Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 2/2006

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Helga Albrecht

Helga Albrecht: „Früher habe ich immer gesagt,
auch wenn ich 50 Jahre alt bin, möchte ich noch
einmal etwas Neues machen“

Foto: Privates Archiv von Helga Albrecht

 

Helga Albrecht – 30 Jahre Hebammenleben
Teil 1


Katja Baumgarten hat mit Helga Albrecht gesprochen. Die neue Präsidentin des BDH ist seit dem 18. November letzten Jahres im Amt. Im ersten Teil des Interviews berichtet sie über ihren vielfältigen Berufsweg seit 30 Jahren – als langjährige Klinikhebamme in einem der größten Kreißsäle Deutschlands bis hin zur Freiberuflichkeit mit Hausgeburtshilfe - und über ihr Engagement in der Verbandsarbeit

Katja Baumgarten: Frau Albrecht, herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Präsidentin das BDH! Haben Sie zu Beginn ihres neuen Amtes viel um die Ohren?

Helga Albrecht: Ja, es ist zurzeit noch so viel, weil ich zwischendurch auch noch meine Dienste habe und auch zwei Frauen, die ich im Wochenbett betreue. Ich bin viel auf Achse – gestern hatte ich meine erste Präsidiumssitzung.

Zunächst zu Ihrem Lebensweg: Wie sind Sie zum Hebammenberuf gekommen?

Ich kam zum Hebammenberuf wie die Jungfrau zum Kinde. Es gab in meiner Jugend niemanden, der über das Thema Geburt sprach. Obwohl ich eines von sieben Kindern war, hielt sich meine Mutter immer sehr bedeckt. Wie ich später erfahren habe, hatte sie ihre Geburtserlebnisse als sehr schrecklich empfunden und wollte deswegen ihren vielen Töchtern keine Angst machen. Damals kursierten auch seltsame Geschichten: Meine Großmutter sagte beispielsweise, sie hätte es wegen einer „Trockengeburt“ schwer gehabt – so wurde damals ein vorzeitiger Blasensprung bezeichnet. Mehr als Andeutungen hat man nicht erfahren. Als ich 16 Jahre alt und einmal bei einer meiner Schwestern zu Besuch war, sagte sie: „Ich kann mir gut vorstellen, dass du Hebamme wirst.“ Ich hatte nie an diesen Beruf gedacht. Auch meine Mutter unterstütze diese Idee, aber ohne, dass mir jemand gesagt hätte, was man dabei zu tun hat! Mit 18 Jahren war ich nach zwölf Jahren Schule mit meiner Schullaufbahn fertig. Das Abitur wollte ich nicht machen – damals gab es noch nicht diese Dringlichkeit, die es heute hat. Ich hatte keine Idee, was ich danach machen sollte, da riet mir meine Mutter: „Bewirb dich doch als Hebammenschülerin.“ Das war 1974, die Geburtshilfe war damals eine völlig andere. Es gab 50 Bewerberinnen auf 20 Ausbildungsplätze. Es herrschte also eine ganz andere Bewerbungssituation als heute, wo wir ungefähr 600 Bewerbungen auf einen Platz haben. Ich habe dann am Anfang meiner Ausbildung die allererste Geburt gesehen. Nach sechs Wochen wusste ich: Ja, dieser Beruf ist mein Ding!

Kannten Sie vorher keine Hebamme, hatten Sie kein Praktikum gemacht?

Nein, ich kam wirklich ganz naiv von der Schule in die Frauenklinik Berlin-Neukölln, die eine Art Fabrikcharakter hatte: Sie hatten dort annähernd 3.000 Geburten pro Jahr, es war die größte Klinik in West-Berlin. Prof. Saling war damals dort als Oberarzt tätig, war bereits Ton angebend in der Geburtshilfe und hat engagiert geforscht – die Amnioskopie ist zum Beispiel dort entwickelt worden. In meiner Ausbildungszeit wurden die ersten Wendungen bei BEL unter Ultraschallsicht gemacht. Die Perinatalmedizin steckte noch in den Anfängen: Die Mikroblutuntersuchung war völlig neu, Partusisten gab es noch unter dem Firmennamen TH1165A. Von der fortschrittlichen Geburtshilfe dort habe ich in den ersten zehn Jahren meiner Arbeit profitiert, weil ich immer mit allen Neuerungen vertraut war.

Sie befanden sich also am Puls der modernen Geburtsmedizin?

Ja genau, mit allem Positiven und natürlich auch Negativen.

Hat Sie das nicht auch erschreckt, gerade wenn in Ihrer Familie über das Kinderkriegen so still geschwiegen wurde? Ich hatte in meiner eigenen Ausbildung – die war nur wenige Jahre später – die Vorstellung, dass in Berlin bei Prof. Saling alle Menschen im Kreißsaal Mundschutz und OP-Kleidung tragen. War das wirklich so?

Ja. Mitte der siebziger Jahre – wir waren damals Schülerinnen – war dort auf der Wochenstation ein Sepsisfall aufgetreten, bei dem eine Frau verstorben ist. Das war natürlich eine Katastrophe! Daraufhin wurde die Schutzkleidung eingeführt – mit Haube, Mundschutz, Kittel und Überschuhen.

Bei jeder normalen Geburt?

Nicht nur zu jeder Geburt, bei jeder Aktion im Kreißsaal, wie zur Fruchtblaseneröffnung oder bei jeder MBU lag vollständige Schutzkleidung bereit und musste angezogen werden. Dieser Todesfall hat alle aufgerüttelt und hat Angst gemacht – es war plötzlich eine ganz andere Situation und diese Vorsichtsmaßnahme war sicherlich auch richtig bei dem Arbeitsaufwand, der da stattfand. Ich hab das in meiner Ausbildung so hingenommen, weil ich etwas anderes nicht kannte und es auch gar nicht beurteilen konnte. Das Tragen der Schutzkleindung hat sich dort sehr lange gehalten, als es viele andere Häuser schon wieder abgeschafft hatten.
Dann kam die Zeit, als sich die ersten Männer nicht nach Hause schicken ließen, als die Frauen sagten, sie wollten ihr Kind nicht weggeben, sie wollten stillen. Für mich waren das „böhmische Dörfer“ und alle sagten: „Oh Gott, jetzt kommen wieder solche ‚Alternativen’!“ Es war ein Sport der alten Hebammen, die Männer nach Hause zu schicken, in der Hoffnung, dass in der Zeit die Kinder kämen. Es klingt böse, aber das war etwas ganz Neues für alle, die im Kreißsaal gearbeitet haben. Und man darf nicht vergessen, dass die Hebammen ein großes Stück an Macht verloren haben. Mit den jungen Frauen, die manche Änderungen durchgeboxt haben, habe ich vieles erst für mich mitgelernt – weil ich selbst als Frau noch gar nicht fertig war. Im Nachhinein habe ich mich für viele Dinge geschämt, die man so unreflektiert getan hat. Aber ich hatte auch keine Möglichkeit zur Reflektion, weil ich mit den eigenen Ideen gar nicht durchkam. Man konnte vieles nicht ändern, weil man es gar nicht besser wusste.

Die Geburtshilfe war ein großes System und fast alles lief in eine Richtung.

Ja, das war sehr mächtig und wenn man das so lernt ... Die Angst wurde nicht ausgesprochen, aber alles erschien gefährlich, es konnte immer etwas passieren. Dann steht man auch selbst unter dem Druck, es darf dir jetzt nichts passieren. Ich hatte teilweise Mühe, das wieder abzulegen. Das ist auch ein Grund, warum ich erst 20 Jahre nach meiner Ausbildung gewagt habe, Hausgeburten zu begleiten. Nicht, weil ich mich für eine schlechte Hebamme hielt, sondern weil ich diese Ängste ablegen und neue Erfahrungen machen und Gewohnheiten hinterfragen musste. Ich musste den Frauen die Verantwortung zugestehen, zu entscheiden, was sie möchten. Über diese Veränderungen habe ich mich gefreut und die Frauen darin unterstützt. In dieser Hinsicht bin ich heute sehr zufrieden mit mir, dass ich nicht blockiert habe. Ich habe mich eigentlich immer schnell arrangiert.
Auch die Geburten meiner Kinder, die in den Jahren 1979 und 1980 in der Uniklinik Neukölln zur Welt kamen, haben meine Arbeit sehr beeinflusst. Ich konnte mir die Menschen aussuchen, die mich dabei begleitet haben – dadurch hatte ich gewisse Freiheiten. Zum Beispiel bei der Geburt von meinem ersten Kind, das sehr lange gebraucht hat, bis es sich durch das Becken gearbeitet hat. Es gab die unumstößliche Frist, nach zwei Stunden „Muttermund vollständig“ wird eine Vakuumextraktion gemacht. Als ich sagte: „Ich möchte das aber nicht!“, entgegnete die Ärztin: „Gut, eine Stunde gebe ich Ihnen noch. Sie hören, die Herztöne sind gut.“ Ich war darüber sehr froh und die Geburt endete glücklich. Ich verhalte mich auch heute noch den Frauen gegenüber ähnlich, sofern keine Notsituation vorliegt. Ich erkläre die Situation und frage: „Welches ist euer Weg? Was möchtet ihr? Es gibt mehrere Alternativen.“ Die Möglichkeit zu dieser guten Erfahrung hatte ich nur, weil ich dort gearbeitet habe, damals kriegte das sonst keine Frau. Nachdem ich selber geboren hatte, war für mich klar, diese Geburtshilfe ist nicht das, was ich möchte – weder für die Mütter noch für die Kinder. 1982 bin ich dort weggegangen und habe in  Schleswig-Holstein in einem anderen Haus als Hebamme gearbeitet.

Warum sind Sie aus Berlin weg gegangen?

West-Berlin wurde meinem Mann und mir damals zu eng mit den kleinen Kindern. Wir segelten sehr gerne, deshalb gingen wir nach Schleswig-Holstein. Da habe ich dann wieder in verschiedenen Kliniken gearbeitet, auch angestellt. 1985 habe ich mit der Freiberuflichkeit angefangen – da waren meine Kinder fünf und sechs Jahre alt, man musste ja immer gucken, wie bringe ich die Gören unter? Mit Kursen und Wochenbettbetreuung nach ambulanten Geburten, die damals zunahmen, kam ich dann zur Freiberuflichkeit.

Wo haben Sie in Schleswig-Holstein gearbeitet?

Wir haben in Wrist, einem kleinen Dörfchen gewohnt. Ich habe zunächst in Pinneberg und später in Itzehoe in der Klinik gearbeitet. Anfangs war ich dort mit einer halben Stelle angestellt und dann mit einer viertel Stelle. Dann hatte ich ja auch den Landesvorsitz beim Hebammenverband von 1991 bis 1998 inne. 1995 habe ich die Tätigkeit in der Klinik ganz beendet, weil mich das nicht mehr ausfüllte. Ich war dort nur noch wie zu Besuch, zwei Wochenenden oder vier Nächte im Monat und verlor den Kontakt zur Geburtshilfe. Dort war kein Mitgestalten möglich, es war mir eher ein „Klotz am Bein“, denn die Freiberuflichkeit war unterdessen mein Hauptanliegen. Ich habe daraufhin eine Hebammenpraxis eröffnet und begonnen, Hausgeburten zu betreuen. 1997, bei der Bremer Bundesdelegierten-Tagung, wurde ich ins Präsidium des BDH gewählt.

Als Beirätin für den freiberuflichen Bereich?

Ja, Ute Höfer, die dieses Amt inne gehabt hatte, war zurück getreten. Damals fand ein Umbruch statt. Das war die Tagung, als auch Magdalene Weiß zur Präsidentin gewählt wurde. Nach langem Zögern bin ich dort eingestiegen. Meine Lebensplanung ist eigentlich eine andere gewesen – ich hatte mich ganz auf die freiberufliche Arbeit eingestellt, die Kinder waren groß, jetzt war ich unabhängig und hatte mit den Hausgeburten angefangen und mit meiner Praxis. Das hat mir Spaß gemacht und andererseits sah ich die Notwendigkeit: Wo bleibt der freiberufliche Bereich, wenn er im Präsidium nicht besetzt ist?
Diese Beirätinnen-Tätigkeit wurde wie eine Halbtagsstelle bezahlt, verlangte aber viel mehr Arbeit – vor allen Dingen war ich überhaupt nicht mehr kontinuierlich zu Hause. Das hieß 80 Termine im Jahr und drei Tage in der Woche war ich in den verschieden Gremien oder bei Kolleginnen oder im Präsidium oder im Netzwerk für Geburtshäuser oder so ... Die Freiberuflerinnen haben ja, anders als die angestellten Hebammen, viel mehr verschiedene Stellen, zu denen sie fahren müssen. Das ging nach einer Weile einfach nicht mehr gut neben der Praxis und den Hausgeburten. Dann hab ich aufgehört mit den Hausgeburten.

Wie lange waren Sie in der Hausgeburtshilfe tätig?

Das waren volle fünf Jahre bis ich meine Praxis 2000 aufgegeben habe und wieder nach Berlin zurückgegangen bin. Ich freue mich noch immer, dass ich diese Erfahrung gemacht habe, das war eine tolle Zeit!

Warum gingen Sie zurück nach Berlin?

Wir hatten immer den Wunsch, wieder nach Berlin zurück zu gehen, wenn die Kinder einmal groß wären und wir nicht mehr arbeiten würden – ich bin auch Berlinerin. Dieser Zeitpunkt rückte dann viel näher, als ich von einer Kollegin hörte, die hier in Berlin in einem Team Hebammen suchten. Das war eine Hebammenpraxis mit Arztpraxis und Gebärräumen auf dem Gelände eines Krankenhauses. Ich dachte: „Wenn ich nicht mehr allein die Praxis habe und zusammen mit neun anderen Hebammen gebündelter arbeiten kann, wird es aufgefangen, wenn ich zwischendurch unterwegs sein muss.“ Es war ein bisschen eine Verzweiflungstat, das Amt der Beirätin mit meiner Freiberuflichkeit zu koordinieren. 2002 musste ich dennoch zurück treten, weil ich das einfach nicht mehr schaffte. Ich war zur Alleinverdienerin geworden und hatte die Zwänge, zu gucken, wo verdiene ich mein Geld. Das war zu der damaligen Zeit immer noch die Hebammenarbeit und nicht die Verbandsarbeit. Das hat sich inzwischen glücklicherweise geändert.

Werden die Beirätinnen jetzt besser bezahlt?

Ja, inzwischen ist es eine Dreiviertelstelle, angestellt. Über die Organisationsentwicklung, die im Verband stattgefunden hat, wurde beleuchtet, wie viel Arbeit für die Beirätinnen anfällt. Insofern ist es natürlich eine bessere Bezahlung und ein gesichertes Einkommen. Das war bei mir damals noch nicht so.

Wo waren Sie in den letzten Jahren als Hebamme tätig?

In den letzten drei Jahren habe ich hier in Berlin in einer Belegklinik gearbeitet. Diese Seite der Hebammenarbeit wurde schon in meiner Beirätinnenzeit zu meinem „Steckenpferd“, als 1998 viele Häuser anfingen, mit dem Belegsystem zu spekulieren, um Personalkosten zu sparen. Damals kam eine Schwemme von Anfragen von Kolleginnen, so dass ich mich sehr schnell in dieses Gebiet einarbeiten musste. Jetzt habe ich es auch aus der Praktikerinnenseite kennen gelernt. So bin ich inzwischen in allen Bereichen tätig gewesen: von großer Klinik über Hausgeburtshilfe und Tätigkeit als Beleghebamme und Praxisgeburten. Das ist sehr wertvoll und hilfreich bei der Arbeit, man hat ein ganz anderes Verständnis, wenn man alle Facetten und die Nöte kennt, die in jeder Disziplin ein bisschen anders gelagert sind. Das andere ist die Erfahrung mit der Verbandsarbeit: als Delegierte und dann sieben Jahre als Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein und schließlich die fünf Jahre Beirätinnenzeit, wo man gründlich die Gremien und die Strukturen im BDH kennen gelernt hat und weiß, damit umzugehen.

Sie können wirklich auf ein sehr vielseitiges Leben als Hebamme zurückblicken.

Ich wüsste gar nicht, ob ich mich sonst von der praktischen Arbeit trennen könnte. Jetzt wird sich sehr viel ändern. Präsidentin im BDH zu sein, heißt eben auch „raus aus der Praxis“ – wobei man sich zunächst überlegen muss: Das werden vier Jahre sein, eventuell acht Jahre – wie alt bin ich dann? Was mache ich dann?

Wie geht es Ihnen damit?

Ich bin jetzt 50 Jahre alt, gehen wir mal von acht Jahren aus, dann bin ich 58. Was mache ich dann? Ich habe natürlich ausgerechnet, wie ist das mit einer Rente, falls man keinen Fuß mehr in die Tür kriegt. Das könnte ja der Fall sein, denn ich bin freiberuflich tätig gewesen. Natürlich kann das Team im Krankenhaus nicht vier oder acht Jahre lang auf mich warten.

Dann ist die Entscheidung, sich um das Amt der Präsidentin zu bewerben, ein persönlich weit reichender Aufbruch gewesen?

Schwierig, ja. Andererseits gibt es eben auch die Zeit, die gewesen ist. Früher habe ich immer gesagt, auch wenn ich 50 Jahre alt bin, möchte ich noch einmal etwas Neues machen, war aber nie festgelegt, was das sein wird. Im vergangenen Jahr, als noch nicht sicher war, werde ich Präsidentin oder werde ich es nicht, habe ich schon viele Situationen als Abschiede wahrgenommen. Eine Frau hatte mich gefragt, ob ich sie bei ihrer Hausgeburt begleite. Es war eine sehr schöne Geburt Ende Juli und ich dachte: Das war wahrscheinlich meine letzte Hausgeburtshilfe in diesem Leben. Man muss sich ja darauf vorbereiten und „freischaufeln“. Ich glaube, egal wie lange meine Amtszeit dauern wird, Geburtshilfe wird danach nicht mehr meine Tätigkeit sein.

Wie sind Ihre Pläne?

Natürlich kann ich in vier oder acht Jahren ganz anders orientiert sein als jetzt, dass der Wunsch doch wieder besteht – die Tür steht ja offen. Aber ich denke eher in ganz andere Richtungen – schon im menschlichen Bereich zu bleiben, aber nicht mehr am Anfang, sondern am Ende des Lebens. Ich würde gerne in die Hospizarbeit gehen, denn auch dieser Bereich liegt in unserem Beruf. Ich habe keine Angst vor dieser Arbeit, meine Eltern waren bei mir bis zum Ende ihres Lebens. Insofern habe ich da eine Vorerfahrung, ganz anders als in meinem Hebammenberuf.

Was reizt Sie in der Hospizarbeit?

Mit der Hospizbewegung ist vieles in Bewegung gesetzt worden, es hat sich ein anderes Verständnis entwickelt. Mich beschäftigen diese ganzen Fragen: auf der einen Seite, zu Beginn des Lebens haben wir die technische Geburtsmedizin oder -medikalisierung und am anderen Ende des Lebens haben wir die Sterbehilfe, zunehmend die aktive Sterbehilfe. Das ist beides etwas sehr Eingreifendes, was der Mensch so eigentlich nicht braucht oder nur in begrenzter Form – etwas, was nur sehr wenige Menschen benötigen. Grundsätzlich funktioniert die Geburt immer noch ohne ein Eingreifen und der Tod auch. Ich spüre im Moment diese Verbindung: Je mehr wir das Normale unterstützen, desto weniger brauchen wir eigentlich das andere, das aktive Vorgehen. Denken wir also darüber nach, wie wir das Normale unterstützen können, damit wir das andere so wenig wie möglich brauchen. Die Diskussion ist immer: Die Medizin kostet so viel! Dies kann für das Gesundheitssystem eine Sparmaßnahme sein, ohne die Leute alleine zu lassen und sie in diese innere Armut und Notsituationen zu bringen. Wenn diese grundlegenden Lebenspole aus dem normalen Leben heraus gehalten werden, wächst auch die Angst vor den natürlichen Vorgängen, dass alles unsicher und risikoreich ist.

Zu Beginn ihres Amtes als Präsidentin sehen Sie für sich selbst eine weit reichende Perspektive – gibt Ihnen das Weitblick für ihre künftige Arbeit?

Meine Perspektive hat etwas mit meinem Alter und auch mit einem sehr erfüllten und reichen Hebammenleben zu tun. Ich habe immer gearbeitet und habe dabei auch sehr viel erfahren. Es gab keine großen Pausen. Vier Monate Erziehungsurlaub gab es erst 1980 bei meinem zweiten Kind, als das damals eingeführt wurde. Ich habe kein Gefühl von Lücken, wo ich mir sagen würde: „Das hättest du eigentlich immer gerne machen wollen!“ Insofern steht mir alles offen. Die politische Arbeit hat mir immer viel Spaß gemacht, darauf bin ich sehr neugierig, da habe ich auch immer sehr viel Energie rein gebracht. Diese Freude daran hat sich nicht geändert und auch nicht mein Willen, was ich noch verändern möchte.

Im zweiten Teil des Gesprächs stellt Helga Albrecht ihre Ziele als Präsidentin des BDH vor.


Die Interviewte

Helga Albrecht wurde1955 in Berlin geboren und machte ihr Hebammenexamen 1976. Bis 1995 war sie zunächst in Vollzeit, später in Teilzeit in verschiedenen Kliniken tätig. Seit 1983 nahm sie die freiberufliche Tätigkeit auf mit Geburtsvorbereitung, Rückbildungsgymnastik und Wochenbettbetreuung, von 1996 bis 2000 auch mit Hausgeburtshilfe und Praxis. Seit 1996 war sie ausschließlich freiberuflich tätig. Von 1991 bis 1998 war sie Landesvorsitzende des LV Schleswig-Holstein, von1997 bis 2002 Mitglied im Präsidium des BDH. Am 18. November 2005 wurde sie zur Präsidentin des BDH gewählt.


Die Autorin

Katja Baumgarten ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist als Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die Deutsche Hebammen Zeitschrift tätig.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de



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