![]() |
Autorin: Katja Baumgarten DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 7/2004 Interview mit Dr. Mechthild Groß
|
|
Dr. Mechthild
Groß mit zwei Kolleginnen: den Hebammen Angelica Hirschmüller
und Zofia Dehnert (v. li.)
Dr. Mechthild Groß: Ich bin hier seit 2001 als Hebamme und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Geburtshilfe angestellt. Schon immer habe ich versucht, die klinische Arbeit mit Forschung zu verbinden. So können praxisrelevante Hypothesen entwickelt werden. Diese beiden Aufgaben auf einer Stelle auszubalancieren, ist jedoch eine Gratwanderung. Wie verlief Ihr beruflicher Werdegang bis jetzt? Nach dem
Abitur habe ich von 1983 bis 1986 zunächst eine Krankenpflegeausbildung gemacht. Im Kreißsaalpraktikum
wusste ich plötzlich: „Ich will Hebamme werden!“ Ich
hatte das Gefühl, in diesen Stunden der Geburt erzählen die
Frauen ihr ganzes Leben. Weil ich keinen Ausbildungsplatz bekam, begann
ich Psychologie zu studieren, was aus meiner Sicht der Hebammentätigkeit
am nächsten kommt. Medizin wollte ich nicht studieren, denn ich
war nicht am Pathologischen interessiert - mich interessierte das Gesunde. Wie kamen Sie schließlich zur wissenschaftlichen Arbeit? Damals geschah
etwas Besonderes - ein Moment, von dem man jetzt im Nachhinein sagen
kann, dass ich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war - wo
Zeitgeschichte und Biografie zusammentrafen. In Tübingen hat uns unsere Lehrhebamme Helga Schweizer - damals
zweite Vorsitzende im ICM - mit einer globalen Perspektive ausgebildet.
Gleich zu Beginn der Ausbildung fand dort der Forschungsworkshop „Midwives
need Research, Research needs Midwives.“ statt. Für mich,
als neugierige Hebammenschülerin mit meinen Kenntnissen aus dem
Grundstudium war das sehr wegweisend. Dabei habe ich auch Britta Schlieper
kennen gelernt. Sie war in Tübingen Hebamme im Kreißsaal
und war ähnlich motiviert wie ich. So hat es mit den jährlichen
Hebammen-Forschungsworkshops angefangen, deren Organisation wir kurze
Zeit später selbst in die Hand genommen haben. Es war doch Anfang der 90er schon lange klar, dass vertikale Gebärpositionen vorteilhaft sind. Ja, aber es war damals wie heute schwierig, Forschungsergebnisse im klinischen Ablauf umzusetzen. Die Befragung hatte den Titel „Individueller und sicherer Geburtsverlauf für Mutter und Kind unter Berücksichtigung der mütterlichen Bewegungen und Positionen“. Angaben zu jeweils einem Geburtsverlauf erfolgten von einer Frau, einer Hebamme und einer Hebammenschülerin. Wir haben die Ergebnisse des Projektes 1992 in der DHZ publiziert. Nach Ende der Ausbildung war für mich klar: „Die Wissenschaft von Hebammen interessiert mich.“ Ich wollte mein Psychologie-Studium möglichst schnell zu Ende führen. In Konstanz bekam ich 1991 einen Studienplatz. Daneben habe ich zusätzlich in einem kleinen Belegkrankenhaus in Radolfzell als Hebamme gearbeitet. Sie haben den Hebammenliteraturdienst (HeLiDi) mit aus der Wiege gehoben. Wie kamen Sie auf die Idee? Im Oktober 1992 fand in Friedrichshafen ein ICM-Kongress für die deutschsprachige Sektion statt. Britta Schlieper und ich haben einen Workshop zur wissenschaftlichen Literatur angeboten. Am Ende des Workshops waren wir uns einig, wir machen einen Hebammenliteraturdienst. Weitere Kolleginnen kamen dazu. Der „HeLiDi“ erscheint seitdem zweimal im Jahr in allen deutschsprachigen Hebammenzeitschriften. Ich erinnere mich noch, wie Gabriele Merkel und ich anfangs stundenlang im Kopierladen standen und die 50 oder 100 Exemplare an alle Interessierten verschickten. Derzeit wird der HeLiDi von Katja Stahl, Gabi Merkel, Jutta Posch und mir herausgegeben. Das Copyright liegt inzwischen bei der Zeitschrift „Die Hebamme“, bei der ich Mitherausgeberin bin. Ich habe damals durchgesetzt: „Wir möchten, dass die anderen Hebammenzeitungen eine Abdruckgenehmigung der gleichen Ausgabe bekommen.“ Das ist im Verlagswesen sehr unüblich. Doch der Hippokrates Verlag war entgegenkommend. Wir achten allerdings darauf, dass die aktuelle Ausgabe zuerst in der Zeitschrift „Die Hebamme“ erscheint. Der HeLiDi hat sich mittlerweile fest etabliert. Wie ging es bei Ihnen dann beruflich weiter? In Konstanz
habe ich 1995 mein Studium abgeschlossen. Die Diplomarbeit wurde
ein Buch mit dem Titel „Wissenschaftliche
Weiterbildung für Hebammen – Erfahrungen und Auswertungen
von Ausbildungsprojekten“. Das war sicher ein Spagat, in diesen unterschiedlichen Bereichen zu arbeiten. Ja, manchmal
ging ich morgens in Konstanz in die Vorlesung und dann fuhr ich am
Bodensee entlang nach Radolfzell in den Kreißsaal. Ich brauchte diese halbe Stunde Fahrt, um den
Spagat im Kopf zu machen. Nach dem Diplom kam das Nadelöhr in
meinem Leben: Was mache ich mit meinem wissenschaftlichen Hebammeninteresse,
wie kann ich meine Berufe nach dem Diplom bündeln? Was bedeutet das? Für eine Längsschnittanalyse braucht man eine Definition des zugrunde liegenden Prozesses und beobachtet dann verschiedene Faktoren und ihre Einflüsse zu verschiedenen Abständen immer wieder. Man betrachtet Interventionen oder Einzelereignisse in ihrer Auswirkung auf den zugrunde liegenden Prozess. Angeregt durch die Kreißsaaldienste kam mir irgendwann plötzlich der Gedanke: „Blasensprung! Es hat doch unterschiedliche Auswirkungen, ob eine Frau einen Blasensprung bei zwei Zentimeter Muttermundsweite hat oder bei fünf oder erst dann, wenn der Muttermund vollständig ist.“ Daraus entstand die Idee für das Thema meiner Dissertation. Seitdem lässt mich der Prozessgedanke nicht mehr los. Sie haben damals auch ein Buchprojekt betreut. Zusammen mit einigen Kolleginnen war ich mit der Herausgabe der deutschen Übersetzung von „A Guide to Effective Care in Pregnancy & Childbirth“ beschäftigt. Initiatorin und Erstübersetzerin war Susanne Kluge. Nach längerem Verhandeln mit dem Verlag konnten wir dann das Buch mit dem Titel „Effektive Betreuung während Schwangerschaft und Geburt“ in deutscher Ausgabe herausgeben. Im Sommer 1998 ist der Urlaub ausgefallen und Katja Stahl, Jutta Posch, Prof. Dudenhausen und ich haben mehrfach die Druckfahnen durchgeschaut. Damals gab es zur evidenzbasierten Gesundheitsversorgung kaum noch Übersetzungen aus dem Englischen, an denen wir uns hätten orientieren können. Wie entstand die Zusammenarbeit mit der Zeitschrift „Die Hebamme“? Im Herbst, nachdem dieses Buch erschienen war, kam Dr. Renate Reutter vom Hippokrates-Verlag während des Forschungsworkshops auf Ursula Jahn-Zöhrens, Britta Schlieper und mich zu und fragte, ob wir Mitherausgeberin der Zeitschrift „Die Hebamme“ werden möchten. Da von den beiden Kolleginnen das Interesse nicht so stark war, bildete sich später eine Herausgebergruppe bestehend aus Ulrike Harder, Dr. Krause, Prof. Retzke und mir. Wir vereinbarten, jährlich ein Forschungsheft mit den Beiträgen des Workshops herauszugeben. Konnten Sie Ihre Idee für eine Dissertation in Bremen umsetzen? Im Pendeln
zwischen Kreißsaal und
Uni gelang es mir, mein Thema zu entdecken. Im Zentrum des allgemeinen
Interesses sah ich immer nur das mütterliche und kindliche Geburtsergebnis.
Der Prozess des Gebärens mit seinen vielen Einflüssen und
Interventionen wird zumindest in der quantitativen Forschung ziemlich
vernachlässigt. Ich habe in der Zeit meiner Dissertation viel über
Wissenschaftsstrukturen gelernt. Durch die gleichzeitige Hebammentätigkeit
im Zentralkrankenhaus Links der Weser war ich zusätzlich sehr
gefordert. Ich arbeitete dort als Extrawache im Kreißsaal im
Umfang einer Viertelstelle. Das war für mich eine sehr glückliche
Konstellation, denn die Idee Wissenschaft und praktische Arbeit zu
verbinden, wurde dadurch konkret. Nicht selten wurde ich morgens
um 11:00 Uhr zum Spätdienst gerufen. Wieder spürte ich diesen
Spagat und dachte, ob wohl Alfred Biolek in seiner Talkshow einmal
zum Thema „Mein Leben im Spagat“ einladen würde. Wie kamen Sie nach Hannover? Als ich in Bremen meine Dissertation
abgeschlossen hatte, bekam ich eine Stelle als Hebamme und wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover
angeboten. Wurden Sie im Kreißsaal akzeptiert und waren Ihre Kolleginnen erfreut, dass Sie den Hebammenstand auf besondere Weise vertreten? Ich hatte anfangs „Bauchgrummeln“. Es war eine schwierige Konstellation - als promovierte Hebamme an einer Uniklinik. Auf meinem Namensschild stand „Dr. Mechthild Groß, Hebamme“. . Die Kolleginnen reagierten zunächst reserviert: „Ich arbeite schon so viele Jahre als Hebamme - wie soll denn die mir erklären, wie ich es besser machen soll!“ Ich verstehe mich als promovierte, als wissenschaftlich tätige Hebamme – aber eben als Hebamme, mit allen Verpflichtungen die man dabei hat. Hebammenforschung kann zwar auch mit Qualitätsmanagement zu tun haben, sollte aber in erster Linie Forschung für eine bessere Betreuung von Müttern und ihren Kindern sein. Wie haben Sie mit dem Team zusammengefunden? Ich habe
gedacht: Ich muss hier ganz unten anfangen, die Leute müssen
wissen, dass ich eine vertrauenswürdige
Kollegin bin und ihre Arbeit sehr schätze. Nach einem Jahr hatte
ich das Gefühl, ich habe mir das Vertrauen der Kolleginnen und
auch der ärztlichen Mitarbeiter erworben. Das trägt jetzt
Früchte. Woran arbeiten Sie aktuell? Die „Geburtsbeginnstudie“ wird
derzeit abgeschlossen. Darin untersuchen wir, welchen Einfluss der
persönlich erlebte Geburtsbeginn auf das Gebären hat. Ich
hatte ja bereits über den Prozess des Gebärens gesprochen.
Das Ende des Prozesses ist durch den Geburtszeitpunkt genau definiert.
Der Geburtsbeginn variiert jedoch erheblich zwischen den Frauen. Als
wir die Frage stellten „Wie erleben Schwangere ihren persönlichen
Geburtsbeginn?“ mussten wir feststellen, dass diese Zusammenhänge
bei der Geburt reifer Neugeborener noch nie untersucht worden waren.
Dies ist ein schönes Beispiel dafür, dass ein neuer Forschungsansatz
zu sinnvollen Forschungsfragen führen kann. Vor einigen
Monaten bin ich in ein Mentoring-Programm für den Nachwuchs
von Wissenschaftlerinnen an der Medizinischen Hochschule aufgenommen
worden. Vielen
Dank für das Gespräch,
Frau Dr. Groß.
Die Autorin _________________________________________________________________________
|