Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN-ZEITSCHRIFT Heft 9/2002

Editorial September 2002

 
Die Grenze entlang

"Ich bin im Moment im gynäkologischen OP," schrieb mir vor kurzem eine Hebammenschülerin, "wo die Frauen als "Fleisch" vor einem liegen und irgend etwas immer nicht in Ordnung ist. Als besonderes "Highlight" darf man dann an einer abladierten Mamma das Nähen einer Epi üben." Weiter: "Für mich war es irgendwo ein Lernen, aber auch ein unglaublich makaberes-schauriges-bedrückendes Gefühl, wenn man die Frau vorher gesehen hat, mit ihr gesprochen hat und nachher an einer noch körperwarmen Brust von ihr rumnäht..."

Ich war von dieser Nachricht beeindruckt. Bin ich übertrieben sentimental? Ein Beispiel für die vielleicht typisch deutsche Vorliebe des Recyclens - ein Beispiel auch für Grenzwertiges oder Grenzüberschreitendes. Welchem Frauenbild begegnen die jungen Frauen, die den Beruf der Hebamme ergreifen möchten? Welche ihrer Seiten soll gestärkt werden? Gibt es auch eine Prägephase in der Ausbildung, wie wir an etwas herangeführt werden, woran wir uns später im Guten wie im Unguten noch erinnern werden, was uns vielleicht auch unbewusst noch lenkt? Dass diese Art des Heranführens an die Mutterbrust in der Hebammenausbildung überhaupt existiert, möchte ich hier in den Vorbereitungen zur Weltstillwoche zur Diskussion stellen.

Das Thema für diese Ausgabe heißt "Grenzgängerinnen" - ein Blick auf den Randbereich unserer Berufstätigkeit, der sowohl mit Aufbruch, als auch mit Abgrund zu tun haben kann. In der ersten Ideenphase hatten wir den Arbeitstitel der Prägnanz halber noch "Schwarze Schafe" genannt. Wir diskutierten kontrovers, ob wir uns da überhaupt "ranwagen" sollten, ob es nicht zu "riskant" sei. Ich persönlich bin mir sicher, dass wir als Berufsstand mittlerweile selbstbewusst genug sind, vor allem dass wir daraus großen Gewinn ziehen werden, uns auch mit weniger bequemen Seiten unserer Arbeit offen und konstruktiv zu beschäftigen. Ein gewisses Feld soll mit dem Spektrum der Beiträge abgesteckt werden: das Changieren zwischen dem Arbeiten an der Grenze dessen, was als verantwortungsvoll empfunden wird - wer begegnet nicht zuweilen dieser Grenze - und der Angst, einen Fehler zu machen, der gerade in unserem Beruf fatale Folgen haben kann. Aber auch das Leiden unter Ausgrenzung und Mobbing, was oft besonders Menschen trifft, die schöpferisch neue Wege zu gehen versuchen, die aus der "normalen" Mitte herausfallen, "auffällig" werden. Beides ist gelegentlich schwer auseinander zu halten und kann gerade durch die verschwiegene Behandlung zum inneren und äußeren Problem werden. Mit dem Betrachten der Grenzen möge auch unsere Mitte deutlicher werden. Im Sinne des Beitrags von Dr. Ulf Häbel, der uns mit seinem Blick von außen eine wertvolle Einführung gibt: Die Ränder bestimmen die Form.

Ich grüße Sie herzlich - diesmal aus der Redaktion der DHZ, wo ich in den kommenden Monaten wirken werde. Auf Ihre Anregungen, vielleicht Ihre eigenen Ansichten zum Thema, freue ich mich schon.

Katja Baumgarten

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