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Der Untergang von Himmelpforten
Augenzeugenbericht

"16. Mai 1943. Ein schöner Maiensonntag. Eine festtägliche Stimmung war wach. Wir feierten auch im Dorfe Niederense den Muttertag. Der Tag wurde, wie jeder Sonntag, zur besonderen Ehre Gottes gefeiert. Bei der Sonntagspredigt sprach Pfarrer Berkenkopf über das Sonntagsevangelium: "Noch eine kleine Weile . . . !" Am Nachmittag versammelten sich die Familien in allen Häusern des Dorfes um ihren Mittelpunkt, die Mutter, um sie still zu ehren. Wo die Mutter unterm grünen Rasen lag, schmückten die Hände der Kinder die Gräber mit frischen Blumen.

Dann ging ein schöner Tag seinem Ende zu. Die Menschen beschlossen den Tag. Und sie gingen nicht ohne ein inständiges Gebet an den Lenker aller Geschicke zur Ruhe. Sie waren in banger Sorge um die Geschicke der Nacht. Wie so oft wurden die Bewohner des stillen Möhnetales um 23.30 Uhr durch Fliegeralarm aus dem Schlafe geweckt! Man kleidete sich gewohnheitsmäßig an und erwartete wieder einmal bange Stunden. Keiner ahnte jedoch das Schreckliche dieser Nacht. Es verging eine halbe Stunde, ohne daß sich irgendwelche Zeichen für Nachtangriffe durch feindliche Flieger zeigten. Darum legten sich auch viele Menschen wieder schlafen. Dann aber gegen 0.05 Uhr beobachtete man plötzlich am nördlichen Himmel Leuchtspuren der Flak. Da aber vorerst noch alles ruhig blieb, nahm man an, die Flak schösse ihre Rohre leer, und die Entwarnung müsse bald kommen. Die Zeichen wiederholten sich aber, und bald darauf vernahm man erst ganz schwach, dann aber plötzlich ganz laut das Brausen von Flugzeugmotoren. Ganz unerwartet schnell tauchte ein Flugzeug in geringer Höhe über der Haar auf. Es hielt direkten Kurs auf den Möhnesee. In steilabfallendem Flug schoß es auf die Sperrmauer zu und wurde von der Flak dort unter direkten Beschuß mit Leuchtspurmunition genommen. Das Flugzeug erwiderte das Feuer sofort mit seinen Bordwaffen, deren Feuergarben in der dunklen Höhe einen grausigen Anblick boten. Bald tauchten weitere Flugzeuge auf, von denen eines im Kampfe mit der Flak in nördlicher Richtung brennend abstürzte. Es war etwa zehn Minuten später, um 0.15 Uhr, als auf einige kleinere Detonationen eine größere erfolgte, die einen starken Luftdruck hervorrief. Immer wieder wurde die Sperrmauer von den Flugzeugen angeflogen, dabei kreisten sie in Häuserhöhe über unserem Dorfe, wodurch die Menschen in den Kellern gehalten wurden.

Inzwischen hat das schreckliche Drama bereits begonnen. Die Luft erzittert vom Rauschen und Dröhnen, Bersten und Krachen, über deren Ursache man im Moment keine Erklärung fand. Doch die Sperrmauer ist gesprengt, und die gebundene Kraft von 140 000 000 Kubikmeter Wasser stürzt sich, Tod und Verderben bringend, in die Tiefe. Die schrecklichste Nacht des Möhnetales ist da.

Noch ehe man sich darüber klar war, was geschehen sei, gingen die ersten Wassermassen über das Flußgebiet der Möhne hinaus. Erst durch diese Zeichen wurde klar, daß die Sperrmauer getroffen und beschädigt worden war. Im Moment kam im Dorfe eine große Unruhe auf. Durch Rufen und Schreien wurden die Bewohner auf die nahende Gefahr aufmerksam gemacht. Die Stromzufuhr war bereits unterbunden, und alles spielte sich im Dunkel der Nacht ab. Von einer großen Panik erfaßt, griff man nach der kostbarsten Habe, um sie zu retten. In eiliger Flucht mußten sich die Bewohner des niedriger gelegenen Ortsteiles vor den hereinstürzenden Wassermassen in Sicherheit bringen.

Aus unmittelbarer Nähe konnte dann, unter Deckung gegen die noch immer kreisenden Flugzeuge, beobachtet werden, wie plötzlich größer und stärker werdende Wassermassen heranstürzten.

Über der Wasserschicht bildete sich eine Nebelschicht, die vorerst noch die erbarmungsloseste Grausamkeit, Not und Tod, der Nacht verdeckte.

Die Wasserflut stieg bis zu einer Höhe von etwa 10 bis 12 Meter. Direkt im unmittelbaren Katastrophengebiet lag das Klostergut Himmelpforten mit der alten barocken Pfarrkirche der Gemeinde Niederense-Himmelpforten. Noch überragten Dach und Turm der Kirche die Fluten mit ihrer Nebelschicht. Aber neu heranstürzende Wasser vollendeten das Werk der Vernichtung. In wenigen Augenblicken verschwand das letzte Bild von Himmelpforten vor unseren Blicken. Wie ein Schreckensschrei erklang der letzte Anschlag der Glocke, die nun doch noch ein Opfer des Krieges wurde. Der Zusammenbruch der Klosterkirche hatte den letzten Anschlag der Glocke ausgelöst. Eine 7oojährige Heimatgeschichte fand damit ihren tragischen Abschluß. Unsere heimatverwachsene Kirche, unsere "Porta coeli", war nicht mehr. Unter den zahlreichen Toten befand sich auch unser Pfarrer Josef Berkenkopf."

Quelle: Von F. Sch., Niederense, am Tage nach der Katastrophe niedergeschrieben. #1

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