Autorin: Katja Baumgarten

DEUTSCHE HEBAMMEN ZEITSCHRIFT Heft 10/2006

Editorial Oktober 2006 – Titelthema: Gewalt in der Geburtshilfe

 

 

 

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Katja Baumgarten

Bild: Michael Plümer

Angepasst
und ausgewichen

Dass eine Geburt für Mutter und Kind ein gewaltiges Ereignis ist, ist eine selbstverständliche, fast banale Feststellung. Es gehört zu den großen Lebensleistungen von Frauen, die ihr Kind gebären und von jedem Menschen, der auf die Welt kommt, diese Naturgewalt durchzustehen und ihr standzuhalten. Seltsam, dass Frauen und ihre Kinder darüber hinaus in der Vergangenheit wie heute immer wieder erleben, dass gerade in diesem besonderen „ausgelieferten“ schutzbedürftigen Moment eine zusätzliche, von ihren Mitmenschen vereübte Gewalt das Geburtserlebnis zu einer belastenden Erfahrung macht. Warum können Frauen auch Jahrzehnte nach der Frauenbewegung – und deren Bewusstseinsbildung für eine selbstbestimmte Geburt – in diese „Falle“ geraten? Ich kenne Berichte von Frauen aller Altersstufen aus meinem Verwandten- und Bekanntenkreis, die die Erinnerung an zynische Worte, Achtlosigkeit oder ruppige Behandlung beim Gebären zum Teil bis ins hohe Alter mit sich herumgetragen haben.
Als Hebammenschülerin habe ich eine Geburtshilfe erlernt, die man noch keineswegs als „familienorientiert“ bezeichnen konnte, geschweige denn im Dienste einer „sanften Geburt“ des neugeborenen Kindes oder einer selbstbestimmten Geburt für die Gebärende. Was habe ich mich manchmal während meiner Ausbildung geschämt und selbst verachtet, wenn ich als „Mittäterin“ Frauen und Neugeborene in die unerbittliche Routine gezwungen habe: türkische Frauen, die sich auf dem viel zu hohen Entbindungsbett in der Hocke auf die Wehen konzentrierten, völlig immun gegen deutsche Hinweise oder „Anweisungen“ – spätestens in der Endphase der Geburt hatte ich sie in die flache Rückenlage gebracht. Von deren Sinn hatte mich niemand überzeugt: „ ... weil wir das immer so machen!“ Oder die Neugeborenen, die ich im Akkord wickelte, um mein Pensum zu schaffen – manche schrien wie am Spieß und nachdem ich einige atemberaubende Rügen eingesteckt hatte, machte ich weiter, ohne sie zu trösten. Als junge Hebamme schließlich, das Examen in der Tasche, das vorher Druckmittel für Gefügigkeit und Selbstverleugnung gewesen war, war es nicht ganz vorbei: Ich erinnere eine Anzahl von alptraumartigen Geburten, deren Bilder nie aus meinem Kopf verschwinden werden. Wo ich innerlich bleich wurde, mitzuerleben, dass Frauen so etwas angetan wurde – und mein Unvermögen zu erleben, der Frau in dieser Situation nicht angemessen beistehen zu können.

Vielleicht war meine Entscheidung für die außerklinische Geburtshilfe ein Ausweichen vor der Arbeit miteinander und aneinander im Kreißsaal-Team. Ein Haushalten mit meinen Kräften. „Hut ab!“ vor Hebammen, die sich auch in jahrelanger anstrengender Alltagsroutine großer Entbindungsabteilungen mit manchmal nervenzehrenden geburtshilflichen Situationen die Liebe zur Geburt, zu den Frauen und Kindern bewahrt haben und eine Geburtshilfe leisten, die es verdient, „familienorientiert“ und Bindungs fördernd genannt zu werden.

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Die Autorin

Katja Baumgarten ist Hebamme, Filmemacherin und Journalistin in Hannover. Sie ist
Redakteurin der Deutschen Hebammen Zeitschrift.
Weitere Informationen: www.KatjaBaumgarten.de


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