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Jener 17. Mai 1943 ...

Diese Nacht kann man nie vergessen! Mögen auch hundert und nochmals Hunderte von Jahren vergangen sein, in den Häusern des Möhnetals und der Haar wird man von ihr erzählen.

"Wie ist das damals gewesen?" drängt es die Jungen immer wieder zu fragen, und die Alten werden sich anschauen, und einer von ihnen wird mit leisem Wort beginnen, obwohl er weiß, daß er nie und nimmer das große Grauen jener bösesten Nacht in seiner Erzählung beschwören kann.

Wahrhaftig, es gehört schon die Schau- und Gestaltungskraft eines Dichters Dante dazu, um den Totentanz der Heimat vom 17. Mai 1943 mit dem erzählenden Wort zu bewältigen. Die Frauen und Kinder aber, die in kommenden Zeiten vom Untergang des stillen Waldtales und der "Porta coeli" hören, werden erst immer wieder einige bange Herzschläge verspüren und nach einem notvollen "Barmherziger Himmel" aufatmen. Das Furchtbare ist vorbei. Es gehört der Vergangenheit an.

Kloster Himmelpforten - Gottes Lob durch 7 Jahrhunderte (Nachdruck des Originals von 1949 / Ausgabe 1993)Was können wir hier in dieser kleinen Schrift lebendig werden lassen vom Bild jener Katastrophe? Es ist nicht allzuviel. Das ist erklärlich. Wenige Dokumente sind uns nur zur Hand. Damals hat die verworfene Eilfertigkeit der Propaganda das Unheil in ihrer Weise "verkleinert" oder sogar schweigend zugedeckt. Groß war die Furcht vor der unverhüllten Wahrheit. Ein schwaches Abbild des Wirklichen können wir indes doch geben. Wir haben Augenzeugenberichte und ergänzen sie mit Zeitungsmeldungen, die nach dem Kriege den Weg in die Öffentlichkeit fanden.

Der Schreckensnacht ging einer jener erfüllten Maiensonntage voraus, die selbst in den Tälern unserer Heimat selten sind. Fern und weit schien der Krieg mit seinen Schrecken zu sein. Ja, das Möhnetal und die es umgebenden Höhen des Arnsberger Waldes und der Haar waren angefüllt mit Bildern stiller Idylle und arkadischer Heiterkeit. Wer ahnte das kommende Unheil, als die Sonne juwelenhaft glühend im welligen Gelände des Westens versank?. Wer hatte eine Ahnung der nahenden notgezeichneten Stunden, als die Nacht mondbleich und schön aus den Tälern stieg? Vielleicht hat noch mancher Freund der stillen Gotteswelt zur abendlichen Zeit am baum- und buschumrauschten Ufer der Möhne gestanden und die spiegelige Durchsichtigkeit des murmelnden Wassers bewundert. Er weiß es noch heute, wie es damals in silbrig-kupfernen Tönen vom Grunde aufleuchtete.

Das Angelusläuten war längst verklungen. Himmelpforten lag im Schweigen der Nacht und gab den Gedanken der späten Wanderer, die das Tal herunter kamen, ein ernstes Ziel. Der kleine Turm der Kirche wies wie eine stumme Gebärde nach oben. Sicherlich war der Pfarrer noch einmal um sein stilles Gotteshaus herumgegangen. Ja, die Kirchentür war verschlossen. Alles in Ordnung. Dann ist er sicher langsam in sein Haus zurückgekehrt, und ihm ist noch einmal ein Nachklang jenes heiligen Wortes durch den Sinn gegangen, um das er im Hochamt die Gedanken seiner Predigt legte: "Noch eine kleine Weile und ihr werdet mich nicht mehr sehen, denn ich gehe zum Vater!"

Gott bereitet des Menschen Tag, seinen Morgen, Mittag, Abend und seine Nacht. Immer noch stand das Schweigen über den Tälern und Höhen der Heimat. In ihm hörten die Menschen die Stimme des Herrn. "Und sie gingen nicht ohne ein inständiges Gebet an den Lenker aller Geschicke zur Ruhe." So lesen wir es in einem Augenzeugenbericht.

Bis dann, noch eine halbe Stunde vor Mitternacht, das Geheul der Luftschutzsirenen auflattert. Aber erst nach zwölf Uhr zieht sich die Wolke des Unheils zusammen. Das herzlose Pochen der Flugzeugmotoren ist zuerst in großer Höhe zu hören. Schnell sinkt es drohend hernieder. Und plötzlich steht die Welt im fahlen Blendelicht. Feuergarben von der Erde. Feuergarben vom Himmel. Aus den Gründen scheinen die glühweißen und bunten Bälle zu kommen, die von der Flak den Flugzeugen entgegengejagt werden. Und die Bordwaffen antworten. Längst schon ist die wärmende Farbe der mütterlichen Erde ihrer Vergessenheit entkleidet. Die Hölle ist geöffnet. Der Tod ist aufgehetzt. Unheimlich! Die Menschen werden in ihren Kellern festgehalten. Nur wenige Verwegene wagen es, vom Hofe oder Garten aus dem diabolischen Schauspiel zuzuschauen.

Was dann geschieht? Nur nicht an den unheimlichen Gedanken rühren: Wenn die Sperrmauer....! Gott, hilf uns!

"Die Luft erzittert mit einemmal von einem Rauschen und Dröhnen. Bersten und Krachen." So sagt der Augenzeuge.

Ja, die Sperrmauer bei Günne ist von einem Spezialtorpedo durchbohrt. "Die bisher gebundene Kraft von 140 000 000 Kubikmeter Wasser stürzt sich, Tod und Verderben bringend, in die Tiefe. Die schrecklichste Nacht des Möhnetals ist da!"

Mit diesen Worten sagt es uns ein Dokument, das am Tage nach der Katastrophe niedergeschrieben wurde und das wir heute in unseren Händen halten.

Und jene Nacht? Wie sah sie weiter aus?

Mit Gischt und Getöse sondergleichen peitschte der Wassersturz zu Tal, eine zehn bis zwölf Meter hohe vernichtende Flut. Wie ein ungeheuer hungriges Tier stürzte sie sich über alles, was Natur- und Menschenwerk war, es erbarmunglos verschlingend. Die lichte Helle der Maiennacht war eigentümlich zugedeckt. Wie mildherzige Hände hatten sich Nebelschleier und wolkige Gespinste über den heranbrausenden Greuel der Vernichtung gesenkt.

Der Morgen deckte Nebel und Ungewißheiten auf. Was war geblieben? Was war dahingegangen?

Kein Wort ist so eindringlich, als das es noch einmal die Ungeheuerlichkeit dessen, was da erlebt werden mußte, in das Gedächtnis zurückrufen könnte!

Das Schlimmste; so viele geliebte Menschen sollte man nie mehr sehen! Der Tod hatte sie in seine nassen, kalten Arme genommen.

Von Himmelpforten war nach Verlaufen des Wassers eine Wüste von Trauer und Trümmern zurückgeblieben. Siebenhundert Jahre frommen und aufbauenden Lebens schienen wie ins Nichts zerblasen. Ein Geröllfeld lag da, wo die "Porta coeli" gestanden hatte.

Unter dem lastenden Schutt fand man auch den toten Pfarrer von Himmelpforten. Seine letzte Predigt erklärte das biblische Wort: "Noch eine kleine Weile und ihr werdet mich nicht mehr sehen, denn ich gehe zum Vater."

Da rührt doch ein Geheimnisvolles an das innerste Wesen des Werdens und Vergehens. Ein Wort, tröstend, gleichnishaft. Wer es begreift, versteht wohl, warum neue Glocken eines neuerstandenen Himmelpforten zum neuen Beginn rufen.

Quelle: H. J. Berges in #1

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