Katholische Gemeinde St. Paulus in Göttingen
 
    (Beitrag aus dem Pfarrbrief Mai 2000)  

Der Engel des Aufbruchs                      Von Anselm Grün

Es ist eine Ursehnsucht im Menschen, sich einmal gemütlich niederzulassen und sich für immer einzurichten, einmal geborgen und daheim zu sein. Aber zugleich weiß er auch, dass er sich hier in dieser Welt nicht für immer einrichten kann. Er muss sich ständig von neuem auf den Weg machen. Er muss immer wieder aufbrechen. Er muss die Lager, die er aufgebaut und in denen er sich wohnlich eingerichtet hat, abbrechen, um auf seinem Weg weiterzukommen.

Aufbruch setzt einen Abbruch voraus. Altes muss abgebrochen werden. Es kann nicht immer so weiter gehen. Ich kann nicht immer dort bleiben, wo ich gerade bin.

Solange wir auf dem Weg sind, müssen wir immer wieder unsere Zelte abbrechen, um in neues Land aufzubrechen. Und während ich abbreche, weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt. Zugleich steckt im Aufbruch eine Verheißung von etwas Neuem, nie Dagewesenem, nie Gesehenem.

Wer nicht immer wieder aufbricht, dessen Leben erstarrt. Was sich nicht wandelt, wird alt und stickig. Neue Lebensmöglichkeiten wollen in uns aufbrechen. Sie können es aber nur, wenn alte Muster abgebrochen werden. (gekürzt)

Heute hat es der Engel des Aufbruchs besonders schwer. Die Grundstimmung unserer Zeit ist nicht die des Aufbruchs wie etwa in den sechziger Jahren, als durch das Konzil zuerst in der Kirche und dann durch die Studentenrevolte in der Gesellschaft eine starke Aufbruchstimmung herrschte. Heute ist eher die Grundstimmung der Resignation, des Selbstmitleids, der Depressivität, der Wehleidigkeit.

Man bedauert lieber, dass alles so schwierig sei und dass man halt nichts machen könne. So haben wir gerade heute den Engel des Aufbruchs nötig, der uns Hoffnung schenkt für unsere Zeit, der uns aufbrechen lässt zu neuen Ufern, der uns den Aufbruch wagen lässt, damit neue Möglichkeiten des Miteinanders, ein neuer Umgang mit der Schöpfung und neue Phantasie in der Politik und Wirtschaft aufblühen können.

Oftmals wirst du zögern, weil du nicht weißt, wohin der Weg dich führen wird. Dann mag wohl der Engel des Aufbruchs dir zur Seite stehen und dir Mut für deinen eigenen Weg zusprechen:

"Denn Engel wohnen nebenan, Wohin wir immer zieh’n-" ( Emily Dickinson)
Anselm Grün, 50 Engel für das Jahr. Ein Inspirationsbuch, Herder spektrum 1997


 

  

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Letzte Aktualisierung am   06.08.2002