im Beruf und zu Hause sind wir andere Menschen - das war ja gleich, mein Vater hat das ja auch mitgetragen". "Nicht so wie heute, da steht ja in jeder Hebammenzeitung, man solle sich abgrenzen - man hätte auch noch ein Privatleben," ergänzt Frau Schlundt: "Bei uns war das eben eine Einheit. Aber meine Enkelin ist mal gefragt worden, warum sie nicht Hebamme geworden ist. Da hat sie gesagt: 'Da kann man ja seine Enkel nicht besuchen.' Aber das war die besondere Situation, als es in Köln und in anderen Städten keine freien Hebammen mehr gab."


Mangel an freien Hebammen

Damals, in den achzigerJahren, ging sie mit ihren nordrhein-westfälischen Kolleginnen in Bonn mit Transparenten auf die Straße, um für eine bessere Gebührenordnung und eine bessere Situation für die Hebammen zu kämpfen: "Wir waren wirklich aktiv. Wir hatten so viel zu tun, dass wir uns zum Schluss nicht mehr gegenseitig vertreten konnten. Das war ein absoluter Notfall, auch für unsere Familien. Das ist ja heute nicht mehr so, dass es so wenig Hebammen gibt. Als mein Mann 1994 starb, hatten wir neun Jahre lang keinen Urlaub gemacht. Stellen Sie sich das mal vor! Das wird es nie mehr geben, dass es so wenig Hebammen gibt. Der Beruf war überaltert. Ich war ja damals, als Vorsitzende des Kölner Hebammenverbandes, nur noch auf Beerdigungen von alten Kolleginnen." Über diese Zeit schreibt sie heute in ihren Aufzeichnungen: "Damals habe ich mal sämtliche Kölner Krankenhäuser mit viel Arbeit und Kosten angeschrieben und angefragt: 'Haben wir eine Gebärkultur?' Wir hatten zu dieser Zeit noch nicht einmal ansatzweise eine Kultur des Gebärens. Haben wir sie heute? Ich war immer getrieben von der Vorstellung: Das muss anders sein, das muss menschlicher, schöner verlaufen."


Einschneidender Verlust

Mit einer ihrer Kolleginnen hat sie sich besonders intensiv ausgetauscht: mit Monika Plonka. "Als ich zehn Tage alt war, da war sie halb so alt wie ich. Sie war in der Oberlausitz geboren und ich in der Eifel. Und in Köln haben wir uns getroffen. Das war eine Hebamme! Sie ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Und das habe ich mir anders vorgestellt. Ich wollte mit ihr zusammen ..." Die Freundin fehlt Therese Schlundt. In den ganzen Jahre ihrer intensiven Freundschaft haben sich die beiden Hausgeburtshebammen respektvoll gesiezt. Erst auf ihrem Krankenlager, in den letzten drei Lebenswochen von Frau Plonka, wechselten die beiden zum "Du". "Wir waren grundverschieden, aber wir liebten unseren Beruf. Sie hat oft abends angerufen: 'Ach Frau Schlundt, das war eine schöne Geburt - also glauben Sie mir, so was Schönes!' Sie hatte wirklich Ruhe und Geduld und war auch nicht überfrachtet von so Wissen, was sie nicht brauchte. Hatte die Volksschule..."


Kölner Hebammengeschichten

Mit ihrer gemeinsamen Hebammenerfahrung bei ungefähr 13.000 Geburten hätten die Beiden mühelos eigene Studien zur Hausgeburtshilfe bestreiten können: Monika Plonka hat über 9.000 Geburten in ihrem Leben betreut, Therese Schlundt an die 4.000. "Was die an Hausgeburten gemacht hat - und gepflegt!" Frau Schlundt spricht nur mit Hochachtung von ihrer Kollegin: "Manchmal kam sie zwar erst abends um neun zum Wochenbesuch. Für ein Buch sind wir einmal interviewt worden und da hatte sie in einem Jahr 365 Geburten gehabt. So viele Geburten! Und da habe ich gesagt: 'Frau Plonka, das dürfen Sie nicht schreiben. Das kann keiner verstehen. 265 ist auch noch viel - für Hausgeburten.' Natürlich hat Frau Plonka auch etwas bewiesen: Kinder kommen auch alleine. Und es ist nie etwas passiert. Bei ihr war bei jeder sechsten Geburt: da waren die Kinder schon da! Natürlich muss man das näher erläutern, dass es nicht aus Raffgier war - das war da so in der Zeit. Das war in einer Ära, die ist jetzt auch zu Ende. Deswegen drängt es mich jetzt auch, das zu schildern." Ihren reichen Erfahrungsschatz, ihre vielfältigen Erlebnisse und Eindrücke wird Therese Schlundt demnächst in einem Buch veröffentlichen - Arbeitstitel: "Kölner Hebammengeschichten". Einen Verlag hat sie bereits gefunden. Im kommenden Februar soll es auf den Markt kommen. Das Rück-Erinnern der Stationen ihres Lebens ist trotz der vielen freudvollen Erlebnisse nicht immer nur leicht. Gerade das Heraufholen der weniger glücklichen Lebensmomente bedrückt sie mitunter, dass sie aufpassen muss, nicht in Schwermut gefangen zu sein. "Es ist soviel aufzuarbeiten, es wird alles wieder so bewusst: zum Beispiel der Krieg und die Zeit danach." Ich freue mich auf ihr neues Werk - wieder eine Kölner Schöpfung, die aus der Praxis mit viel Herzblut und Beharrlichkeit entstanden ist. Als berufliches Vorbild, in ihrer Eigenwilligkeit, ihrer Leidenschaft und ihrem Ideenreichtum, mit ihrem kritischen Geist gepaart mit aufrichtig gelebter Toleranz, Humor und ihrer großen Zuneigung zu den Schwangeren, den Müttern und ihren Kindern ist Therese Schlundt unübertroffen. Kolleginnen wie sie haben mir in meiner freien Praxis immer Mut und Kraft gegeben. Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gro§en 150-jährigen Jubiläum - zum 20-jährigen Bestehen Ihrer "Oase", zum 50-jährigen Berufsjubiläum als selbständige Hebamme und vor allem: Alles Gute zum 80. Geburtstag, Frau Schlundt!

Therese Schlundt und Katja Baumgarten
Therese Schlundt und Katja Baumgarten
Bild: Gisela Tuchtenhagen



Die Autorin


Katja Baumgarten ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die Deutsche Hebammen Zeitschrift tätig.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de

Dokumentarfilme vom Katja Baumgarten
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