Wir schreiben seit gut zwei Monaten das Jahr Eintausend-Neunhundert-Neunundneunzig. Pfarrer Hübner hat uns bei den Vorbereitungen auf unser Jubiläumsjahr seine Gedanken über die Zahl 70 erläutert. In den monatlichen Festgottesdiensten wurde die Zahl sieben zum Bestandteil der liturgischen Feier. In den "Frühschichten" der Fastenzeit wird die Zahl vierzig betrachtet. Weil diese Zahlen eine besondere symbolische Bedeutung haben; werden sie auch heilige Zahlen genannt.
Wir kennen auch besondere Jahreszahlen mit mehr weltlichem Inhalt: drei-drei-drei reimt sich so schön auf "Keilerei", der 11.11. gilt als Beginn der närrischen Zeit, am 8.8.88 waren die Standesämter ausgebucht. Und so wird es in diesem Jahr am 9.9.99 wieder sein. Dieses neue Jahr Eintausend-Neunhundert-Neunundneunzig hat gerade begonnen, und da will ich vom Übergang zum nächsten Jahr reden. Dabei haben wir bis Sylvester noch neun Monate vor uns und noch einige mehr bis zur EXPO.
Was aber erwarten wir alle von dem Jahr 2000? Welchen Plan haben wir für die Zukunft, die ja unsere Zukunft ist? Und welchen Plan haben wir für unser Leben? Sind wir schon bereit dafür; wir als Einzelne und als Gesellschaft?
Sind wir "Jahr-2000-fähig"?
Einige Wirtschaftsbereiche sehen Probleme beim Übergang von 1999 nach 2000. Weil nämlich viele Computerprogramme nur mit zwei-stelligen Jahreszahlen arbeiten, werden Rechenfehler und Systemabstürze erwartet. Man macht schon Witze, daß die Strafgefangenen entlassen werden, weil die Computer die Haftzeiten falsch berechnen. Man denke auch an Rentenzahlungen, Laufzeiten von Hypotheken usw. Es sind eben noch nicht alle Computer "Jahr-2000-fähig". Energieversorgungsunternehmen schicken Mitarbeiter zum Jahresende 1999 nach Australien. Wenn dann dort beim Übergang auf das Jahr 2000 technische Probleme auftreten, hat man hier noch 10 Stunden Zeit um ein Notprogramm zu starten. Wir sehen, die Wirtschaft hält Fehler und Systemabstürze für möglich.
Und wir mit unserem menschlichen System? Sind wir Menschen "Jahr-2000-fähig" oder sind da auch Fehler und "Systemabstürze" zu befürchten? Wie halten wir es mit dem Heiligen Jahr 2000 in Gemeinschaft mit der Weltkirche?
Haben wir Menschen in den vergangenen 100 Jahren dazugelernt? Haben sich unser Miteinander und unsere Kommunikation in Gemeinde und Familie wirklich verbessert? Können wir uns, auch wir hier in Göttingen als Menschen guten Willens bezeichnen und bezeichnen lassen? Das war doch die Weihnachtsbotschaft an die Hirten: Friede den Menschen die guten Willens sind. Diese Botschaft gilt uns allen; Ihnen und mir. Und wieder sollte uns die Frage beschäftigen:
Sind wir "Jahr-2000-fähig"?
Im Zeitalter der Kommunikationstechniken surfen wir im Internet. Auch die Kirchen haben das erkannt und sind mit eigener homepage vertreten. Sie bieten sehr viel gute Information an. Die Nutzung der Medien wird aber auch zur Frage der moralischen Verantwortung. Ich denke an Pornografie, Extremismus und die Verbreitung von sogenannten Computerviren. Dieses gewaltige Angebot bezeichnen wir als Informations-Reichtum. - Fällt Ihnen dabei etwas auf? - Wenn ich Informations-Reichtum sage, muß es logischerweise auch Informations-Armut geben. Und schon bin ich wieder bei einem alten Menschheitsproblem. Wir werden es wohl auch im Jahr 2000 nicht schaffen, daß alle Menschen gleiche Chancen haben. Leider! Sollen wir aber deshalb mutlos werden und aufgeben? Nein!
Sind wir "Jahr-2000-fähig"?
Umwelt-Mitwelt-Gesellschaft
Wie wollen wir im nächsten Jahrtausend mit den
Ressourcen der Erde umgehen? Es ist unsere Erde und die Erde unserer Kinder. Wir
haben keine zweite im Kofferraum. Ist es schon fünf nach zwölf?
Bei Rationalisierungen in Betrieben spricht man vom "Stellengewinn", meint jedoch Entlassungen, meist in die Arbeitslosigkeit.
Krieg, Tötung und Gewalt
Bei den Namen Afrika, Irak, Kosovo hören wir von Gewaltandrohungen und erneuter
Kriegsgefahr. – Frieden auf Erden? Können wir daran glauben? Auch die
Todesstrafe ist in vielen Ländern noch nicht abgeschafft.
Abtreibung ist und bleibt Tötung ungeborenen Lebens, auch wenn der Staat auf eine strafrechtliche Verfolgung in den ersten drei Monaten verzichtet.
Flüchtlinge und Asyl
Im Gottesdienst mit Pastor Metzner wurden die 7 Werke der Barmherzigkeit
thematisiert: "...denn ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich
aufgenommen." (Mt 25,35)
Wie aktuell. In den vergangenen Wochen haben wir es wohl alle gelesen: Kirchenasyl in Göttingen. Unterschriftenlisten in den Kirchen. Die Katholische Hochschulgemeinde (khg) ist Mitglied im "Oekumenischen Arbeitskreis Flucht und Asyl in der Kirche" und hat ihre Kapelle zur Verfügung gestellt. Diesen Menschen droht bei Abschiebung in ihre Heimat Verfolgung, Folter oder Tod.
Erlaßjahr 2000
Wir hören von Bestrebungen, armen Ländern (unter
Bedingungen) einen Teil der Schulden zu erlassen – im Jahr 2000. Das wäre
doch ein Zeichen echter Solidarität als Menschheitsfamilie, wo einer für den
anderen eintritt. Dann würde nicht nur aufgrund der Zahl 2000, sondern
durch Zeichen der Solidarität ein neues Zeitalter beginnen. Ich meine, dann
wären wir "Jahr-2000-fähig"! (mehr dazu in diesem
Pfarrbrief)
Ich will nicht nur Pessimismus verbreiten. Es sollen ein paar Gedanken sein, Anfragen an unser Menschsein. Es liegt doch an jedem von uns, wie wir uns informieren, aber auch daran, wie wir uns unsere Meinung bilden und vertreten. Lassen Sie uns Träume und Visionen haben für die Zukunft.
Zum Schluß noch ein Vorschlag:
Versuchen Sie ab jetzt die Jahreszahl immer vier-stellig zu schreiben. So
gewöhne ich mich während des Jahres an diese Schreibweise und versuche dabei,
an ein Problem der Menschheit zu denken.
Das ist auch eine Vorbereitung auf das Jahr 2000. Dann brauche ich das nächste Jahr nicht mit zwei Nullen beginnen und vielleicht bei mir keinen Systemabsturz zu befürchten.
So heißt es dann im nächsten Jahr:
Ihr
Konrad Wehr, (Vorsitzender des Pfarrgemeinderates von 1998-2002)