Edith-Stein-Preis
2001
(aus INTERNET , nur Format überarbeitet)
Kirchenzeitung Bistum Hildesheim, Nr. 45 vom 11.11.2001
http://www.kiz-online.de/AktuelleKiZ/45-1.html
"Die letzte Gelegenheit, so
etwas zu erleben"
Edith-Stein-Preis 2001 für die
Versöhnungs-Arbeit des Maximilian-Kolbe-Werkes
"In Polen reden wir über unseren
Alltag, über das, was jetzt ist. Hier in Deutschland reden wir über
unsere Vergangenheit, unser Heilprozess ist hier. Ich habe noch schlimme
Träume. Aber sie sind weicher geworden, sie verlieren immer mehr ihre
Kraft." Das sagte Helena Rafalska, die von den Nazis im Frauen-KZ
Ravensbrück inhaftiert worden war, als sie 1997 auf Einladung des in
Freiburg ansässigen Maximilian-Kolbe-Werkes nach Deutschland gekommen war
und an einer Begegnung zwischen ehemaligen Häftlingen und Deutschen
teilgenommen hatte.
Seit 1964 überschreitet das
Maximilian-Kolbe-Werk Grenzen: zwischen Opfern der Nazis und Menschen aus
dem Täterland, zwischen Nicht-Vergessen-Können und
Versöhnungsbereitschaft, zwischen Ländern wie Polen und Deutschland.
Jetzt ist das "Hilfswerk für ehemalige KZ-Häftlinge im Dienste der
Versöhnung", das als "Solidarität sparen" begann, in
Göttingen mit dem Edith-Stein-Preis ausgezeichnet worden. Der
Edith-Stein-Kreis Göttingen verleiht den Preis, der alle zwei Jahre
vergeben wird, an Persönlichkeiten, Gruppen oder Institutionen, "die
sich durch Grenzüberschreitungen in ihrem sozialen, politischen und
gesellschaftlichen Engagement in hervorragender Weise ausgezeichnet und
bewährt haben".
"Helfen, solange noch Zeit ist"
steht auf einem Faltblatt des Maximilian-Kolbe-Werkes. Die Zeit für
Versöhnung wird knapp, denn die ehemaligen KZ-Häftlinge werden älter,
viele sind krank auch, weil sie bis heute an den Folgen der Haft oder
an Folgen medizinischer "Experimente" leiden, die mit ihnen
gemacht wurden. Eines Tages wird es niemanden mehr geben, der das Grauen
der Nazi-Ideologie selbst erlebt und überlebt hat. Der davon erzählen
kann als Erinnerung und als Mahnung für die Zukunft. Nicht nur die
Dringlichkeit der Aufgabe wurde bei der Preis-Verleihung deutlich gemacht,
sondern auch, dass die Arbeit des Hilfswerkes weiterhin nötig sein wird
trotz finanzieller Entschädigungen durch Regierungen und
Industriebetriebe und trotz der sinkenden Zahl der Überlebenden. Denn
nicht nur die Menschen, die in den Konzentrationslagern und in Ghettos
eingesperrt waren, erhalten Hilfen, sondern auch ihre Angehörigen,
darunter zum Beispiel behinderte Kinder.
Es sind vor allem individuelle Hilfen, die
das Maximilian-Kolbe-Werk leistet; neben Geld werden auch Sach-Hilfen
gegeben. Über 3000 Menschen erhalten im Jahresdurchschnitt Hilfe zwischen
300 und 1200 Mark. Allerdings gibt es allein in Polen nach Angaben des
Hilfswerkes noch rund 25 000 ehemalige KZ-Häftlinge; hinzu kommen zum
Beispiel Menschen in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Dorthin
gehen regelmäßig Transporte mit Hilfsgütern.
Die Einzel-Hilfen sind nur ein Teil der
Arbeit des Hilfswerkes. So unterhält das Maximilian-Kolbe-Werk ein
Altenheim in Südpolen, finanziert Altenheim-Plätze sowie Kur-Aufenthalte
und ermöglicht Pflege zu Hause. In Lodz und Krakau gibt es medizinische
Zentren, die nicht nur ärztliche Hilfe vermitteln, sondern auch als
Beratungsstellen und Treffpunkte dienen.
Ein Netz ehemaliger KZ-Häftlinge, die so
genannten Vertrauensleute, arbeiten in Polen mit dem Hilfswerk zusammen.
Sie halten unter anderem den Kontakt zu den früheren Häftlingen,
informieren sie über die Arbeit des Maximilian-Kolbe-Werkes und dieses
wiederum über die Nöte und Bedürfnisse der einzelnen NS-Opfer (NS steht
für Nationalsozialismus).
Über 85 Millionen Mark hat das
Maximilian-Kolbe-Werk seit seiner Gründung an Opfer des Nazi-Regimes
bezahlt. Der derzeitige Vize-Präsident, Prälat Hellmut Puschmann,
betonte bei seiner Rede in Göttingen, dass die Menschen nicht nur die
Geld- oder Sach-Hilfen erhalten, sondern immer auch einen Brief des
Maximilian-Kolbe-Werkes. "Ich weiß von vielen, dass sie diese Briefe
oft Jahre lang aufbewahren und immer wieder lesen", sagte er.
Der persönliche Kontakt und so weit
möglich persönliche Begegnungen sind das Herzstück der Arbeit. Seit
einigen Jahren werden Begegnungen der NS-Zeitzeugen mit jungen Menschen,
vor allem mit Schülern, immer wichtiger. Puschmann berichtete, dass viele
der ehemaligen Häftlinge diese Begegnungen wünschen. "Sie wollen
jungen Menschen deutlich machen, wie das NS-Regime funktionierte und wozu
Hass führen kann."
Der Vize-Präsident zitierte auch
Äußerungen von Schülern: Die Jugendlichen bewundern vor allem, dass die
NS-Opfer weder Hass noch Wut zu empfinden scheinen, wie sie verzeihen
können, wie stark sie zwischen der Generation der Täter und der jungen
Generation unterscheiden können eine Erfahrung, die auch viele andere
Teilnehmer solcher Begegnungen gemacht haben. Puschmann erzählte auch,
wie nachdrücklich solche Kontakte Jugendliche beeindrucken: "Es ist
etwas anderes als im Fernsehen. Da siehst du zwar die schrecklichen Dinge,
aber du hast eine Distanz. Wenn du mit den NS-Opfern in einem Raum bist,
geht es dich etwas an." Und eine andere Stimme: "Wir haben als
Letzte die Gelegenheit, so etwas zu erleben. Unsere Kinder werden das
nicht mehr können. Wir müssen es ihnen erzählen."
Eine Begegnung stand auch am Anfang des
Maximilian-Kolbe-Werkes: Mitglieder des deutschen Teils von Pax-Christi
waren 1964 nach Auschwitz gereist, um ehemalige KZ-Häftlinge zu treffen.
Deren Leben in Armut bewegte die Pax-Christi-Leute dazu, ihnen sofort
finanziell zu helfen. Puschmann stellte heraus, dass dies zu einer Zeit
geschah, als es keine politischen Verbindungen zu Polen gab und das Klima
zwischen den Völkern von Misstrauen und Unversöhnlichkeit geprägt war.
"Das Maximilian-Kolbe-Werk war sehr radikal und hat bedingungslos die
Schuld auf der deutschen Seite bekundet, ohne sie gegen das Unrecht
aufzurechnen, das beispielsweise den Vertriebenen widerfahren ist",
so Puschmann.
Zunächst konnten die deutschen Christen in
den 60er Jahren nur wenigen KZ-Opfern und ihren Familien helfen. Dann
bekam das Engagement eine breitere Basis und 1973, als sich aus das
politische Klima zu wandeln begann, wurde aus der Aktion
"Solidarität sparen" das Maximilian-Kolbe-Werk. Gründer waren
das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sowie 13 katholische
Verbände, die Propst Professor Dr. Joop Bergsma in seiner Lobrede auf den
Preisträger benannte und würdigte: Pax Christi, Deutscher
Caritas-Verband, Kolping, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, Katholische
deutsche Frauengemeinschaft, Katholischer deutscher Frauenbund, Bund der
deutschen Katholischen Jugend, Gemeinschaft berufstätiger katholischer
Frauen, Gemeinschaft katholischer Männer, Katholischer deutscher
Akademikerverband, Katholische deutsche Akademikerschaft, die deutschen
Franziskaner und das Sozialwerk der Ackermann-Gemeinde.
Bergsma zog Parallelen zwischen Maximilian
Kolbe und Edith Stein. Beide seien in ihrer geistigen Haltung
"unglaublich radikal und konsequent gewesen". Und beide hätten
an die göttliche Vorsehung für ihren Lebens- und dann für ihren
Leidensweg geglaubt. Bergsma sprach über Versöhnung, zitierte die
Seligpreisungen Jesu, in denen er Hinweise auf die KZ-Häftlinge und das
Maximilian-Kolbe-Werk sah, sowie das Hochgebet und machte auch im Blick
auf das Maximilian-Kolbe-Werk klar: "Wir können lernen, wie
Feindesliebe entstehen und wachsen kann. In einer Zeit des Terrors müssen
wir sie neu entdecken und einüben." Bergsma betonte, dass die Arbeit
des Maximilian-Kolbe-Werkes begann, "als es noch keine Anwälte gab,
die Sammelklagen einreichten und dafür kräftige Honorare
berechneten". Vielmehr hätten die Mitglieder in biblischem Auftrag
gehandelt: "Jagt der Liebe nach, jagt dem Frieden nach."
Der Edith-Stein-Preis ist mit 10 000 Mark
dotiert. Puschmann teilte mit, dass das Geld für die jährliche
Weihnachtsaktion des Maximilian-Kolbe-Werkes verwendet werden solle. Alte,
kranke und bettlägerige ehemalige Häftlinge werden von den
Vertrauensleuten besucht. Sie erhalten ein Päckchen, in dem sich neben
Dingen wie Weihnachtsgebäck ein Brief des Maximilian-Kolbe-Werkes
befindet, um zu zeigen: "Wir vergessen euch nicht!".
Hildegard Mathies
Ihre Hilfe
Spenden für die Arbeit des
Maximilian-Kolbe-Werkes sind möglich auf das Konto 30 34 900 bei der
Darlehenskasse Münster, BLZ 400 602 65; Stichwort "Helfen, solange
noch Zeit ist".
Kontakt zum Hilfswerk erfolgt unter der
Adresse: Maximilian-Kolbe-Werk, Karlstraße 40, 79104 Freiburg, Telefon
(07 61) 200 348, Fax (07 61) 200 596,
e-mail: info@maximilian-kolbe-werk.de; Informationen im Internet gibt es
unter der Adresse http://www.maximilian-kolbe-werk.de
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