Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 12/2004

Tagungsbericht

 

 

 

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Prof. Dr. Hildegard Przyrembel, Leiterin der Geschäftsstelle der NSK
und Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft

Foto: Bundesamt für Risikobewertung

 

Stillen - sexy und elegant

Katja Baumgarten berichtet vom Internationalen Symposium "Zehn Jahre Nationale Stillkommission in Deutschland". Die "crème de la crème" der Stillexperten traf sich am 1. und 2. Oktober in Berlin

Glückwünsche von allen Seiten - die Nationale Stillkommission (NSK) am Bundesinstitut für Risikobewertung fand großes Lob für ihre hervorragende Arbeit in den vergangenen Jahren. Allen voran dankte Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, für die Anstrengungen, dass Stillen wieder als das angesehen wird, was es ist - einer der natürlichsten Vorgänge überhaupt. "Uns muss die Frage beschäftigen, warum gerade einmal 60 Prozent der Mütter in Deutschland nur bis Ende des zweiten Monats voll stillen und nur noch knapp zehn Prozent bis zum Ende des sechsten Monats.", gab Künast dabei zu bedenken. "Mit diesem Problem stehen wir in Europa nicht allein. Deshalb sehe ich den von der EU in Zusammenarbeit mir der WHO erarbeiteten Aktionsplan, an dem Mitglieder der Nationalen Stillkommission aktiv mitgearbeitet haben, als gute Grundlage für wirkungsvolle Interventionen." Mit der Verbesserung der Stillförderung im Krankenhaus habe die NSK einen Schwerpunkt gesetzt und eine Reihe von Empfehlungen und Hilfestellungen erarbeitet. Dabei sei man vor allem auch mit der gemeinsamen Initiative von UNICEF und WHO bei der Vergabe des Zertifikats "Stillfreundliches Krankenhaus" auf einem guten Weg. Künast appellierte an die Stillfachleute: "Wichtig ist die Erkennbarkeit! Meine Bitte an Sie: Denken Sie daran, dass Zertifikate - sie müssen natürlich stimmen - eine Hilfe bei der Suche nach Entbindungskliniken sind."

Die Datenlage

Die Kinderärztin Prof. Dr. Hildegard Przyrembel beantwortete in Ihrem Einführungsvortrag als Leiterin der Geschäftsstelle der NSK die Frage: "Warum braucht Deutschland eine Nationale Stillkommission?" Es bereite Sorge, dass Bewusstsein und Kenntnisse über die Vorteile des Stillens sich nicht in allen sozialen Schichten ausbreiteten: "Wer in Deutschland arm ist und weniger gut ausgebildet, stillt weniger. Das sollte so nicht länger hingenommen werden." Einen Überblick der Datenlage zum Stillen in Deutschland verschaffte die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund. Im Rahmen von Marktforschungsanalysen gäbe es Zahlen seit den 60er Jahren - das historische Tief lag Mitte der 70er Jahre - als nur noch 50 Prozent der Mütter nach der Entbindung im Krankenhaus gestillt habe. Kersting stellte auch Ergebnisse der 1997/98 durchgeführten bundesweiten SuSe Studie (Stillen und Säuglingsernährung) vor. Anhand von Kriterien der WHO beziehungsweise der NSK wurden dabei in einer Querschnitterhebung in 177 zufällig ausgewählten Krankenhäusern Daten zur Stillförderung erhoben und anschließend in einer Längsschnitterhebung bei 1.717 dort entbundenen Müttern ausgewertet. Diese Daten ermöglichten einen umfassenden Einblick. Ein solcher integrierter Erhebungsansatz bei Krankenhäusern und Müttern sei europaweit bisher einzigartig. Die SuSe-Studie zeige, dass die Stillförderung in Krankenhäusern vielfach noch nicht ausreiche. Im Mittel seien pro Krankenhaus nur fünf von zehn Empfehlungen umgesetzt worden. Auffallend gering waren sie bei strukturellen Maßnahmen der Stillförderung, wie Mitarbeiterschulungen oder 24-Stunden-Rooming-in. Längerfristige Trends beim Stillen würden in der 1985 begonnenen DONALD Studie (Dortmund Nutritonal and Anthropometric Longitudinally Designed Study) engmaschig untersucht. In dieser Kohortenstudie, in die pro Jahr 40 bis 50 Säuglinge im Alter von drei Monaten neu aufgenommen wurden, sei der Anteil voll gestillter Säuglinge stetig angestiegen, er entspräche den Stillquoten der SuSe-Studie im selben Zeitraum - ein Anzeichen für einen kontinuierlichen, anhaltend positiven Trend auch bei der Stilldauer in Deutschland. Zur Unterstützung und Evaluation der Stillfördermaßnahmen der NSK sei die baldige Einrichtung eines Stillmonitorings in Deutschland wünschenswert, ein Monitoring der Stillförderung in Krankenhäusern eingeschlossen. Auf EU-Ebene würden entsprechende Vorschläge diskutiert. Unabhängig davon sei die bisher epidemiologisch vernachlässigte Untersuchung des Stillens bei Migrantinnen wichtig, um geeignete Zugangswege der Stillförderung auch für diese große Bevölkerungsgruppe in Deutschland aufzeigen und evaluieren zu können.

Kleinkinder stillen

Iris-Susanne Brandt-Schenk, Laktationsberaterin IBCLC in freier Praxis aus Minden und unter anderem Vorstandsmitglied im Verein zur Unterstützung der WHO/UNICEF-Initiative "Stillfreundliches Krankenhaus", brach mit ihrem Vortrag "Langzeitstillen, natürliches Abstillen" eine Lanze für das Stillen nicht nur von Säuglingen, sondern auch von Kleinkindern und vertrat damit sogar bei diesem stillfreundlichen Symposium eine "exotische" Position. Ob und wie lange Kinder gestillt werden, hänge stark vom Umfeld ab. In Industrieländern sei das Stillen von älteren Kindern kaum üblich, sowohl die Allgemeinheit als auch medizinisches Fachpersonal würden es fŸr unnötig und teilweise nachteilig für Mutter und Kind halten. Daher würden nur sehr wenige Kinder sechs Monate lang ausschließlich gestillt. Noch geringer sei die Zahl der Kinder, die länger als ein Jahr gestillt würden, denn die meisten offiziellen Empfehlungen über Ernährung im Säuglingsalter erweckten den Eindruck, dass ein Kind am Ende seines ersten Lebensjahres abgestillt sein sollte. Mütter, die gefühlsmäßig zu längerem Stillen tendierten, fühlten sich sowohl durch die gesellschaftliche Meinung als auch durch die Auffassungen des medizinischen Fachpersonals oft verunsichert. Brandt-Schenk forderte Forschung und Aufarbeitung der Erfahrungen auch auf diesem Gebiet der Stillkultur.

Was ist bewiesen?

Prof. Dr. Michael Kramer, Wissenschaftlicher Direktor des Kanadischen Instituts für Gesundheitsforschung, Institut für menschliche Entwicklung, Kinder- und Jugendgesundheit, sprach über die Evaluation von Stillstudien. Seine systematischen Untersuchungen über die Beweislage der optimalen Dauer von ausschließlichem Stillen waren bisher von großem Einfluss auf die Stillempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der Weltgesundheitsversammlung. Er stellte in seinem Vortrag seine aktuelle cluster-randomisierte Langzeitstudie vor, die in Weißrussland in 32 Frauenkliniken durchgeführt worden war. Sie widerlegt die landläufige Meinung, dass ausschließliches Stillen über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus zu einer Mangelentwicklung des Kindes führe. Über 17.000 ausschließlich gestillte Babys wurden mit einer Kontrollgruppe der üblich ernährten Babys im Zeitraum von einem, zwei, drei, sechs, neun und zwölf Monaten verglichen - das Ergebnis war, dass die ausschließlich gestillten Kinder nach einem halben Jahr sogar ein höheres Gewicht hatten, nach zwölf Monaten war das Gewicht in beiden Gruppen gleich.

Dr. Walter Alexander Mihatsch von der Universitätsklinik für Kinderheilkunde in Ulm stellte seinen Vortrag unter die ketzerische Überschrift "Muttermilch für kleine Frühgeborene - Was ist bewiesen?" Er zog den Bestand zahlreicher Studien, die angeblich die Vorteile der Muttermilch für Frühgeborene belegen sollen, im Hinblick auf ihre konfirmative Beweiskraft in Zweifel. Mehr als Tausend Studien seien in seinem Institut einer kritischen Überprüfung unterzogen worden, nur wenige hätten der Überprüfung standgehalten. Er kritisierte das Studiendesign der meisten dieser Studien, die häufig nach den "gewünschten" Ergebnissen "fischten" und eine gewisse Zufallswahrscheinlichkeit nutzten, diese zu bestätigen. Es existiere keine einzige Studie mit konfirmativer Beweiskraft, die die gesundheitlichen Vorteile von Frauenmilch für Frühgeborene belegten, es gäbe jedoch mehrere nachgewiesene Nachteile beziehungsweise Unsicherheiten. Die derzeit umfassendste Studie zur Bedeutung von Frauenmilch für Frühgeborene sei eine randomisierte Studie von A. Lucas aus England aus den Jahren 1982 bis 1984. Die Kinder aus der Frauenmilchgruppe seien danach signifikant langsamer gewachsen. Auch in sekundären Zielkriterien wie kognitive Funktion/neurologische Entwicklung, NEC, und Entwicklung allergischer Krankheiten sei kein Vorteil für Muttermilch festgestellt worden. Allerdings sei diese Studie bereits 20 Jahre alt und nur eingeschränkt auf die heutige Zeit übertragbar. Mihatschs Vortrag zeigt, wie notwendig neue und sorgfältige Stillforschung bleibt.

Nicht abstillen!

Zahlreiche Vorträge gingen auf medizinische Aspekte und Probleme des Stillens ein. Dr. Michael Abou-Dakn, Oberarzt an der Klinik für Geburtsmedizin und Gynäkologie des Vivantes Humboldt-Klinikums in Berlin stellte in seinem erstklassigen Beitrag "Milchstau, Mastitis, Abszess" die erfolgreiche Behandlung der Brustdrüsenentzündung als sehr bedeutsam heraus, da sie als zweitwichtigster Grund für das frühzeitige Abstillen gelte. Die meisten dieser Erkrankungen, 74 bis 95 Prozent, würden innerhalb der ersten zwölf Wochen post partum auftreten. Bei der sonographisch gestützten Punktion von Abszessen lägen inzwischen umfassende Erfahrungen mit dieser neuartigen Behandlungsmethode vor, die schnell und ambulant durchzuführen sei. Die Frauen fühlten sich dadurch weniger krank als bei einem stationären Aufenthalt. Bei der Inzision sollte ein möglichst gro§er Abstand zur Areola eingehalten werden. Der Eiterherd habe im Übrigen keine Verbindung zu den Milchkanälen. Die Erfolgsquote der Punktion liege bei 70 Prozent. Diese und andere therapeutische Maßnahmen, auch eine medikamentöse Therapie stellten in der Regel keine Indikation zum Abstillen dar. Im Gegenteil, man dürfe gerade in der akuten Phase der Mastitis nicht abstillen. Nur in EinzelfŠllen kšnne eine Stillpause fŸr wenige Tage indiziert sein, beispielsweise bis zum Wirkungseintritt einer adäquaten Antibiose.

Prof. Dr. Michael J. Lentze, Direktor der Abteilung für Allgemeine Pädiatrie des Zentrums für Kinderheilkunde der Universitätskinderklinik in Bonn, sprach über die "Kinderärztliche Beratung wenn Stillen kontraindiziert ist". Insgesamt sei die Entscheidung, nicht zu stillen, sehr viel seltener zu treffen, als die Mutter darin zu bestärken, weiter zu stillen. Bei der Beratung von stillenden MŸttern könnten allerdings auch Situationen auftreten, bei denen der Beginn oder das Weiterführen des Stillens in Frage gestellt werden müssten. Hierbei werde zwischen absoluten Kontraindikationen, wie Tuberkulose, Chemotherapie oder HIV-Infektion der Mutter beziehungsweise gewissen Stoffwechstelstörungen des Kindes unterschieden und relativen Kontraindikationen wie strenge Veganerernährung, Mastitis oder Mamma-Carzinom auf Seiten der Mutter und Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Tracheoösophageale Fistel, Schluckstörungen auf Grund neurologischer Störungen, PKU und anderer Ursachen auf Seiten des Kindes. Keine Kontraindikationen bestehen aus seiner Sicht für den Zustand nach Sectio, Neugeborenenikterus, Diabetes mellitus der Mutter, Morbus Crohn, Multiple Sklerose, Cystische Fibrose, Wunde Brustwarzen, Flach- und Hohlwarzen, Brustoperationen der Mutter, Tandemstillen, Trennung von Kind und Mutter und auch nicht aufgrund von Rückständen in der Frauenmilch. Innerhalb des Spektrums der Kontraindikationen gäbe es auch Risikofaktoren fŸr Kind und/oder Mutter, die das Stillen von Fall zu Fall beeinflussten. Dazu gehšrten: Milchstau, Milchgangsobstruktion, Galaktozele und die Mastitis. Bei chronischer Me-dikamenteneinnahme der Mutter müsse abgewogen werden, ob das Stillen weitergefŸhrt werden könne, je nach Konzentration des Medikamentes in der Muttermilch. Bei Virusinfektionen der Mutter (HCV, HBV, Herpes simplex, CMV - hier mit Ausnahme der Frühgeborenen und kranken Neugeborenen - könne weiter gestillt werden. Bei HIV würde das Stillen in der dritten Welt weiter empfohlen, in unseren Breiten nicht.

Bei Infektionen

Mit dem Stillen bei mütterlichen Infektionskrankheiten befassten sich zwei Vorträge: Dr. Walter H. Haas, Leiter des Fachgebiets "Respiratorische Erkrankungen und Impfprävention" der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut in Berlin, sprach über "Stillen und Zytomegalie". Mit einer Häufigkeit von einem Prozent aller Neugeborenen sei sie die häufigste perinatale Infektionskrankheit. Bei 40 bis 50 Prozent aller Frauen sei das Virus nachweisbar, davon bei 93 Prozent der Sozialhilfeempfängerinnen, jedoch nur bei 30 Prozent der Privatversicherten. Das hätten Erhebungen von Krankenkassen gezeigt. Um vorhandene Zytomegalie-Viren in der Muttermilch wirksam abzutöten, sei das 30-minütige Pasteurisieren bei 62,5° Celsius erforderlich, also eine stärkere Erwärmung als sonst üblich. Das Einfrieren der Milch töte die Viren dagegen nicht sicher ab, sondern reduziere sie nur. Die Gefahr der Krankheitsübertragung durch die Muttermilch sei nur bei sehr kleinen Kindern mit einem Gewicht unter 1.500 Gramm gegeben, bei gesunden Neugeborenen habe die Zytomegalie keine Krankheitsbedeutung. Daher laute die Empfehlung, die Muttermilch für Kinder, die vor der 34. Schwangerschaftswoche geboren würden zu pasteurisieren, nach diesem Zeitpunkt nicht mehr. Diese Grenze sei allerdings willkürlich gezogen und nicht evidenzbasiert. Bei drohender Frühgeburt sollte bereits in der Schwangerschaft der CNV-Status festgestellt werden, falls ein kleines Frühgeborenes zu erwarten sei. Sobald Frühgeborene selbst trinken könnten, brauche die Muttermilch nicht mehr pasteurisiert zu werden. Es gäbe bei aller Vorsicht die gute Nachricht, dass bei Langzeitbeobachtungen kleiner Frühgeborener keine Schäden festgestellt worden seien, die auf die Zytomegalie-Infektion zurückzuführen seien.

Dr. Susanne Polywka, Oberärztin am Institut für Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf stellte ihre Untersuchungen zum "Stillen bei Hepatitis C" vor. Die vertikale Übertragungsrate des Hepatitis-C-Virus (HCV) von einer chronisch infizierten Mutter auf ihr Kind liege bei circa fünf Prozent. Umstritten sei jedoch der Zeitpunkt, zu dem die Übertragung auf das Kind erfolge. Somit gäbe es auch kontroverse Diskussionen über mögliche Maßnahmen der Prävention. Erste Studien nach Entdeckung des Virus und nach der Einführung der Polymerasekettenreaktion (PCR) in die Diagnostik hätten beschrieben, dass HCV-RNA im Kolostrum gefunden werden könne, aber eine Übertragung auf die so gestillten Kinder habe nicht stattgefunden. Wegen der unklaren Datenlage rieten viele GynäkologInnen und GeburtshelferInnen den HCV-positiven Müttern vom Stillen ab, was Polywka nicht unterstützen könne. Die Infektionsepidemiologin überblicke derzeit 649 Kinder von 540 HCV-infizierten Müttern. Von 158 dieser Kinder (148 Mütter) habe man bislang 173 Muttermilchproben gewinnen und auf HCV-RNA untersuchen können. Keine der untersuchten Milchproben enthielt HCV-RNA. Von 158 untersuchten gestillten Kindern konnten 155 auf eine HCV-Infektion untersucht werden. Dabei hatten sich drei Kinder (1,9 Prozent) infiziert. Diese Rate sei niedriger als die von 4,2 Prozent im bisher von ihrem Institut untersuchten Gesamtkollektiv. Zudem sei die Virusübertragung auf zwei der drei infizierten Kinder bereits in utero erfolgt, bei dem dritten Kind spät in der Schwangerschaft oder peripartal, aber nicht postpartal. Diese Befunde zeigten, dass die chronische HCV-Infektion einer Frau keine Kontraindikation für das Stillen darstellte. Den Einwand von Prof. Dr. Klaus Vetter, Leiter der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln, ob das Virus nicht durch Blut, beispielsweise bei wunden Mamillen, übertragen werden könne, entkräftete Polywka: Es gäbe hierbei keinen Hinweis auf Gefährlichkeit. Die durch Rhagaden übertragene Blutmenge sei so minimal, dass man von einer zu geringen Viruskonzentration ausgehen könne.

Mit einem Lächeln

"Warum stillen in Norwegen alle? Warum gibt es so große Unterschiede in Europa?" Mit dieser Fragestellung beleuchtete die norwegische Frauenärztin, Nationale Stillkoordinatorin und Leiterin des Nationalen Still-Zentrums von Norwegen, Dr. Gro Nylander von der Universitätsklinik Oslo, die Entwicklung des Stillens in Norwegen, das gegenwärtig Spitzenreiter in Sachen "Stillfreudigkeit" ist. Die Stillraten im Alter von sechs Monaten variierten in Europa von 80 Prozent in Norwegen bis zu zehn Prozent in Belgien. Deutschland stehe mit fast 50 Prozent von Frauen, die nach einem halben Jahr noch stillen, gar nicht so schlecht da. Auch Norwegen habe beim Stillen - ebenso wie andere Länder - eine rasante Talfahrt hinter sich. Die höchste Stillrate, die in Norwegen je zu verzeichnen gewesen sei, habe man für 1928 gefunden - nach einem halben Jahr stillten damals noch 75 Prozent der Mütter - 40 Jahre später waren es gerade noch 15 Prozent. In ganz Europa hätte sich das Stillverhalten bedenklich verändert - wenn auch zu etwas unterschiedlichen Zeitpunkten. Die moderne Geburtsmedizin mit ihren Hygienevorschriften und der üblichen Trennung von Müttern und ihren Kindern sei eine der Ursachen. Auch der wachsende Drang zu Berufstätigkeit, Karriere und Freiheit von Frauen veränderte die Einstellung zum Stillen. Aber auch die Nachwirkungen nationalsozialistischer Ideologie hätten das Stillen vermutlich in Misskredit gebracht. Andere historische Gründe sah Nylander in einer stillfeindlichen Haltung der katholischen Kirche, die Müttern über mehre hundert Jahre empfohlen habe, ihre Kinder durch Ammen stillen zu lassen, um dem Ehemann zur "ehelichen Pflicht" zur Verfügung zu stehen - in den Augen der Kirche habe sich Sex mit Stillen offenbar nicht vertragen. Für protestantische oder pietistische Mütter wurde das Stillen dagegen als "religiöse Pflicht" angesehen. Nylander warf die Frage auf, ob dies eine mögliche Erklärung dafür sei, dass die Stillraten in den überwiegend katholischen Ländern deutlich niedriger seien, als im protestantischen Deutschland oder in Skandinavien. In Norwegen sei für Familien und Mütter besonders viel erreicht worden: Berufstätige Frauen könnten heute zehn Monate voll bezahlten Mutterschaftsurlaub nehmen oder alternativ zwölf Monate bei 80 Prozent des Gehalts. Einen besonders wirksamen Trick verriet die Gründerin der ersten norwegischen feministischen Gruppe: "Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg! Stillen sollte als etwas dargestellt werden, das als voll im Trend liegt mit hohem Glamoureffekt und nicht als lästige Pflicht. 'Stillen mit einem Lächeln'", sei die Devise: "Das erfolgreiche Still-Video 'Breast ist Best' findet weltweite Verwendung, weil dort nicht nur ernsthaft stillende Mütter und wohl informiertes Gesundheitspersonal zu sehen sind, sondern weil es auch zeigt, dass Stillen komisch, sexy, spielerisch und elegant ist!"

Der Abstraktband zur Taguung kann im Internet heruntergeladen werden: http://www.bfr.bund.de/cm/235/Abstractband.pdf
Ein Tagungsband soll im kommenden Jahr erscheinen.

 

Die Autorin
Katja Baumgarten
ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die DHZ tätig. Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de.

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