Katholische Gemeinde St. Paulus in Göttingen
 
 
(Beitrag aus dem Pfarrbrief Mai 1999)  

Unsere gewaltbesetzte Sprache

Im letzten Pfarrbrief (März 1999) schrieb ich zum Thema: Sind wir "Jahr-2000-fähig?" auch von Gewaltandrohung im Kosovo. Was Anfang März bereits lange angedroht worden war, ist traurige Wirklichkeit und in den heutigen Nachrichten (15. Mai) längst Alltag geworden. Es ist eine entmutigende Erkenntnis, dass offenbar wirklich militärische Gewalt angewendet werden musste. Es bleibt bei mir aber auch eine große Ratlosigkeit bestehen.

Negativbegriffe aus Krieg und Gewalt werden manchmal mit positivem Sinngehalt verwendet.

Die Waffen sprechen! Halt! So nicht! Waffen können nicht sprechen. Was wird aus unserer Sprache? Nehmen wir überhaupt noch wahr, wie unsere Sprache mit gewaltbesetzten Wörtern verseucht wird?

Ich kann mich "angegriffen" fühlen, tätlich oder verbal, aber beim Spiel mit dem Gameboy den Gegner ausschalten ist eine gefährliche Verharmlosung.

Für die Hinterbliebenen muss es furchtbar sein, wie über Menschenleben gesprochen wird. Soldaten sterben offenbar nicht. Die Soldaten "fallen" nur oder die Armee "verliert" sie. Wenn die Armee Soldaten verliert, geht sie wahrscheinlich sehr unvorsichtig mit ihnen um. Das wäre jedenfalls meine Lebenserfahrung wenn ich Handschuhe oder Regenschirm verliere.

Haben Sie die folgenden Begriffe schon gehört?

Bei bedeutenden Spielen berichten die Medien vorher sorglos von Schlachtenbummlern und schildern dann empört, wenn Hooligans wirklich eine "Schlacht" inszenieren.

Wenn wir einen Vorteil "herausschlagen", erinnert das nicht an mittelalterliche Folter, die wir Aufgeklärte natürlich verabscheuen?

Was geschieht denn mit jemandem, den wir ausbooten? Kann er schwimmen?

Verbrechen haben eine "neue Qualität", so können wir lesen. Was empfinden Sie dabei? Natürlich sprechen wir bei handwerklicher Arbeit und Waren von guter oder schlechter Qualität. Aber bei Verbrechen ....?

Eine (andere) Meinung "im Keim ersticken" heißt doch, sie nicht wachsen, zur Bestimmung kommen lassen.

Jemanden "mundtot" machen oder eine Frage "abwürgen" ist doch ebenfalls Gewaltanwendung.

Ein Vorgesetzter hat sie oder ihn "zusammengestaucht". Welch ein verbogenes Ebenbild Gottes bleibt danach zurück?

Dass in einer hitzigen Diskussion jemandem mal das Wort "abgeschnitten" wird ist vielleicht noch entschuldbar. Wenn jedoch ein Mensch "geschnitten" und nicht beachtet wird, ist er ausgeschlossen aus der Gemeinschaft.

Am 8. Mai 1999 stand folgende Überschrift auf der Wirtschaftsseite im Göttinger Tageblatt "Todesstoß für Töchter". Bei weiterem Stellenabbau sah die ÖTV eine Gefahr für die Tochterunternehmen des Bayer-Konzerns. Muss das aber durch eine solche gewalttätige Ausdrucksweise verkürzt werden?

Ich muss nicht erst "Stellung beziehen" um mich zu einer Sache äußern zu dürfen.

Ich will mich auch nicht "festnageln" lassen.

Lassen Sie sich nicht "in der Pfeife rauchen", "an die Wand klatschen" oder "abschreiben".

Ich meine auch, eine Eistorte ist viel bekömmlicher als eine "Eisbombe". Und auf die "Bombenstimmung" kann ich verzichten. Viele kennen sie noch aus dem Krieg.

Seien Sie aufmerksam und protestieren Sie heftig. Lassen Sie Ihre Meinung nicht "mit Füßen treten".

Ich hoffe, dass Sie mich verstanden haben. Oder muß ich mir diese Hoffnung "aus dem Kopf schlagen"?

Ihr Konrad Wehr, (Vorsitzender des Pfarrgemeinderates von 1998-2002) 



zurück oder klicken Sie links auf Texte  

05/1999