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FORMAT, Nr. 31 / 26. Juli 2002 - wöchentliches Nachrichtenmmagazin aus Österreich

"So, jetzt müssen Sie entscheiden"

Ein Interview von Klaus Kamolz mit Katja Baumgarten zum Film MEIN KLEINES KIND

Im Juni 1997 erfuhr die deutsche Hebamme und Filmemacherin Katja Baumgarten, dass ihr Kind schwer behindert sein würde. Sie entschloß sich, es auszutragen und den Schicksalsschlag filmisch unter dem Titel "Mein kleines Kind" zu bearbeiten.


FORMAT: Der Film behandelt Ihre Schwangerschaft mit einem schwer fehlgebildeten Kind. Hatte diese Arbeit auch therapeutische Bedeutung für Sie?

BAUMGARTEN: Dass die Gesellschaft mir in Gestalt des Arztes mitteilte, daß ich jetzt entscheiden müsse, ob ich das Kind kriege oder nicht, war ein tiefer Schock.Ich wollte mit dem Film zeigen, dass das alles nicht so einfach ist. Ich spürte Empörung und großen Widerspruch.

FORMAT: Wie wurde Ihnen die Diagnose mitgeteilt?

BAUMGARTEN: Ich habe mir, während ich mein Kind im Sommer 1997 in der 22. Woche auf dem Ultraschall gesehen habe, überhaupt keine Sorgen gemacht. Aber dann reagierte der Arzt sehr einsilbig auf meine Fragen. Erst nach der Untersuchung meinte er, es sei leider vieles nicht in Ordnung, und mein Kind habe sehr geringe Lebensaussichten. Einer seiner nächster Satz war dann: "So jetzt müssen Sie entscheiden." Das hat mich sehr verletzt.

FORMAT: Haben Sie einen Schwangerschaftsabbruch erwogen?

BAUMGARTEN: Es gab sehr finstere Tage, wo ich dachte, das schaffe ich nicht als Mutter von drei Kindern. Ich habe mir dann eine Indikation schreiben lassen. Das Leben von meinem Kind stand in diesem Moment zur Disposition. Aber ich wußte als Hebamme von diesen traurigen vorzeitigen Geburten, die ziemlich höllisch sein können. Bei einer Frau, mit der ich in Briefkontakt stehe, dauerte der Schwangerschaftsabbruch 36 Stunden. Häufig ist die Beratung darüber sehr unzureichend.

FORMAT: Hatten Sie Angst, dass Ihr Kind länger lebt?

BAUMGARTEN: Sicher hatte ich Angst vor dem was auf mich zukommt. Aber vor allem fand ich die Vorstellung grausam, dass mein Kind, wenn es seine zeitgerachte Geburt überlebt, der Intensivmedizin übergeben wird. Ich habe das Gefühl, dass die Medizin ihre Grenzen nicht akzeptieren kann. Das ist für viele Ärzte eine Niederlage. Die tun und machen alles, aber wenn sie nicht mehr helfen können, fühlen sie sich oft auch nicht mehr zuständig. Es gibt meistens keine richtige Begleitung in so einer Situation. Es ging mir nicht mehr darum, ob das Kind noch auf Biegen und Brechen operiert wird.

FORMAT: Sie haben Ihr Kind dann zu Hause zur Welt gebracht.

BAUMGARTEN: Ja, mit Unterstützung einer Hebamme und von zwei Ärzten, die meine Auffassung teilten. Ich habe alles getan, was ich in seinem kurzen Leben für angemessen und für wertvoll gehalten habe. Martin Tim ist dreieinhalb Stunden nach der Geburt auf meinem Bauch gestorben. Es war friedlich und gar nicht entsetzlich, wie ich befürchtet hatte.