Grenz-Echo (Belgien) - 9.6.2006

Thomas Kreft

Chirurgen am Aachener Klinikum wagen komplizierte Herz-OP

Fünfjähriges Kind aus Russland kann jetzt wieder normal leben

Herzchirurg Professor Dr. Jaime Vázquez-Jimenez, Tatjana Klokovwa mit ihrer Tochter Daria, Kinderkardiologin Professor Marie-Christine Seghaye und Tadiana Palmina von Germed freuen sich über den Erfolg der komplizierten Herz-OP im Aachener Klinikum.

Ungewöhnlich früh lernte die kleine Daria als Baby laufen. Doch irgendwann begannen die Kräfte zu schwinden. Die Ursache: ein Herzfehler, die so genannte. In Westeuropa werden Kinder mit Herzfehlern, wie Daria sie hatte, schon im Säuglingsalter operiert. Aber die Familie lebt in Russland, in Wolgograd, dem früheren Stalingrad. Dort gibt es wohl Spezialisten für Herzkrankheiten, doch hapert es an der Ausstattung der Kliniken. Die bisherige Behandlung dort war langwierig und grauenvoll, schildert die Mutter Tatjana Klokova. Und gebracht hat sie letztendlich nichts.

"Eigentlich wäre das Kind schon längst gestorben, da muss der liebe Gott geholfen haben", sinniert Professor Dr. Jaime Vázquez-Jimenez. Der Mediziner ist Leiter der Kinderherzchirurgie am Aachener Klinikum und hat Daria nun mit komplizierten Eingriffen erfolgreich operiert. Vor der Operation konnte das fünf Jahre alte Mädchen weder laufen noch andere Anstrengungen bewältigen. Die Kleine bekam Atemnot und lief blau an. Bis zu 15-mal am Tag konnte das geschehen. Hypoxischen Anfall nennen es die Ärzte. Das Herz war nicht in der Lage, genug Sauerstoff in den Körper zu pumpen.

Bis auf eine künstliche Herzklappe, die später ausgetauscht werden muss, gilt Daria jetzt als gesund, wird eines Tages normal arbeiten und sogar Kinder bekommen können. Doch wird es Jahre dauern, bis die kleine Dascha, wie die Eltern sie liebevoll nennen, sich wieder etwas zutraut.

Die Operation in Aachen wurde möglich, nachdem es der Familie gelang, Kontakt zu dem Unternehmen CMP Germed in Mönchengladbach aufzunehmen, das die Finanzierung für russischsprachige Patienten organisiert. Spenden flossen in Russland für die OP reichlich, nachdem die Zeitung Kommersant den Fall dort unter dem Titel "Operation oder Tod" publik gemacht hatte.

Und die Mutter hat gekämpft. Ganz allein kam sie mit ihrem einzigen Kind nach Deutschland. "Sie hat völlig dem Gelingen der Operation vertraut", sagt Vázquez-Jimenez, "während wir das Für und Wider nüchtern abgewogen haben. Das ist das eigentlich Besondere an diesem Fall."

Hintergrund: Fallot'sche Tetralogie

Professor Vazquez-Jimenez präsentiert eine Herzklappe aus menschlichem Gewebe, die er auch der kleinen Daria
eingesetzt hat.

Das Herzleiden, das das Leben der kleinen Daria bedrohte, wird als Fallot'sche Tetralogie bezeichnet. Normalerweise gelangt das durch die Vene zum Herzen zurückfließende Blut in die rechte Herzkammer. Die pumpt es durch die Lungenschlagader weiter in die Lunge, wo es Sauerstoff aufnimmt. Von dort fließt das Blut in die linke Herzkammer, die es in die Hauptschlagader pumpt. Frisch mit Sauerstoff versetzt, kann das Blut nun den Körper versorgen. Jede Kammer besitzt zwei Herzklappen, die jeweils als Ein- und Ausflussventil dienen.

Bei Daria war jedoch die Lungenschlagader verengt, der Muskel um die Lungenschlagader zu stark, in der Herzscheidewand zwischen den Kammern bestand ein Loch. Bei Anstrengung oder Aufregung drückte der zu starke Muskel die enge Lungenschlagader noch weiter oder ganz zu. Das Blut suchte sich seinen Weg durch das Loch in der Kammerwand und wurde ohne Sauerstoff in die Hauptschlagader gedrückt - eine Zyanose, zu Deutsch Blausucht, tritt auf.

Außerdem besaß Daria zwei defekte Herzklappen. Die Trikuspidalklappe, die sich beim Einströmen des venösen Blutes öffnet, konnte bei der Operation repariert werden. Die Pulmonalklappe, die das Blut zur Lungenschlagader fließen lässt, musste durch eine künstliche Klappe ersetzt werden. Dabei handelt es sich um einen so genannten Homograft, der aus abgestorbenem, menschlichem Gewebe besteht. Freilich wächst diese Klappe nicht mit, so dass in etwa zehn Jahren eine weitere Operation fällig ist. Bei Erwachsenen würde man nach heutigem Stand entweder eine biologische Klappe aus Schweinepericard oder eine mechanische Klappe einsetzen. Die biologische Klappe bleibt wiederum zehn Jahre funktionstüchtig. Die mechanische hält zwar ewig; der Patient muss aber ein Leben lang blutverdünnende Medikamente einnehmen, um Ablagerungen zu vermeiden.