- Einleitung
- Imma von Bodmershof wurde 1895 in Graz als Tochter von Baron Christian
von Ehrenfels, dem Begründer der "Gestalt" - Lehre ("Das Ganze ist mehr
und anders als die Summe der Teile") geboren.
- Dr. Wilhelm von Bodmershof,
den sie 1925 heiratete, lenkte
die Aufmerksamkeit auf sich als Autor der "Geistigen Versenkung", womit er sich
einen Namen machte als Sachverständiger der orientalischen Meditationsformen. Wichtiger
für uns aber ist seine "Studie über das Haiku", aufgenommen in I.v.B.'s
"Sonnenuhr" (Neugebauer Press, Bad Goisern, 1970) und auch aufgenommen in ihrem
letzten Band "Im fremden Garten" (Die Arche, Zürich, 1980). Nach mehreren
einzelnen Publikationen in Zeitschriften war diesen beiden schon 1962 "Haiku"
(Verlag Langen-Müller, München) vorausgegangen. den sie 1925 heiratete, lenkte
die Aufmerksamkeit auf sich als Autor der "Geistigen Versenkung", womit er sich
einen Namen machte als Sachverständiger der orientalischen Meditationsformen. Wichtiger
für uns aber ist seine "Studie über das Haiku", aufgenommen in I.v.B.'s
"Sonnenuhr" (Neugebauer Press, Bad Goisern, 1970) und auch aufgenommen in ihrem
letzten Band "Im fremden Garten" (Die Arche, Zürich, 1980). Nach mehreren
einzelnen Publikationen in Zeitschriften war diesen beiden schon 1962 "Haiku"
(Verlag Langen-Müller, München) vorausgegangen.
- Imma von Bodmershof
wurde erzogen in einem geistigen Klima,
das sie gleichsam vorbestimmte zu einer Schriftstellerlaufbahn. Seit 1937 erschienen von
ihr von Zeit zu Zeit Romane und Erzählungen (u.a. "Die Stadt in Flandern",
nachher neu bearbeitet als "Das verlorene Meer"). Sie verkehrte mit dem
Hölderlin-Kenner Norbert von Hellingrath, mit dem Bekanntenkreis von Stefan
George (1868 - 1933) und mit dem 20 Jahre älteren Dichter Rainer Maria Rilke (1875
- 1926). Von persönlichen Kontakten mit Gudi Nölke und ihrem nächsten Umkreis
inspiriert, zeigte Rilke schon geraume Zeit Interesse für die klassisch japanische
Poesie, was sich herausgestellt hat aus den Notizen in einem hinterlassenen Haiku - Buch,
aus seiner Korrespondenz, aber auch aus einigen Haiku, die er selbst geschrieben hat und
als solche betitelte. Aus seiner Schweizer Periode stammt: wurde erzogen in einem geistigen Klima,
das sie gleichsam vorbestimmte zu einer Schriftstellerlaufbahn. Seit 1937 erschienen von
ihr von Zeit zu Zeit Romane und Erzählungen (u.a. "Die Stadt in Flandern",
nachher neu bearbeitet als "Das verlorene Meer"). Sie verkehrte mit dem
Hölderlin-Kenner Norbert von Hellingrath, mit dem Bekanntenkreis von Stefan
George (1868 - 1933) und mit dem 20 Jahre älteren Dichter Rainer Maria Rilke (1875
- 1926). Von persönlichen Kontakten mit Gudi Nölke und ihrem nächsten Umkreis
inspiriert, zeigte Rilke schon geraume Zeit Interesse für die klassisch japanische
Poesie, was sich herausgestellt hat aus den Notizen in einem hinterlassenen Haiku - Buch,
aus seiner Korrespondenz, aber auch aus einigen Haiku, die er selbst geschrieben hat und
als solche betitelte. Aus seiner Schweizer Periode stammt:
- Entre ses vingt fards
- elle cherche un pot plein
- devenu pierre.
-
|
- Unter zwanzig Schminken
- sucht sie einen vollen Topf:
- er wurde zu Stein.
- Übers. M.Buerschaper
|
- Imma von Bodmershof
erhielt mehrere wichtige
Auszeichnungen: 1958 den "Großen österreichischen Staatspreis", 1965 den
"Kulturpreis des Landes Nieder-Österreich", 1969 das "Ehrenkreuz für
Kunst und Wissenschaft Erster Klasse", sowie den "Preis der Stadt Wien" als
Anerkennung für ihre Dichtkunst. erhielt mehrere wichtige
Auszeichnungen: 1958 den "Großen österreichischen Staatspreis", 1965 den
"Kulturpreis des Landes Nieder-Österreich", 1969 das "Ehrenkreuz für
Kunst und Wissenschaft Erster Klasse", sowie den "Preis der Stadt Wien" als
Anerkennung für ihre Dichtkunst.
Seit ihrer Ehe verwaltete sie mit ihrem Ehemann das Landgut
Rastbach im nieder-österreichischen Waldviertel, wohnte jedoch auch zeitweise in Wien.
Sie starb in Gföhl 1982. Im Nachruf, erschienen in der Zeitschrift "Apropos"
(Nr.3, 1982), schrieb Sabine Sommerkamp: "Die Freunde der Haiku-Dichtung
gedenken in tiefer Verehrung und Dankbarkeit einer großen Persönlichkeit und Dichterin,
die dem deutschsprachigen Haiku grundlegende Impulse gab".
Imma von Bodmershof verdankt die Bekanntheit vor allem Erwin Jahn,
der 30 Jahre lang deutsche Literatur lehrte an den Universitäten Kyoto und Tokio. Als
Kenner der japanischen Poesie lehnte er es ab einen abendländischen Dreizeiler mit 17
Silben ein Haiku zu nennen, wenn dieser nicht den formalen und inhaltlichen Kriterien
entsprach, die mit dieser Gestaltung verbunden sind. Gründlich vertraut mit der
japanischen Sprache und mit dem japanischen Lebensgefühl, schmerzte es ihn jedesmal
festzustellen, daß in den vorliegenden deutschen Haiku, oder was dafür gehalten werden
mußte, kaum die geringste Möglichkeit war zum Vergleich mit japanischen Beispielen. Das
gründliche Studium der japanischen Haiku führte ihn dazu - dennoch ohne Grund - die
Folgerung zu ziehen, daß echte Haiku im Westen nicht geschrieben werden können, weil es
keine Dichter mehr gibt, die so mit der Natur verbunden leben wie die alten japanischen
Meister. Es stellte sich heraus, daß er seine Meinung gründlich berichtigen mußte nach
der Publikation von I.v.B.'s "Sonnenuhr" und dem darin aufgenommenen Aufsatz
"Studie über das Haiku" von W.v.Bodmershof. Das Vorwort wurde geschrieben von
Robert Josef Koc (* 1914), von dem schon Ende der dreißiger Jahre ausgereifte deutsche
Haiku und Tanka bekannt geworden waren, entstanden in Japan und mit den japanischen
Landschaften und Jahreszeiten als Inhalt. Als Beispiel:
Mächtige Sturmwelle -
der Schlag deiner Kralle vertreibt
die Chidori - Möwen.
Mit R.J.Koc haben wir zum ersten Mal Kenntnis genommen von
vollwertigen deutschen Haiku. Er schien deswegen die richtige Person, ein Vorwort zu
schreiben für die "Sonnenuhr". Kaum lag das Manuskript bei Langen-Müller
Verlag für Beratung und Gutachtung, als in der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung" ein gut organisierter Aufsatz erschien von Erwin Jahn, in dem er das Haiku
zugrunde richtete.
Wir wiederholen hier, was wir im dritten Jahrgang, zweite
Lieferung der "Mededelingen van het Haikoe-centrum", Sommer 1980, geschrieben
haben:
"Dem Anspruch, daß im Westen kein Haiku möglich ist wegen
geringer Naturverbundenheit, fügte Jahn hinzu, daß diese Kunst nur aus tiefer
Verwobenheit mit der Zen-Kultur zustande kommen kann und daß eine wahre Zen-Hingabe dem
Abendländer fern ist. Es sah aus, als ob dieser Aufsatz das Manuskript von I. v.
Bodmershof vom Herausgebertisch wischen würde. Dr. Schondorf, Leiter des Verlages,
schickte das Manuskript zu Jahn selber mit der Mitteilung, daß sein Urteil entscheiden
würde, ob es publiziert werden könnte oder nicht".
Jahn's Antwort war für v. Bodmershof nicht nur überrumpelnd,
sondern sie leitete auch eine Freundschaft ein, die bis zum Tode Jahns dauern würde. Er
behauptete, daß "Sonnenuhr" allen Kriterien für die werdende deutsche
Haiku-Dichtung entsprach. Auch teilte er seine Begeisterung unumwunden seinen japanischen
Haiku-Freunden mit. All dies führte dazu, daß der Universitätsprofessor Shiniki
Hoshino der Poetin seine Aufwartung machte. Eine Reihe von Übersetzungen ihrer Haiku
erschienen in der japanischen Zeitschrift "Haiku". Im Hause Bodmershof fand man
immer eine freundliche Aufnahme, das 'Durchgangshaus' für berühmte japanische
Haiku-Dichter.
Die "Studie über das Haiku" war in der Evolution des
deutschen Haiku von nicht geringerer Bedeutung als "Sonnenuhr". Auch für
japanische Gelehrte gilt sie als maßgebende Einleitung zur Haiku-Welt; vorausgesetzt,
daß man annimmt, daß Haiku undenkbar ist - und I.v.Bodmershof liefert davon den Beweis -
ohne den Geschmack von Zen, der dem Dreizeiler seinen eigenen Zauber, seine
Leichtigkeit, seine Flüchtigkeit und seinen Existenzgrund erteilt. Ab und zu gaben die
Haiku-Theorien von W.v.Bodmershof Anlaß zu Kritk. Diese hatten offenbar Bezug auf die
japanischen Haiku, aber beeinflußt von der poetischen Tätigkeit seiner Frau, wurden sie
nach und nach abgeschwächt in solcher Weise, daß sie für jeden deutschschreibenden
Dichter als Ausgangspunkt und als Leitfaden dienen konnten. I.v.Bodmershof bewies, daß
der tiefere Sinn des Haiku und seine strenge Form ohne Problem sich miteinander vertragen
konnten. Es waren ihre Gedichte, die japanische Sachverständige, aber auch ihre
eigene literarische Umgebung davon überzeugten, daß deutsche Haiku perfekt sein können.
Die poetische Welt von Imma von Bodmershof
In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg haben immer mehr
Deutsche und Österreicher angefangen, sich für Haiku zu interessieren. Weil es auf den
ersten Blick nicht so schwierig schien, ein derartiges Gedicht von 17 Silben zu
realisieren, das - so wie man wenigstens dachte - nicht Vorschriften und Verboten
unterworfen war, machte man sich eifrig an die, Arbeit, so daß der Markt ziemlich
überspült wurde von allerlei Versuchen. Ein Vorteil schien durchaus damit verbunden: es
war ein edler Zeitvertreib und ein erster Schritt auf dem Weg zur Literatur. Die
amateurhafte Flutwelle hat in Deutschland und Österreich ihren Höhepunkt noch nicht
erreicht, aber seit 1960 können beide Länder sich freuen an einer wachsenden Anzahl
ernsthafter Haiku-Dichter. Ihre Kurzgedichte zeichnen sich meistens aus durch ein tiefes
Einfühlen in die Tradition, welche die Basis des Haiku bildet; damit verbunden ist das
Bemühen um sprachliche Kreation in den üblichen Formvorschriften. Die wichtigste unter
ihnen ist imma von Bodmershof.
Schon in ihrem Gedichtband "Haiku" aus dem Jahre 1962
hatte sie das klassische Silben-Schema angewendet. Mehr als die Hälfte folgt der 5-7-5
Regel. Für andere wendet sie eine abweichende, auch im klassischen Japan öfter
vorkommende Metrik an. Im Band "Im fremden Garten" (1980) hat sie eine Reihe
früherer Haiku aufgenommen, die sie neu gestaltete im Metrum 5-7-5 oder dessen Varianten.
Die Gedichte haben sich, sehr zu ihrem Vorteil, geändert in Kraft und rhythmischem Klang.
Gegen den Rat von Dr. Herbert Fussy (Autor von u.a. "Zur Geschichte des
deutschen Haiku"), der mit Recht behauptet, daß die äußerliche Geschlossenheit des
Haiku verstärkt wird durch Tilgung sämtlicher Interpunktionszeichen, beachtet sie die
Satzzeichen vielleicht etwas zu viel, mit Ausnahme des Gedankenstrichs, der als
'Schneidewort' fungiert.
zitierte Haiku aus "Sonnenuhr":
- Zog die Lade auf -
- die Farben sind vertrocknet
- der Pinsel ist steif.
|
- Von weißem Flieder
- verschneit ist die Quelle - selbst
- das Wasser duftet.
|
- Varianten auf das 5-7-5 Metrum begegnen wir u.a. in den folgenden
Haiku mit 7-5-5 und 5-5-7 Silben:
- Fernher weht Wind um das Haus -
- sag mir spürst auch du
- Salz auf den Lippen?
|
- Ist nichts in der Luft?
- Nichts - ein Sonnenstrahl
- und tausend Stäubchen tanzen!
|
- Sehr selten wendet sie das 5-7-7 oder eben das 7-5-7 Metrum an:
- Öffne das Fenster:
- Goldgrün im Osten - und hoch
- ein Adler über dem Meer.
|
- Meine Spur lag groß im Schnee
- als ich zum Wald ging -
- heimzu fand ich sie nicht mehr.
|
- Neben der Zahl an Varianten zur Ordnung der Verszeilen sind auch
sonstige Abweichungen des 5-7-5 Modells selbstverständlich für sie, unter der Bedingung,
daß der innere Rhythmus dazu den Takt angibt.
- Nicht die dichterische Expressionsform, die sich konzentriert um
Gruppen von Worten mit einer Totallänge von 17 Silben, sondern der Ausdruck einer völlig
erlebten Lebenserfahrung des Augenblicks, ist für sie von entscheidender Bedeutung:
-
|
- Fremdes Mondlicht
- auf der alten Sonnenuhr -
- wo gilt solche Zeit?
|
- Ihre Haiku sind eine Bewegung vom Geiste zum Ding, sowie es da ist
im Moment wo es sich meldet, unerwartet, ohne warum, so und nicht anders. Sie sind da,
ohne davon den Anschein zu wecken. Es sind 'Momentangedichte' (Werner Helwig), einem
Augenblick großer Intensität unterworfen:
- Spielende Kinder
- der Ball fliegt hoch noch höher -
- o eine Taube!
|
- Einsam die Biene
- schläft in der Sonnenblume -
- vergaß sie ihr Haus?
|
- Inhaltlich beachtet Imma von Bodmershof peinlich genau die Domäne
der Naturlyrik und verfolgt den Lauf der Jahreszeiten. Sie vermeidet Motive, die der
abendländischen Lebensweise fremd sind. Die Tendenz zum Rationalen deutet sich zum
Beispiel in den folgenden Haiku an:
- Nach jedem Aufschwung
- fällt die Schaukel zurück - wann
- gelingt der Umschwung?
|
- Im Mondlicht fallen
- rote Blätter doch den Ton
- hört keiner der schläft.
|
- Keiner im deutschen Sprachgebiet hat bis heute eine so große
Anzahl von Haiku geschrieben mit einer so bemerkenswerten Dichte. Hachiro Sakanishi,
Mitherausgeber der "Anthologie der deutschen Haiku" (Sapporo/Hokkaido, Japan
1978) sagt, daß mit I.v.Bodmershof zum ersten Male die Symbiose zwischen deutscher Poesie
und traditionellem japanischem Haiku zustande gebracht wurde. In einem Brief an eine
Freundin schreibt sie selber, daß es im Haiku vor allem um die Einheit von Inhalt, Form
und Rhythmus geht. "Man kann ein Haiku nicht machen", sagt sie, "man muß
ihm begegnen". Sie unterschätzt nicht den Schwierigkeitsgrad, dabei der Worte von
Onitsura (1661 - 1738) gedenkend: "Der Weg zum Haiku scheint flach zu sein, ist aber
tief; er sieht leicht aus, ist jedoch schwierig mitteilbar":
-
|
- Immer noch Dürre
- mein Brunnen gibt kaum Wasser.
- Will tiefer graben.
|
- Für I.v.Bodmershof ist die Zielsetzung der Haiku nichts anderes
als die Spannung, hervorgerufen durch die ebenso plötzliche als "unerwartete"
Einsicht in eine Erfahrung, und das Erstaunen, das damit Hand in Hand geht, in Worte zu
fassen. Es ist dennoch ihre tiefe Überzeugung, daß das in Worte fassen dieser höchsten
Erfahrung nicht entstehen oder gedeihen kann ohne längere geistige Übung. Die
Spontaneität, die Direktheit, die davon eine natürliche Folge ist, und der der Verstand
in letzter Instanz fremd ist, ist nichts anderes als die des Kindes an der Brust der
Mutter, das den Blüten zulächelt und mit dem Finger auf den Mond zeigt.
- Froststarrer Garten.
- Doch schien je der Mond so hell
- ehe der Reif fiel?
|
-
|
- So wie jedes gute Haiku ist auch dieser Vers der Niederschlag
einer Erfahrung, die sich identifiziert mit der plötzlichen Einsicht. Es ist ein
Erlebnisaugenblick, der den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt aufhebt und uns einen
unmittelbaren Blick gönnt auf das Unergründliche. Dieses Haiku sagt viel mehr als die
Worte bedeuten, die es zusammenstellen. Es verdankt seine Tragfähigkeit dem, was sich der
Wucht der Worte entzieht. Mit seiner Suggestivkraft und seinem Reichtum an Assoziierungen
läßt es zwischen der ersten und den folgenden zwei Zeilen genügend 'Weiß' übrig, um
dieses vom Leser ausfüllen zu lassen.
- Gerold Effert
in "Haiku in deutscher Sprache"
(Apropos, 1983 (3)) sagt, daß die Begrenzung auf 17 Silben den Lyriker zu äußerster
Sparsamkeit zwingt..., und daß er sich üben soll in der Kunst des Weglassens und
Aussparens. Er glaubt, daß Bild, Rhythmus und Klang das Ungesagte und nicht Aussprechbare
(das "Numinose") in Worte fassen müssen, und daß es die Aufgabe des
intuitiv-rezeptiven Lesers ist, die ungeschriebenen Signale des Haiku aufzufangen.
in "Haiku in deutscher Sprache"
(Apropos, 1983 (3)) sagt, daß die Begrenzung auf 17 Silben den Lyriker zu äußerster
Sparsamkeit zwingt..., und daß er sich üben soll in der Kunst des Weglassens und
Aussparens. Er glaubt, daß Bild, Rhythmus und Klang das Ungesagte und nicht Aussprechbare
(das "Numinose") in Worte fassen müssen, und daß es die Aufgabe des
intuitiv-rezeptiven Lesers ist, die ungeschriebenen Signale des Haiku aufzufangen.
-
- Imma von Bodmershof berücksichtigte
in späteren Jahren mehr
denn je die strengen Formvorschriften und bearbeitete eine Menge ihrer früheren Haiku
aufs neue. Vor allem ihre scheinbar mühelos niedergeschriebenen Verse aus
"Sonnenuhr" zeichnen sich aus durch ihre Natürlichkeit, ihre
Selbstverständlichkeit und ihre Frische. So wie jeder Haiku-Dichter nahm sie als Tatsache
an, daß die wirklichen Worte eines Haiku während einer momentanen Einsicht zustande
kommen, aber daß nachträglich manchmal lange poliert werden muß. Auch sie wußte, daß
ihr selten ein fix und fertiges Geschenk in den Schoß geworfen wurde: in späteren Jahren mehr
denn je die strengen Formvorschriften und bearbeitete eine Menge ihrer früheren Haiku
aufs neue. Vor allem ihre scheinbar mühelos niedergeschriebenen Verse aus
"Sonnenuhr" zeichnen sich aus durch ihre Natürlichkeit, ihre
Selbstverständlichkeit und ihre Frische. So wie jeder Haiku-Dichter nahm sie als Tatsache
an, daß die wirklichen Worte eines Haiku während einer momentanen Einsicht zustande
kommen, aber daß nachträglich manchmal lange poliert werden muß. Auch sie wußte, daß
ihr selten ein fix und fertiges Geschenk in den Schoß geworfen wurde:
- O diese Haiku!
- Wollte abends eins nachsehn
- schon naht der Morgen.
- Ohne sklavisch nachzuahmen, berücksichtigte sie das Faktum, daß
das westliche Haiku steht und fällt mit der Achtung der Ausgangspunkte. Für eine Poesie,
die die persönlichen Gefühle und Erfahrungen oder das Gedankengut eines Dichters
ausdrückt, sah sie andere Versformen als das Haiku und hielt sie ein japanisches Modell
nicht für notwendig.
- Mit Unbehagen betrachtete auch Hajo Jappe, selbst
Haiku-Dichter, die nicht ablassende Flut von Pseudo-Haiku, die jede Tiefe vermissen. In
"Apropos" (2/1982) ruft er die Prinzipien von Haiku ins Gedächtnis zurück -
ohne welche es einfach nicht geht - in einer Abhandlung über I.v.Bodmershof. Er verweist
auf die Studie ihres Mannes in der alle Elemente enthalten sind, die als Ausgangspunkt
eines Haiku dienen.
- Alle Haiku von I. v.Bodmershof haben ein Bild als
Ausgangspunkt. Einige Worte genügen, um einen Eindruck wiederzugeben. Dieser Eindruck ist
jedoch nicht das Endziel, sondern Federbrett, von dem sie den Sprung ins Unsagbare wagt.
Ein Haiku-Dichter, der meint, an der puren Aussagekraft des Bildes, gespeist (jedoch
geschieden) von der sinnlichen Welt, noch etwas zusetzen zu müssen, untergräbt die
evokativen Kräfte des Haiku, trübt dessen Transparenz und erstickt das Echo, das er
wachrufen will:
- Der Mittagswind weht
- aus dunklen Wellen springen
- goldweiße Blitze.
|
- Hierfür gibt es kein anderes Wort als das japanische makoto
(Wahrhaftigkeit, nicht zu verwechseln mit: Wahrheit, die des Geistes ist), hergeleitet von
dem Wortschatz der Waka-Dichtkunst. Die Fälschung des spontanen Gefühls lehnt sie mit
triftigen Gründen ab. "Die zarten Insektenstimmen dieser Gedichte", sagt Erwin
Jahn (in "Fallende Blüten", Die Arche. Zürich, 1968) "verfügen über die
Kraft, durch verhärtete Schichten in das Innere des Hörenden vorzudringen, bis zu einer
Schwelle, wo eine andere Art des Aufhorchens einsetzt".
- Imma von Bodmershof spricht nur selten über eine
Erfahrung, sie faßt das Erlebnis selbst in die Worte. Sie betrachtet die Dinge in ihrer
Unwiederholbarkeit, in ihrer Art und Weise zu sein ohne weiteres:
- Zwischen den Scherben
- der braunen irdnen Schale wie hell glänzt der Reis.
|
- Ihr Erfahrungshorizont beschränkt sich nicht auf den Unterschied
äußerlicher Formen, Bildimpressionen, einer Pseudo-Wirklichkeit. Ihr Gedicht ist - vor
allem - gebunden an die blitzhafte Einsicht, wobei die Sprache in ihren Strukturen, ihren
Vorschriften, ihrem Ritual als "Mittel" fungiert. Diese ist dennoch ästhetisch,
rhythmisch, wohlklingend, sie gehorcht strengen prosodischen Normen:
-
|
- Im hohlen Strunk der Weide
- nistet ein Grünspecht.
- Laut klingt sein Lachen.
|
- So wie I.v.Bodmershof bei der Wiedergabe der äußeren
Bildimpression sich einer leichten Andeutung bedient, so benutzt sie das ganze Gedicht
seinerseits als Andeutung dessen, was sich den Sinnesorganen entzieht und sich in seiner
eigenen Tiefe bewegt. Das Bild an sich ermüdet ja schnell:
- Der große Fluß schweigt
- manchmal nur tönt es leis
- tief unter dem Eis.
|
-
|
- Neben manchen anderen Haiku ist auch dieser Vers ein Brett für
den Sprung in das Unbekannte. Den Salto muß der Leser selbst vollziehen.
- Oftmals habe ich einen Vergleich gezogen zwischen
Haiku und Ikebana, das wörtlich lebende Blume bedeutet, und das ursprünglich weit
entfernt ist von der herrschenden Ansicht des Blumen-Arrangierens. In diesem letzten
überwiegt ja das Ich, das mit den Blumen gemäß rationellen Ansichten hantiert. Das
Wesentliche in Haiku und Ikebana ist jedoch die Intuition, die von einer komplett anderen
Auffassung ist als das Arrangieren der Elemente zu einem annehmbaren und harmonischen
Ganzen. So wie man bei Ikebana sich bemüht, das Wesen der Blume zum höchsten Ausdruck zu
bringen, ist man beim Haiku bestrebt, das Wesen der Welt und der Dinge in
einer augenblicklichen Impression zu fassen und festzuhalten. Die Spannung, die beim
Blumenarrangement zwischen den Hauptzweigen entsteht, ist eigentlich keine andere als
jene, die im Haiku durch die Wechselwirkung der drei Verszeilen
hervorgerufen wird. Man nimmt an, daß in dem gelungenen Haiku die Klangdauer der zwei
kürzeren Zeilen in tiefgehendem Zusammenhang steht mit der Klangdauer der längeren
Verszeile, was auf Einheit und Harmonie hindeutet. Es gibt noch mehr. Nebst genannter
Wechselwirkung - der Hintergrundbegleitung - gibt es auch die intensive Bewegung. Diese
wird in Gang gebracht durch den Haiku-Moment, der eine Spannung zustandebringt, die
technisch auf mehrfache Weise zum Ausdruck kommen kann.
- Zwei Pole
- Die Bewegung in den Haiku von Imma von
Bodmershof wird meist hervorgerufen durch das Bauprinzip von zwei
kontrastierenden Polen. Diese Bewegung ist am meisten auffallend, wenn sie nicht gradlinig
stattfindet, sondern eine Wendung nimmt innerhalb des Verlaufs des Gedichtes:
- Fast hundert Schlüssel -
- das Kästchen mit dem Juwel
- öffnet mir keiner.
|
-
|
- Fast hundert Schlüssel und keiner
sind in diesem Haiku die zwei Pole, zwischen denen die Worte sich rhythmisch bewegen. Die
blitzhafte Wendung findet sofort nach dem Gedankenstrich statt.
-
|
- Nur ein Tropfen scheint
- mir der Teich vor dem Fenster
- seit ich das Meer sah.
|
- In diesem Haiku sind die eingebauten Pole (Tropfen
- Meer) ganz offensichtlich. Der nicht markierte Wendepunkt, eine kurze Pause
einläutend, kommt unmittelbar nach Fenster.
- Das nächste Haiku vollzieht sich scheinbar ohne
Atempause, wenn es auch hier und dort unterbrochen wird durch einen fast unauffällig
unterdrückten Schluchzer:
- Aus meinen Händen
- rieselt der Sand ganz langsam zurück in das Meer.
|
-
|
- Das 5-7-5 Verhältnis des Lautwerts wird hier
erreicht in drei ausgeglichen aufgebauten Verszeilen. Die durch die Pole (Händen -
Meer) bedingte Bewegung steht im Dienste des verborgenen Sinns. Das Geheimnis des
Lebens wird ertastet in einer tiefgehenden Grübelei. Der höchste Zauber dieses Haiku
steckt in der Ungreifbarkeit. Der Begriff der Zeitlichkeit wird aufgehoben.
- I.v.Bodmershof deutet die von ihr erwähnte
Wende zum verborgenen Sinn immer so an, daß der geübte Leser diese problemlos
nachvollziehen kann. Im nächsten Haiku kommt sie nach Ast: die von ihr erwähnte
Wende zum verborgenen Sinn immer so an, daß der geübte Leser diese problemlos
nachvollziehen kann. Im nächsten Haiku kommt sie nach Ast:
-
|
- Alter Apfelbaum
- hat bloß einen Ast. Der trägt
- Knospe an Knospe.
|
- Der Zustand der Konzentration, der Disziplin,
womit Imma von Bodmershof den Haiku-Moment (in casu: die Verwunderung, das
Erstaunen über den Kontrast Alter Apfelbaum - Knospe) übermittelt, bestimmt die
Form dieses Haiku. Charakteristisch ist, daß das Haiku wie ein gewaltiges Echo den Leser
erreicht, obwohl hinter Ast ein Punkt gesetzt ist; seine Worte treffen zusammen mit dem
Haiku-Moment und funktionieren sofort.
- Leichthin fährt das Boot
- im sanftgeblähten Segel
- unsichtbaren Wind.
|
- Dieses Haiku ist viel mehr als die Wiedergabe
eines Stimmungsbildes. In Einklang mit dem Existierenden ist seine Aussagekraft das
Ergebnis einer inneren Spannung, die in tiefe Ruhe übergeht. Die zwei Pole dieses Haiku (Leichthin
- Wind) sind nicht kontrastierend, jedoch komplementär. Was man hier feststellt, ist
sorglose Freude an dem Leben und der Natur, das Gefühl des Einswerdens mit dem
Geschaffenen und dem Schöpferischen.
- Im folgenden Haiku, in dem die Dinge mehr als je
zu Wort kommen, erscheint die Welt als ein bis auf einige Elemente reduziertes
Bruchstück:
- Mondlose Frostnacht
- die Rehe scharren nach Moos
- mit wunden Läufen.
|
-
|
- Wie auf einem uneingerahmten Tuschebild reden die
Dinge hier nur um zu schweigen und schlagen uns in Bann durch Sprachlosigkeit. Die
besondere Erlebnisweise, die hinter diesen Versen steckt, ist für den unvorbereiteten
Leser vielleicht schwer zugänglich. Auf die Schönheit dieses Haiku mit seinem Schimmer
von Askese, seiner Einsamkeit in der Zeit und seinen vielen Assoziationen können wir im
engen Rahmen unserer Betrachtung nicht eingehen.
- Die Haiku von I.v.Bodmershof zeichnen sich
aus durch ihre Ungekünsteltheit und Direktheit. Obwohl sie das übliche Schema anwendet,
wirkt dies nicht störend für die Moment-Aufnahme. Im nächsten Haiku, aufgebaut gemäß
dem 5-5-7 Schema, rührt uns die schöpferische Fähigkeit der Dichterin, da sie in einer
scheinbar nichtssagenden Mitteilung eine Welt von Einfachheit und Unschuld darzustellen
vermag:
-
|
- Mit trocknen Füßen
- laufen die Spinnlein
- über das tiefe Wasser.
|
- Trocknen Füßen und tiefe Wasser, die
beiden Pole dieses Haiku, liegen auf der gleichen Längsachse und ergänzen sich
gegenseitig. Die kaum suggerierte dichterische Emotion klingt authentisch. I.v.Bodmershof
bezeugt selbst, daß dieser Vers in einem Zug zustande kam. Der gebildete Leser läßt
sich mühelos ein auf die tieferen Bedeutungsstufen. Das wiederholte i spielt hier
eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das flüssige l von laufen und
Spinnlein gewährt dem Vers Schwung und Rhythmik. und tiefe Wasser, die
beiden Pole dieses Haiku, liegen auf der gleichen Längsachse und ergänzen sich
gegenseitig. Die kaum suggerierte dichterische Emotion klingt authentisch. I.v.Bodmershof
bezeugt selbst, daß dieser Vers in einem Zug zustande kam. Der gebildete Leser läßt
sich mühelos ein auf die tieferen Bedeutungsstufen. Das wiederholte i spielt hier
eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das flüssige l von laufen und
Spinnlein gewährt dem Vers Schwung und Rhythmik.
- Einfachheit, Schlichtheit und Aufrichtigkeit sind
auch die Merkmale des nächsten Haiku, in dem das fünfmal wiederholte r den
stöhnenden Laut des zerbrechenden Mastes suggeriert:
- Dieser Frühlingssturm
- er droht den Mast zu brechen meinem kleinen Boot.
|
-
|
- Es ist überdeutlich, daß Imma von Bodmershof in
ihren frei atmenden Versen ihre eigene Stimme findet, die nicht die Stimme eines
Formkünstlers oder Spracharchitekten ist, sondern die des eigenen Herzens. Falls
Stimmungen wachgerufen werden, sind diese dennoch im Einklang mit dem Bestehenden und
bleibt die persönliche Gemütsverfassung im Hindergrund. Ihre Haiku bieten immer wieder
neue Horizonte. Die didaktische Absicht, so verhängnisvoll für Haiku, fehlt völlig. In
der gleichen Atmosphäre wie das letzte Haiku lesen wir auch:
-
|
- Sturm poltert ums Dach
- hart schlägt Regen ans Fenster - lautlos wächst der Tag.
|
- Die Hintergrundmusik von Vokalen und Konsonanten
wird rhythmisch hinaufgetrieben durch das peitschende, bis zu sechsmal wiederholte r, die
sausenden, reichlich benutzten s. Sturm steht hier gegenüber lautlos. Zwischen
diesen zwei Polen ist alles möglich. Nur der Tagesanbruch stellt sich schweigend über
diese nutzlose Gewalt.
- Der Leser wird wohl wahrgenommen haben, daß viele
Haiku von I.v.Bodmershof als Fragesatz geschrieben sind. Solches bietet ihr - was
aber nicht - zur Regel werden darf - die Zusatzmöglichkeit, dem Haiku einen Mehrwert zu
verleihen. Der Interpretationsraum wird hier extra erweitert dadurch, daß man die Antwort
sowieso unentschieden läßt. Das ist der Fall im nächste Haiku, das - obwohl ganz gewiß
nicht so gemeint - stark an das Senryu anlehnt:
- Nacht. Nur ein Kater
- ein Wachmann der volle Mond -
- was suchen die drei?
|
-
|
- In diesem Vers, der sich sehr gut für eine flotte
Lektüre eignet, melden sich gleichzeitig Wachmann (in Österreich: Polizist), Kater, Mond
- die letzten beiden stark anthropomorphisiert - mit Absichten die, nur leicht suggeriert,
zu vielen Betrachtungen Anlass geben können. Mit den vielen gelungenen Ausdrücken - in
einer Mondnacht, die an sich schon geheimnisvoll genug ist - und mit den wachgerufenen
Gefühlswerten kann man viele Richtungen wählen. Dieser Vers ist aber gerade nicht ein
Senryu, weil die Bestandteile dieses Dreizeilers, verschmolzen mit dem Ganzen des
Naturbildes, ein Volumen schaffen, das nicht meßbar ist. Der Verstand reicht gerade nicht
aus, die Bestandteile in entscheidender Weise auszuloten und ihnen - wie paradox auch! -
ein menschliches Gesicht zu geben. Die Spannung, die implizit eingebaut wurde in diesem
Haiku, das einen gewissen surrealistischen Anstrich hat, läßt nicht nach, weil sich
keine der Parteien in die Karten schauen läßt oder ihre Ansicht zu erkennen gibt. Ein
Haiku ist ja nicht statisch sondern dynamisch, in dem Sinne, daß es aufblitzt aus der
Intuition in einem Augenblick. der sich manifestiert in der Zeit, aber andrerseits
zeitlos, einmalig und unteilbar ist.
- Imma von Bodmershof bedient sich dabei des
Naturbildes auf eine solche Weise, daß die Grundstimmung bei der Beobachtung, die
Assimilation und die Wiedergabe, unausgesprochen mitklingt. Es muß für sie ein
begnadeter Augenbklick gewesen sein, als sie das folgende Haiku schrieb:
-
|
- O dieser Seewind!
- Selbst die Krähen trägt er heut
- wie Möwen dahin.
|
- Mit dem unbestimmten dahin wird eine Welt sichtbar, die
zeitlos, unergründlich und unermeßlich ist.
- Wie in jedem wahrhaften Haiku ist auch hier die Grenze zwischen
Symbol und Personifizierung äußerst gering.
- Schlußendlich dienten I.v.Bodmershof die Anwendung
von Formvorschriften - die Prosodie - und die Beachtung der wichtigen Grundprinzipien des
Haiku dem versteckten Sinn, dem Geheimnis des Lebens selbst, nicht der Literatur.
Nirgendwo steht solches klarer in Worte gefaßt, als in diesem Haiku aus dem Herbst ihres
Lebens:
- Spät im Abendlicht
- leuchten fern Bergpfade auf - andre als mittags.
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- Nur für diejenigen, die lange und reiflich über Haiku nachgedacht
haben, werden diese Bergpfade sichtbar.
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- (Dieser Aufsatz erschien in Vuursteen 8 (3): S.81-93 (1988))
- Übersetzung: Marianne Kiauta unter Mitarbeit von Conrad Miesen
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