Wer oder was sind Engel?
Wenn man statistischen Erhebungen (aus dem Jahre 2007) mal trauen will, dann glauben allein in Deutschland fast 70 Prozent der Menschen an Engel. Das ist sehr bemerkenswert und wird noch gediegener durch die Erhebung, nach der weit weniger Menschen an Gott glauben. Da stimmt doch was nicht, oder? - Geht man praktisch an die Sache heran, dann wird einem schnell klar, was Menschen bewegt. Der Mensch ist so vielen Gefahren und Unsicherheiten ausgesetzt, er fühlt sich einsam, unterlegen, schwach, angegriffen - auch der «starke» Mensch hat schwache Momente - und da muss es einfach Hilfe geben, übernatürliche Hilfe, die dem in sich unstabilen Menschen beisteht. Da gebiert allein schon die Sehnsucht nach Schutz etwas, das hilft, ein Wesen, einen Schutzgeist, ein Totem, einen Engel. «GOTT» ist einfach zu abstrakt, zu groß, zu wenig greifbar, der Mensch soll IHN sich ja nach den heiligen Texten nicht einmal vorstellen. Darum wenden sich Menschen nicht gern an so etwas Unfassbares, denn es ist kein wahrzunehmendes «Gegenüber».
Sehr beliebt ist der sogenannte «Schutzengel», an den fast jeder mal appelliert, sei es bewusst oder unbewusst. Dessen Beistand nimmt auch der «Ungläubige» in Anspruch, dafür sorgt schon sein Unterbewusstsein. Der «Schutzengel» wandert mit einem mit, wie ein starker unsichtbarer Freund. In persönlichen Krisen und Gefahrensituationen ist der Mensch schnell mit seinem Verstand am Ende, er wird hoffnungslos und verzweifelt, «es wird eng», und hier übernimmt das Unterbewusstsein die Steuerung und schiebt den überforderten Verstand einfach beiseite. Das bekannte Stoßgebet findet seinen Einsatz. Wie oft hört man den Satz: «Da muss ich wohl einen guten Engel gehabt haben!». Unerklärliches passiert, glückliche «Fügungen» ergeben sich, «Wunder» geschehen.
Die drei abrahamitischen Religionen, das Judentum, das Christentum und der Islam kennen ganze Hierarchien von Engeln, man kennt systematische Himmelsordnungen und Namen, die auf die Funktionen dieser Himmelsboten hindeuten. Der Engel ist ein aktiver Part im kosmischen Geschehen. Eigentlich ein reines Geistwesen, manifestiert oder emaniert dieses Wesen sich, wenn es optisch in Erscheinung treten will. Wie sollte der sinnesabhängige Mensch es sonst auch deutlich und klar wahrnehmen? Das fällt sehr unterschiedlich aus.
 Es gibt alte Schriften, in denen Engelerscheinungen sehr malerisch und pompös beschrieben werden, man lese auch in der Offenbarung des Johannes nach oder im Buch Hesekiel oder bei Jesaja. Manchmal merkt ein Tier schneller als ein Mensch, dass da ein Engel vor ihm steht, siehe Bileam und seine Eselin im Buch Numeri (4. Buch Mose). Der Engel kann sogar die ganz normale Gestalt eines Menschen annehmen, wie es im alttestamentarischen Buch Tobit vorkommt. Da ist es der starke Engel Raphael persönlich, der den jungen Tobias auf seiner Reise begleitet und ihm die nötigen Hilfen gibt, ohne die er nicht hätte zurechtkommen können. Erst nach Vollbringung aller Dinge offenbart sich der Engel.
Der Mensch fürchtet sich, wenn ein Engel erscheint, denn selbst ein «kleiner» Engel entsendet Kraftfelder, die ein Mensch nicht aushalten kann - und darum ruft der Engel ihm zu: «Fürchte dich nicht!» - und «verkleinert» sich. Wenn man nach dem Aussehen eines Engels fragt, dann gibt es tausend Antworten, die unterschiedlich sein können, denn die Engel sind verschieden und passen sich dem Erfahrungshorizont des Menschen an. Wenn ein Engel mir erscheinen will und mich positiv beeinflussen will, dann wird er sich mir in angenehmer Weise präsentieren. Er könnte mich auch furchtbar erschrecken, wenn er mich von etwas abhalten will.
Das Wesentliche für mich, den Künstler, sind ein paar essentielle Formen, wenn ich Engel male. Ganz wesentlich ist das Gesicht, das Antlitz, aus dem der ganze Ausdruck erstrahlen muss. Es sind bei mir schematisierte Gesichter, keine wirklichen «Portraits», es geht um ein meditativ erfassbares Gegenüber. «Lasse Dein Antlitz leuchten über uns!» - Ich will ein Gesicht sehen, wer bist du, wie siehst du aus, das will ich ja schon beim Menschen vordringlich wissen, dann also auch beim Engel!
Daneben sind selbstverständlich die Flügel wichtig. Was wäre ein Engel ohne Flügel? Geht gar nicht! Die Flügel symbolisieren ja gerade die Sphäre des Engels, der überall hin unabhängig von physikalischen Grenzen gelangen kann. Er durchfliegt Dimensionen, nicht physisch, sondern geistlich, seine Flügel sind die symbolisierte Energie. Je mehr Flügel ein Engel hat, umso höher ist sein Rang. Dann braucht er gelegentlich noch Hände, die sein Bewirken, sein Tun kennzeichnen.
In meiner Malerei verschmelzen oftmals Hände mit Flügeln, man weiß gar nicht immer, ob es sich um eine Hand oder einen Flügel handelt.
  Meine Engel haben zumeist eine ähnliche Gesichtsform, die schematische Grundform, die nur wenig variiert wird, denn letztlich ist es ein Gesicht, das Antlitz schlechthin. Die Körper differieren stärker. Manchmal gibt es einen menschenartigen Körper, meistens aber besteht der Korpus eher aus einem Flügelgewirr und auratischen Feldern. Es gibt Assoziationen zu chinesischen Glücksdrachen, etwa im Herz-Hand-Engel, mal clowneske Buntheit wie bei einem Kindergeburtstag im Engel der Freude, dann gibt es aber auch wieder strenge, beinahe archaische Strukturen in der Darstellung, die Assoziationen an eher düstere mittelalterliche Bilder eröffnen können, etwa im Ashriel. Gotik ist da drin, auch in der Bedeutung des englischen Worts gothic.
  Oft herrscht unbekümmerte Farbenfreude vor, die an mittelamerikanische Malereien der Azteken oder Maya oder Inka erinnern kann, zum Beispiel im Engel der Herzenswege. Dagegen steht dann wieder dunkle Malerei, die mit hellerer Zeichnung durchsetzt ist, wie in Stammesbemalungen oder im Voodoo-Kult. Man betrachte die Engel Maha Maddom oder Barakiel. Alles ist da. Meine Engel durchmessen die ganze Farbenvielfalt, die ganze Palette von Empfindungen und Kräften.
 Die Kunstgeschichte kennt die verschiedensten Darstellungen, aber die wenigen «Basics» sind gleich. Mit «Basics» meine ich die zumeist menschlichen Gesichtszüge des Engels und seine Flügel, oft ist selbst der Körper des Engels menschlich gestaltet, lediglich durch Flügel bereichert. In der Bibel erscheinen manche Engel als junge Männer, etwa die beiden Männer, die zu Lot und seiner Familie nach Sodom kommen und diese vor der Vernichtung retten. Oder die drei Männer, die zu Abraham kommen und ihm die Geburt eines Sohns mit seiner geliebten Sarah verkünden.
Höherrangige Engel, etwa die Seraphim, werden auf der Bundeslade des Mose dargestellt, Sechsflügler. Die hohen Engel treten nicht direkt mit dem Menschen in Kontakt, nicht aus Arroganz, sondern weil es nicht ihre Aufgabe ist und sie obendrein den Menschen vernichten würden aufgrund ihrer viel zu großen Ausstrahlung.
 «Wer kann Gott sehen und bleibt am Leben!» heißt es, als Moses selber den Wunsch äußert, Gott einmal zu schauen. Der Engel ist ja ein verkleinerter Aspekt Gottes - und immer noch zu stark für den Menschen! Im Fall des Moses am Sinai darf eben dieser Moses gerade einmal den Rücken Gottes sehen und steckt dabei noch in einer Felsspalte. Und dadurch verändert sich das Gesicht des Moses, sodass sein Volk fortan erschrickt und Moses ein Tuch vor dem Gesicht trägt. Das Gesicht des Mose leuchtete so stark, dass Entsetzen aufkam. (Ex 33,17-23) Das Schöne und das Schreckliche sind scheinbar Geschwister.
Wenn man nun etwa in der Bibel liest, dann kommt man auch an die Stellen, an denen von gefallenen Engeln gesprochen wird, vom Satan, vom Morgenstern, von Luzifer, dem «Lichtträger», von den höllischen Legionen. Woran erkennt man «böse» Engel, die dem Menschen Schaden und Vernichtung antun wollen? - Vermutlich an den Auswirkungen, vielleicht schon an den negativen Schwingungen - ich weiß es nicht!
Schließlich kommt zu jedem Lebewesen, auch zum Menschen einmal der Tod, bildlich auch der Todesengel. Er ist kein «Böser», aber man wird ihn wahrscheinlich dafür halten, wenn man «dran» ist - alles ist relativ.
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