Rheinischer Merkur - 2.3.2006
Grenz-Echo (Belgien) - 22.2.2006

Thomas Kreft

Von den Römern bis Preußens Gloria

In Aachen haben die Archäologen derzeit viel zu tun

Hier wird gegraben: Wilfried Jocham vom Aachener Denkmalamt erläutert die Stawag-Baustellen.

Fast verzweifelt blickt Wilfried Jocham auf den Stadtplan in seinem Büro. Denn zum Straßenwirrwarr im Aachener Zentrum gesellt sich ein Labyrint anderer Linien. Es sind jene Trassen, in denen die Stadtwerke seit einem Jahr das marode Versorgungsleitungssystem der Kaiserstadt erneuert. Schon einige Male kam der Chef der Unteren Denkmalbehörde mächtig ins Schwitzen, wenn der Bagger wieder einmal auf historisches Mauerwerk stieß.

Zum Beispiel das Bergtor, das einst auf den Salvatorberg führte, oder das Fundament eines noch unbekannten karolingischen Bauwerks in der Klostergasse Ecke Jakobstraße. In der Klappergasse fanden sich Blausteinrinnen vom Wassergang einer Mühle, darunter wiederum ein Stückchen Karolingermauer. Hier entsteht zur Zeit eine Schaugrube für den geneigten Touristen. Das Wasser bekam die Mühle übrigens aus der umgeleiteten Pau, deren künstliches Bett man ebenfalls in der Nähe fand. Weiter unten an der Rennbahn entdeckten die Archäologen ferner Steingebäudereste, die nach Ausweis von Keramikscherben aus dem 13. Jahrhundert stammen.

Hoch schlugen die Wellen, als der Bagger im sensibelsten Bereich der Kaiserstadt Mauerstücke herausbrach: Es handelte sich um jenen wuchtigen Turmbau zwischen Rathaus

Archäologin Donata Kyritz präsentiert einen römischen Kanalanschluss unter dem Klosterplatz.

und Dom, zwischen Königshalle und Münsterkirche, der auf allen Pfalzmodellen zu sehen ist. Ein Streit entbrannte, der sogar die höchsten Kapazitäten der Altertumsforschung zu einer Protestnote animierte. Immerhin hat die Sache ein Gutes: Aachen bekommt nach Jahrzehnten wieder einen Stadtarchäologen.

Geheimnisvoller Granusturm

Auch an den noch aufragenden Bauten aus Karls Zeiten sind noch längst nicht alle Geheimnisse gelüftet. Sind die Zeitenfolgen zumindest am Dom jetzt einigermaßen sortiert, blickt Jocham stirnrunzelnd auf die Südfassade des Rathauses vis-à-vis. Bis zu zehn Meter aufgehendes Mauerwerk soll sich hier noch verbergen, jedoch ist die Einschätzung heute nach mannigfacher Restaurierung schwierig.

Wenigstens der Granusturm gilt als garantiert karolingisch. Zum Beweis führt der Denkmalhüter durch die engen Treppengänge und die verwinkelten Gewölbekammern. Jedes Geschoss ist hier anders aufgeteilt, immer gehen die Treppen in neuer Weise weiter hinauf. Ja, es existieren sogar Treppen nach nirgendwo. "Hier haben schon Skalalogen geforscht", berichtet Jocham. Skalalogie. Das sei die Disziplin der Treppenlehre. Ihre Existenz gewinnt spätestens hier die Existenzberechtigung. Dass der Granusturm
 

Ein Schaufenster in die Vergangenheit entsteht über karolingischem Mauerwerk in der Klappergasse.

einst des Kaisers Wohnhaus gewesen sein soll, kann sich Jocham nicht vorstellen. Eher habe das ungemütliche Gemäuer als Schatzkammer oder Gefängnis gedient.

Römische Reste

Doch zurück zur Archäologie. Die Spatenforscher haben inzwischen den Klosterplatz und unter ihm die Römerzeit erreicht. Besonders schön zu erkennen ist eine Rinne, die Archäologin Donata Kyritz präsentiert. Es war ein Hausanschluss der Kanalisation. Und: Die Rinne fügt sich anstandslos in die bekannte Ausrichtung des römischen Straßenrasters. Ein paar Meter weiter sind große Stücke des Estrichs erhalten. "Das ist selten im Innenstadtbereich, das Meiste wurde im Laufe der Geschichte abgetragen und neugebaut." Nur die Fundamente zu beseitigen sei zu mühsam gewesen, weshalb man sie heute noch vorfände.

Neuzeitliche Keller

Geradezu jung muten dagegen die Ergebnisse an, die der Archäologe Dr. Detlev von Brandt mit seiner Mannschaft am Bergdriesch erzielt. Hier zwischen den beiden Stadtmauerringen scheint die Bebauung nicht so ländlich und licht gewesen zu sein, wie man bisher annimmt. Das Gros der Funde stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Außer einigen Kellergewölben sind zwei Wasserleitungen zu nennen, die eine aus Holz mit Blausteinabdeckung, die andere aus Ziegelmauerwerk mit Sandstein- und Schieferplatten obendrauf.

Das jüngste Relikt ist das Fundament einer preußischen Kaserne neben dem alten Polizeipräsidium. Hier gräbt das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege selbst, und im Gegensatz zu den schmalen Stawag-Gräben gilt es hier, die Grube eines Neubaus zu untersuchen. Ob es gelingt, das an dieser Stelle vermutete Kloster zu finden, vermag die verantwortliche Mitarbeiterin Petra Tutlies von der Außenstelle Nideggen noch nicht zu sagen. Das Kloster gehörte bis zur Säkularisation dem Karmeliterorden, nach dem die angrenzende Straße heute benannt ist.