Katholische Gemeinde St. Paulus in Göttingen  
  

 
Die Gemeinde als Karawanserei

(aus dem INTERNET, nur Formatierung überarbeitet) 
aus KIZ Ausgabe 41 vom 17.10.1999 / (Kirchenzeitung des Bistums Hildesheim)


Die Tauf- und Erstkommunionseelsorge im Bistum Hildesheim steht vor einschneidenden Veränderungen. Derzeit erarbeiten fünf Arbeitsgruppen Vorschläge für einen Orientierungsrahmen, der im Herbst 2000 vom Priesterrat verabschiedet werden soll. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es nicht nur um Feinkorrekturen, sondern um eine grundlegende Neuorientierung geht. Und: Die Veränderungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Täuflinge und Kommunionkinder, sondern auf die ganze Gemeinde.

Hildesheim ­ Der Witz ist nicht mehr ganz neu: "Ein Pfarrer hat Probleme mit einer Schar Fledermäuse in seiner Kirche. Er hat schon alles versucht, um die Tiere aus dem Gotteshaus zu vertreiben, doch bislang blieben die Anstrengungen vergebens. Der Nachbarpfarrer gibt ihm einen Tipp: Taufe die Fledermäuse, mach mit ihnen eine sechsmonatige Vorbereitung auf die Erstkommunion und führe sie zum Tisch des Herrn. Warte noch eine Woche und du wirst sehen: Keine einzige Fledermaus ist mehr da."

Der Witz entstand in Anlehnung an die kirchliche Wirklichkeit: Kinder nehmen an einer langen Vorbereitungszeit für die Erstkommunion teil, empfangen das Sakrament, erleben mit ihren Familien einen außergewöhnlichen Tag und verabschieden sich dann für Monate oder Jahre aus der Kirche. Vielleicht kommen sie zur Firmung wieder, vielleicht zur Hochzeit, vielleicht gar nicht. Betreuerinnen und Seelsorger sind enttäuscht, weil die Mühe der Vorbereitung "so wenig genutzt hat". Zwei, drei Mädchen und Jungen finden sich anschließend noch bei den Messdienern wieder, doch für die Gründung einer Jugendgruppe reicht es nur in den seltensten Fällen ...

Desinteressierte Gemeinde

"Viele Priester und hauptberufliche Mitarbeiter empfinden diese Situation als belastend", sagt Domkapitular Adolf Pohner, Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat. Unbefriedigend ist für ihn ein weiterer Umstand: Das Gros der Gemeinde steht Taufe und Erstkommunion desinteressiert gegenüber. Dass es sich dabei um eine Feier der ganzen Gemeinde handelt, werde kaum deutlich. Die Vorbereitungszeiten für den Sakramentenempfang würden immer länger während die Zahl der dafür zur Verfügung stehenden hauptberuflichen wie ehrenamtlichen Mitarbeiter zurückginge. Eine Überforderung hat Pohner bei manchen Teilnehmern der Vorbereitungskurse festgestellt. Häufig sei der Satz "Gott sei Dank, dass wir das jetzt hinter uns haben" zu hören. Das könne aber nicht der Sinn einer Vorbereitung auf ein Sakrament sein.

Ganz unterschiedlich, so Pohner, seien die Motive derjenigen, die ihre Kinder zur Taufe oder Erstkommunion anmeldeten. "Während die einen aus dem Kern der Gemeinde dies als selbstverständlich betrachten, verstehen sich andere als Kirchensteuerzahler, die für ihr Geld eine Service-Leistung in Anspruch nehmen wollen. Wieder andere wollen Taufe oder Erstkommunion ihrer Kinder dazu nutzen, ihren eigenen Glauben zu überprüfen und neue Kontakte zur Kirche zu knüpfen."

Unterschiedliche Perspektiven

In fünf Arbeitsgruppen wird die Problemstellung jetzt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven in den Blick genommen. Da geht es zum Beispiel darum, wie die Sakramente von den Menschen erfahren werden und wie eine "gestufte Zugehörigheit" zur Kirche Einfluss auf die Sakramentenspendung haben kann. Eine andere Arbeitsgruppe fragt danach, wie eine angemessene Liturgie für den Sakramentenempfang heute aussehen muss. Welche Rolle spielen dabei Rituale, die außerhalb der Kirche an Bedeutung gewinnen? Pohner spricht hier von einer "magischen Dimension". Ein weiteres Thema: die Aufgabenverteilung zwischen Priester, hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern unter Berücksichtigung der kooperativen Seelsorge. Und wie belastbar sind die Ehrenamtlichen? Schließlich wird auch die Frage gestellt, wie verhindert werden kann, dass die notwendige Vielfalt in der Seelsorge zu einer Beliebigkeit wird.

Fremdenführer für den Glauben

"Alle Überlegungen sollen in jedem Fall die heutige gesellschaftliche Lebenswirklichkeit berücksichtigen", sagt Pohner. Wie der Orientierungsrahmen am Ende aussehen wird, steht noch nicht fest. Doch der Domkapitular hat schon ein Bild im Kopf: Er sieht die "Gemeinde als Karawanserei". Karawansereien waren im alten Orient jene Quartiere, die den Karawanen Wasser, Nahrung, Erquickung und Schutz anboten. Nach einiger Zeit zogen die Reisenden weiter. Manche kamen wieder, wenige blieben für immer dort.

So stellt sich Pohner auch die Gemeinde der Zukunft vor: offen für die Menschen auf ihrem Lebensweg. Der Domkapitular: "Wir müssen uns überlegen, ob wir Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tode ins Haus holen wollen oder ob wir versuchen, mit ihnen in ihrem Leben Spuren Gottes zu entdecken." Und noch etwas schwebt Pohner vor: In der Kirche müsse es "Fremdenführer" geben, die Menschen in das Geheimnis des Glaubens hineinführten.

Matthias Bode

Hintergrund

Der "Prozess Sakramentenpastoral" wird vom Collegium Consultorum, dem Beratergremium des Bischofs, geleitet. Fünf Gruppen arbeiten zu den Themen "Mystagogische Sakramentenpastoral", "Gemeinde als Bezugspunkt der Sakramentenpastoral", "Sakramentenpastoral und Liturgie", "Sakramentenpastoral in kooperativer Pastoral" und "Differenzierte Wege in der Sakramentenpastoral". Koordiniert wird die Arbeit der Gruppen von einer so genannten "Steuergruppe", die von Domkapitular Adolf Pohner und von Pastoralreferent Ulrich Koch, Göttingen, geleitet wird. Mitglieder der Arbeitsgruppen sind Priester aus dem Priesterrat, darüber hinaus als Berater Pastoral- und Gemeindereferenten und -referentinnen sowie andere Fachleute. In jeder Arbeitsgruppe gibt es auch eine ehrenamtliche Mitarbeiterin oder einen ehrenamtlichen Mitarbeiter. Ende Januar 2000 findet in Goslar eine Klausurtagung aller Arbeitsgruppen statt. Bis Mai 2000 sollen die Arbeitsgruppen erste Textentwürfe vorlegen. Eine Redaktion erstellt dann eine Vorlage für den Priesterrat. Nach der Verabschiedung eines "Orientierungsrahmens" soll dieser verbindlich "für die Grundhaltungen pastoralen Handels" werden.

KIZ-Archiv Oktober 1999

 

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10/1999