Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 8/2005

Kongressbericht

 
Hausgeburtstage in Frankfurt


Katja Baumgarten hat die Tagung des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) besucht, bei der freiberufliche Hebammen ihr Wissen und Können und ihr Verständnis von einer autonomen und originären Berufsauffassung selbstbewusst und professionell austauschten

Eine überschaubare Veranstaltung, thematisch fokussiert, die neben dem Kopf auch Herz und Seele ansprechen sollte - es hätte nicht besser gelingen können, was die Veranstalterinnen des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands sich für ihren Kongress auf die Fahnen geschrieben hatten.

In Deutschland werden pro Jahr an die 5.000 Kinder in ihrem Zuhause geboren - begleitet und beschützt von etwa 600 praktizierenden Hausgeburtshebammen. Unter dem Motto „Hausgeburt – ja sicher!“ trafen sich am 9. und 10. Juni über 200 Hebammen in Frankfurt. Die Räume des eindrucksvollen Ökohauses, einer Art Gewächshaus, um das Veranstaltungs- und Büroräume gruppiert sind, waren wie geschaffen als Begegnungsort - hier ist auch das Büro des Verbandes zu Hause. Ein Drittel der Teilnehmerinnen waren Hebammenschülerinnen, die von dem praxisnahen Programm aus Vorträgen, Workshops praktischen Übungseinheiten der zahlreichen „gestandenen“ Hebammenkolleginnen angezogen worden waren – ein besonderes Signal der Hoffnung, das das Klima von Aufbruch, von inhaltlicher Begeisterung und Respekt vor der Erfahrung im Beruf mit prägte.

 

Voneinander lernen

Der Höhepunkt in dieser Hinsicht war die Abendveranstaltung „Alt trifft Jung – das Hörrohr weitergeben“. Im dicht besetzten Veranstaltungsraum waren alle Tagungsteilnehmerinnen im Kreis versammelt und lauschten den glücklichen und zum Teil auch nachdenklichen oder traurigen Erlebnissen, von denen drei Kolleginnen, Reinhild Bohlmann aus Hofgeismar, Ursula Berghald aus Ispringen und Annick Delamotte aus Welkenradt in Belgien aus ihrem langjährigen und ereignisreichen Hebammenleben zu berichten hatten. Um die Arbeit in Afrika unter extrem schwierigen Bedingungen ging es ebenso wie um die Veränderung der Klinikgeburtshilfe und der Hausgeburtshilfe oder um die Erfahrungen bei den Geburten der eigenen Töchter. Spannende Erlebnisse und Anekdoten wurden auch aus dem Kreis der Zuhörerinnen zum Besten gegeben. Eine Kollegin berichtete humorvoll wie sie Anfang der 70er Jahre ihr erstes Kind im Klinikfahrstuhl in der Hocke zur Welt brachte und damit dem damals unvermeidlichen Dammschnitt entkommen sei. Bei der Entlassungsuntersuchung einige Tage später entfuhr dem Gynäkologen beim Blick zwischen ihre Beine ein entsetztes „Was ist denn das?“ - die unrasierte und unverletzte Frau sei zu der Zeit offenbar ein verwirrender Anblick für einen Arzt gewesen.

Im großen Kreis fand sich auch die international bekannte Hausgeburtspionierin Ina May Gaskin aus Tennesee/USA – strickend, nach klassischem Hebammenbrauch. Ihre beeindruckende Ausstrahlung zog am nächsten Tag bei ihrem Vortrag und ihrem Workshop zum Thema „Intuition in der Hausgeburtshilfe“ alle Zuhörerinnen in den Bann. Sie vermittelte nicht nur erfrischend humorvoll und direkt ihre Auffassung, dass die Geburt als Teil der Sexualität der Frau gesehen und geachtet werden sollte. Jungen, noch wenig erfahrenen Kolleginnen empfahl sie zur Schulung ihrer Fähigkeit zur Intuition ausführliche und möglichst zeitnahe Tagebuchaufzeichnungen zu führen - über die Dokumentation der üblichen Parameter hinaus. Sie selbst habe auf diese Weise viel von den gebärenden Frauen gelernt.

 

Gefahren für Mütter

Sie wies auch auf Gefahren durch Eingriffe in den natürlich Geburtsablauf, beispielsweise durch den Einsatz von bedenklichen Medikamenten hin, wie dem Mittel Cytotec. Es wird in den USA häufig zur Geburtseinleitung eingesetzt und kommt auch in Deutschland unter anderem bei Schwangerschaftsabbrüchen zum Einsatz. Nach ihren persönlichen Recherchen gingen zahlreiche mütterliche Todesfälle durch Fruchtwasserembolie auf den Einsatz von Cytotec zurück, die von der amerikanischen Regierung allerdings nicht ernst genommen würden. Auch die Sectiomethode nach Misgrav-Ladach sah sie mit kritischen Augen. Nach ihrer Beobachtung würden mehr Frauen an den Folgen dieser OP-Methode sterben, beispielsweise durch Uterusruptur bei einer folgenden Geburt, als durch die bislang übliche Technik. Sie kritisierte, dass für diese neue Methode im großen Stil auf der ganzen Welt geworben würde, bevor es gesicherte Langzeit-Erfahrungen über ihre Spätfolgen gäbe. Frauen würden so in Gefahr gebracht.

Ina May Gaskin berichtete auch von ihrer Initiative „The Safe Motherhood Quilt Projekt“ – einem immer weiter wachsenden, zusammengesetzten Wandteppich, in dem die Namen von Frauen, die durch ihre Geburt verstorben sind, in individuell gestalteten Rechtecken verewigt sind. Die Aktivistin in dieser Sache möchte die Namen der Frauen vor dem Vergessen bewahren und die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass die Rate der Müttersterblichkeit in den USA als Folge der gegenwärtigen Trends in der Geburtsmedizin in den vergangenen 20 Jahren nicht gesunken, sondern statt dessen gestiegen sei. Durch ein unzureichendes System der statistischen Erfassung tauchten viele Todesfälle in den offiziellen Zahlen nicht auf, beispielsweise wenn Frauen erst nach Klinikentlassung an den späteren Folgen ihrer Geburt zu Tode kämen. Ina May Gaskin schätzte, dass die Dunkelziffer der Müttersterblichkeit in den USA dreimal höher sei als die offiziell angegebene von 17 pro 100.000 Geburten. Sie warnte davor, dass die Geburtshilfe in Deutschland mit gegenwärtig acht mütterlichen Todesfällen pro 100.000 Geburten nicht dem schlechten Beispiel der USA folgen dürfe.

 

Salutogenese

Sicherheit und Gesundheit in der Geburtshilfe war der Schwerpunkte der Hausgeburtstagung. In ihrem Eröffnungsvortrag „Die Lust der Frauen am Gebären“ spannte Monika Brühl den großen Bogen von einem auf Gesundheit aufbauenden inneren Verständnis der Geburt. Die Hausgeburts- Geburtshaus- und Beleghebamme aus Bonn empfahl - was vor Jahren von der aktiven Frauenbewegung vielleicht als Verrat gesehen worden wäre - von Hebammen aber tiefer verstanden werden kann: „Wir sollten den modernen, emanzipierten, selbstbestimmten Frauen von der Hingabe, als der natürlichen, inneren, geburtsfördernden Kraft erzählen.“ Dies sei heute notwendig, weil sich im Alltag eher die „männliche“ Durchsetzungskraft und ein Planungs- und Kontrollverhalten eingefleischt habe. Man betrachte Schmerz als unnötig und bekämpfenswert was dem spontanen, unwillkürlichen „Nachgeben der Klugen“ heute im Weg stände. Deshalb sei Hingabe ein wichtiges Thema in der Geburtsvorbereitung und der Geburtsbetreuung. „Auch die Funktion des Geburtsschmerzes sollte verstanden werden.“, gab Brühl zu Bedenken: „Denn die Klügere gibt leichter nach. Frauen, die sich im Überlebenskampf des modernen Alltags befinden, haben es leichter, ihr gewohntes Durchhalten aufzugeben, wenn sie in der Geburtsvorbereitung verstanden haben, dass es Sinn macht, sich dem Schmerz hinzugeben.“ Verena Schmid, Hebamme aus Florenz und Gründerin der „Scuola di Arte Obstetrica“, stellte das theoretische Modell der Salutogenese nach Antonovsky vor, einer neuartigen Beobachtung und Bewertung von Gesundheit. Gerade für die Hausgeburtshilfe sei der Blick auf die inneren Ressourcen von Mutter und Kind ein wesentliches Prinzip. Margarita Klein, Hebamme, Diplompädagogin und Familientherapeutin aus Hamburg, übertrug in ihrem Vortrag „Salutogenese – Gesundheit für Hebammen“ diesen salutogenetischen Ansatz auch auf die Hebamme - für einen körperlichen, psychischen und sozialen Umgang mit sich selbst und im Beruf.

 

Lotusgeburt

Bei den „Trainingszirkeln“, wo im Zehn-Minuten-Takt von einer Station zur nächsten gewechselt wurde, vermittelten Hausgeburtshebammen ihre Kenntnisse zu Themen wie „frühe Kindsbewegungen und Herztöne“, „Gebärpositionen“, „Atemtechnik“, „Einstellungsoptimierung“, „Wassergeburt“, „Beckenendlage“, „Schulterentwicklung“ oder „Handgriffe zur Plazentalösung“. Mancher Kollegin schmerzte am Abend der Arm vom gegenseitigen Braunüle-legen. Besonders viel Diskussion lösten die Betrachtungen und Erfahrungen zur Lotusgeburt von Hanna Ojus aus Quedlinburg aus. Sie nabelt das Kind nach der Geburt grundsätzlich nicht ab, sondern lässt die Plazenta so lange mit dem Kind verbunden, bis schließlich nach Tagen die Nabelschnur von selbst abfällt. Die Plazenta wird in einem speziellen Tuch aufbewahrt, zur besseren Haltbarkeit mit Salz bestreut. So liegt in den ersten Tagen neben dem Kind immer auch das Paket mit seinem Mutterkuchen. Diese „Verbundenheit“ führe zwar zu weniger Mobilität, das sei aber ein durchaus erwünschter Nebeneffekt. Ein „Plazentatrauma“, der Schock durch den plötzlichen Verlust der Plazenta, solle auf die Weise vermieden werden. Die Kinder wirkten ruhiger und eigenständiger. Mittlerweile habe sie zwölf Neugeborene auf diese Weise betreut und sei überzeugt von der Lotusgeburt. Eine der Zuhörerinnen berichtete, dass sie in Guatemala diese Praxis ebenfalls kennen gelernt habe.

Neben ungewohnten Anregungen gab es auch Handfestes aufzufrischen wie Workshops zur „Beckenendlage“ von Ina Rieder aus Nannhofen bei München und „Reanimation und Prävention“ von Reinhild Bohlmann oder eher „trockene“ Themengebiete, wie der Workshop von Johanna Hoepner-Frühauf aus Marburg „Hausgeburtshebamme und Praxismanagerin – Schließt sich das aus?“. Sie vermittelte die Gründzüge eines professionellen Praxismanagements ebenso wie den Aufbau eines Sicherheitsmanagements in der freien Praxis. Was von vielen eher als notwendiges Übel in ihrer Praxis nur am Rande gestreift wird, konnte hier gut strukturiert als große Arbeitserleichterung begriffen werden. Martina Eirich aus Braunsbach/Kocher und der Jurist Christoph M. Steegers boten „Dokumentation und Fallbesprechung“ an. Ähnlich wie die Empfehlung von Ina May Gaskin – nur mit anderem Hintergrund – plädierte auch der Berliner Fachanwalt für Medizinhaftungsfälle dafür, persönliche Eindrücke, selbst jegliches komische Gefühl mit aufzuzeichnen: „Je individueller die Dokumentation, desto besser.“ Vor Gericht würden derartige, manchmal eher intuitive Aufzeichnungen durchaus ernst genommen.

 

Dienstleistung?

Nur die zentrale Diskussion „Hausgeburt? Ja sicher!“ erreichte leider keine wirklich inspirierende Tiefe. Besonders nachdenklich stimmte mich dabei ein Wortwechsel, als die Moderatorin die Arbeit von Hebammen spontan als Dienstleistung bezeichnete. Sie entschuldigte sich für diese Wortwahl, doch die angesprochene Hebamme kam ihr sofort entgegen, sie selbst sähe ihre Arbeit als Dienstleistung, sie leiste Dienst für die Frau - ein Selbstverständnis, das in der großen Runde unwidersprochen blieb. Ist es denn wirklich eine Dienstleistung, was Hebammen bei ihrer Geburtshilfe tun? Dem heute allgemein üblichen Gebrauch des Wortsinnes kann sich niemand entziehen und zunehmend scheint sich eine Auffassung einzuschleichen, die sowohl von manchen Frauen, als auch von einigen Kolleginnen eher den gängigen Alltagsbegriff meint. Ob die moderne „Dienstleistung“ mit der originären Hebammenhilfe viel gemeinsam hat, ist zu bezweifeln.

Mit einem Eltern-Forum wirkten auch Hausgeburtseltern an der Tagung mit und boten den Austausch über ihre Erwartungen, Hoffnungen und Erfahrungen an. Voller Tatendrang stellte die „Hausgeburtsmutter“ Judith Fleischer die neu gegründete Hamburger Initiative „Natürlich Hausgeburt“ vor, einen Elternverein, dem es unter anderem um die Verbesserung des Klimas für die Hausgeburtshilfe in der Öffentlichkeit geht. So fordert die Elterninitiative die uneingeschränkte Schwangerenvorsorge durch Hebammen als ein Recht der Frauen – auch in Kooperation mit Frauenärzten, ohne dass dafür von der Kassenärztlichen Vereinigung Steine in den Weg gelegt werden dürften. Ein heißes Eisen, das in vielen Orten in den vergangenen Monaten zu Kontroversen und Unsicherheit zwischen Hebammen und ÄrztInnen geführt hat.

 

Neuer Vorstand

Am Ende der Hausgeburtstage stand auch der Abschied vom bisherigen Vorstand des BfHD bevor. Dorothea Kühn, vielen bekannt als engagierte BfHD-Frau, braucht nach Jahren intensiver Verbandsarbeit wieder mehr Zeit für ihre eigene Hebammenpraxis und stellte ihr Amt als erste Vorsitzende zur Verfügung. Am Tag nach der Tagung wurden für die kommenden zwei Jahre Susanne Schäfer zur 1. Vorsitzenden gewählt, Hanna Ojus zur 2. Vorsitzenden und Dorothea Kühn zur Kassiererin, die so dem Vorstand erhalten bleibt.

Der BfHD ist mit seinen 700 Mitgliedsfrauen ein überschaubarer Berufsverband, der die Interessen von freiberuflichen Hebammen, von Hebammenschülerinnen und von Hebammen vertritt, die eine natürliche, selbstbestimmte Geburtshilfe praktizieren. Es ist zu wünschen, dass der kleine aber umso lebendigere Verband weiterhin mit solch kräftigen Impulsen die Hebammengeburtshilfe stärkt, wie es in Frankfurt zu erleben war. Weitere Tagungen zur Hausgeburtshilfe hat der BfHD für die kommenden Jahre angekündigt. Ein Tagungsband aus den vielen Beiträgen ist geplant und wird den Schatz des Hebammenwissens zweifellos bereichern.

 

Die Autorin

Katja Baumgarten ist freie Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist Mitglied der Redaktion und als Fachbeirätin für die Deutsche Hebammen Zeitschrift tätig.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de

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