Text: Kathrin Krumbein |
Warum sich eine ganze Theatergruppe für den Suizid entschied
Wir haben den Telefonanschluß schon herausgezogen. Das Klingeln nervt. Albrecht hat den Stecker vom AB noch dringelassen. Ihn amüsiert, wie rasant die rote Zahl im schwarzen Fenster steigt. Auf 99 warten wir noch, meint er. 3 Stellen gibts nicht. Das wär doch ein Startschuß. Wetten und Spiele bis zum Schluß. Ich warte auf den großen qualitativen Sprung zum Todesernst. Aber alles gestaltet sich wie immer: doch zu viele Pizzas mit Salami holen lassen. Auf einmal wollen alle vegetarisch, aber das dann ohne Zwiebeln und Adrian bleibt auf der Rechnung sitzen. Es wird lahm gewitzelt: wie wärs mit ner Orgie, after all, der geile Ballettmeister und seine heißen Miezen, Höhepunkt, Höhepunkt. Die Dramaturgie des Höhepunkts. Aber will ich tatsächlich in den letzten Minuten meines Lebens noch nähere Bekanntschaft mit Olis Eiern machen? Wenn Sie mich so fragen, nö.
Je nun, Fragen gibt´s genug: per Fax, per email, Einladungen zu Interviews, Engagements, Festivalanfragen, überrejonal, sag ich nur, ach was sag ich: internationaal. Nach der Life Art nun die Death Art. Bißchen skrupulös formuliert manchmal, aber zwischen den Zeilen unüberhörbar: Können Sie sich nicht bei uns umbringen? Auf einmal diese überwältigende Nachfrage, wo wir uns seit Jahrzehnten zu Markte schleppen. Alles absahnen und dann doch nicht Exitus? Ich sag ihnen, die würden noch nachhelfen. Wär ja auch für den Veranstalter eine Blamage. Überführungskosten interessieren mich nicht. Irgendwo hörts auf. Die müssen ja auch noch was tun für ihr Geld. Abgesehen davon wird auch nicht mehr viel übrigbleiben zum Überführen.
Wir befinden uns in einem alten Teil des Universums, wo kaum noch etwas Beachtenswertes geschieht, während woanders durch Explosionen immer noch neue Galaxien entstehen. Wir werden explodieren. Wir sind die neuen Sterne.
Wann haben wir angefangen, diese Antragslyrik für Botschaften zu halten. Ich weiß doch, wer sie geschrieben hat, b.zw. wer sie bei Godard abgeschrieben hat. Wann war das wahr: wir explodieren! wir tuns! Es war kein Moment des Mangels: wenn Michael mir noch einmal das Mikro nicht rechtzeitig reinzieht, reichts oder: wie kann man nur 10 Bühnenjahre alt werden, ohne in der Lage zu sein, ein Geländer an eine Tribüne zu schrauben.. da könnt ich lebenslang fluchen, das hält einen doch frisch. Vielleicht war es die Hausaufgabe (wir machen ja Hausaufgaben, ganz dumm deutsch; exercise klänge vielleicht besser, aber wir haben die
Antiprovinz-Strategien eben zu spät anlaufen lassen und da wars schon Gebrauch und Sitte):
Wenn du sterben müßtest, wäre es Dir dann lieber, wenn du es vorher wüßtest, oder wenn es plötzlich geschehen würde. Wenn du dich nicht entscheiden kannst, finde einen Kompromiß.
Den hat der Schneider dann auch gefunden. Situation: ein abgeschirmter Raum mit Einsicht per Kameras; so weit, so abgestanden. Wir haben alle Big Brother gesehen. Anordnung: eine
Theatergruppe, eine performance, wenn man so will, ein Bündel Dynamit. Lucky Luke-mäßig: Haufen Stangen, Seil drum und Lunte - Fernzündung allerdings, vor den Zuschauersitzen der Knopf. So groß wie auf dem Seniorentelefon der Telekom. Paar Blindgänger darunter, versteht sich: soll ja auch keiner traumatisiert werden von unseren Mörderlein. The show goes on, alle halbe Stunde die Anfrage. Bei mehr als 50 % sagt das Expertenteam olé und dann zündelt die Zündung. Expertenteam war nicht unsere Idee. Schneider wollte einen Imperator, ganz klassisch: Morturi te salutant. Wird halt jeder geprägt, der eine bei Asterix, der andere bei Wim, Wum und Wendelin. Da streit ich mich nicht mehr.
Was wird in unseren Nachrufen stehen: Menschen haben sich verirrt?
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