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Folgen der Zerstörung für ...

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Am Unglücksmorgen
Zeitungsbericht "aus jenen Tagen"

Während des Krieges schwiegen Funk und Zeitungen über die Katastrophe und über ihren Umfang. Erst in den letzten Jahren liest man von dem Unglück, das damals die Heimat traf. Nur ein kleiner Ausschnitt aus den vielen Darstellungen sei hier - wie er in verschiedenen Zeitungen erschien - wörtlich nachgedruckt. Er ist ungeschminkt und darf darum auch als echtes Dokument "aus jenen Tagen" angesprochen werden. Es heißt da:

"Das Katastrophengebiet ist am anderen Morgen von Soldaten, Polizisten und Feuerwehrleuten abgeriegelt. Nur die nächsten Angehörigen haben Zutritt zu ihren zerstörten Wohnungen, soweit überhaupt noch etwas von den Mauerresten vorhanden ist. Es ist eine völlig neue Landschaft entstanden - Schlick, Sand, Trümmer. Eine Urwelt tut sich auf, nachdem das Wasser nur noch in einer schwachen Kaskade aus dem Staubecken läuft. Soweit der Wald zu beiden Seiten des Flußbettes nicht wie schwaches Schilf zerquetscht ist, hängen ertrunkene Rinder, Hühner und Schweine in den Baumkronen, manchmal auch ein Mensch.

Auf der Sperrmauer - weit genug von der klaffenden Bruchstelle entfernt - steht Reichsminister Speer. Pathetisch erklärt er, daß die Sperre in einem Monat wieder stehe - fester als bisher. Für die Einwohner des direkt unterhalb der Mauer liegenden Dorfes Günne, die nach ihren Toten und dem wenigen noch verbliebenen Hausrat suchen, hat er keinen Blick. Auch nicht für den zerbrochen auf einem Stapel Treibholz sitzenden Bochumer Flaksoldaten, der seine Frau und vier Kinder aus dem bombengefährdeten Ruhrgebiet an den bisher durch keinen Angriff behelligten Möhnesee evakuierte - ausgerechnet in das Dorf, das mit seinen Grundmauern fortgespült wurde. Das Schicksal der zerstörten Pfarrkirche Himmelpforten bei Niederense ist ihm ebenfalls gleichgültig.

Neheim hat die 30 Meter hohe Flutwelle, die sich durch das enge Möhnetal wälzt, als erste größere Stadt aufgefangen. Wie Archen tanzen die Baracken mit russischen Arbeiterinnen einen Augenblick auf dem gischenden Wogenkamm, dann sind sie zersplittert und versunken. Die Stadt ist gewarnt durch das eigenartige, dumpfe Brausen, das der zerstörenden Welle voraneilt, trotzdem kamen viele in den Fluten um, die nicht glauben wollen, daß die Sperrmauer getroffen ist. Sie klettern von Stockwerk zu Stockwerk, kriechen aus den Dachluken und klammern sich in Todesangst an den Schornstein. Aber auch dorthin steigt ihnen das Wasser im fahlen Frühlicht nach.

Weggeschwemmte Brücken, umgeworfene Personenzüge, wie Kartons zusammengedrückte Häuser - - und eine bleiche Bevölkerung, die sofort nach dem Verlaufen des Wassers nach ihren Toten sucht und doch in ein hartes, irres Lachen ausbricht, als gegen Abend der Rundfunk die ersten Nachrichten dieser Katastrophe vermittelt und Totenziffern nennt, die sie an Ort und Stelle als Lüge brandmarken können. Sie brauchen nur die Särge in der Neheimer Kirche zu zählen und die leblosen Gestalten, die man immer noch in das Innere der abenddunklen Kirche trägt.

Im Wirtshaus, das Sprudel auch zum Waschen ausschenkt, weil kein Wasser vorhanden ist, werden die ersten erschütternden Einzelheiten bekannt - der tragische Tod einer Mutter beispielsweise, die vom Blöken des unruhigen Viehes erwacht und das Gehöft umspült sieht. Sie setzt ihre drei Kinder auf ein morsches Scheunentor und schwimmt dem provisorischen Floß nach, als sie voller Schrecken feststellt, daß das zerbrechliche Holz die Last eines erwachsenen Menschen nicht mehr trägt. So treibt sie Stunden auf dem Wasser, immer im Kampf mit den gelbbraunen, schmutzigen Wirbeln, durch die sie das Floß geschickt hindurchsteuert. Im Morgengrauen löst sich der Griff ihrer erstarrenden Hände, sie versinkt ohne Laut - die Kinder aber treiben gerettet ans Ufer.

Hinter Neheim ist die Gewalt der Flutwelle gebrochen, der man mit guten Beinen davonlaufen konnte. Die gewaltige Wasserwand ist zerstäubt, das breitere Ruhrtal nimmt das donnernde und tosende Element auf. Seen bilden sich - das Land ist völlig verwandelt. Der Schaden ist auch hier noch groß, soweit er die Wasserversorgung der Ruhrindustrie lahmlegt, allerdings haben sich die Menschen noch reitzeitig retten können und sind nicht von den hereinbrechenden Wogen aus dem Schlaf gerissen worden, wie es beispielsweise in dem engen Waldtal zwischen Neheim und Günne geschah, dessen Dörfer und Gehöfte dem ersten vernichtenden Anprall ausgesetzt waren."

Quelle: #1

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