Mit philosophischen Thesen verschiedener Denker einen Wettbewerb auszurichten, halte ich für eine sehr ambivalente Sache. Zweifelsohne ist ein Philosophie-Slam eine zeitgemäße Form, mit der man ein relativ junges Publikum erreichen kann, was mit philosophischen Vorträgen, so sie außerhalb der Universitäten abgehalten werden, meist nur schwer gelingt.

2014 bin ich, wie im Jahr zuvor, erneut in die Finalrunde des PhilSlam der PhilCologne gewählt worden. Während man sich für die Vorrunde mit einem eigenen Statement beworben hatte, erfuhren wir Finalisten erst wenige Stunden vor der Endrunde das Thema. Diesmal lautete es “Das Tier in mir”.

Hier mein Statement:

 

„Das Tier in mir, das Tier in mir, ist doch klar … eine Schnecke.

Eine Schnecke hat keine transtemporale Identität.

Beweisen kann ich das nicht, doch ich setze jetzt einmal voraus, dass sie kein Bewusstsein für die Schleimspur hat, die sie hinter sich herzieht. Was kümmert eine Schnecke ihre eigene Vergangenheit, was interessiert sie das, was einmal gewesen ist?

Ich vermute auch, dass sich eine Schnecke in keiner Weise in ihre Zukunft hineinversetzt, dass sie sich nicht bereits fressen sieht, während sie noch auf den Salat zu kriecht.

Ihr Bewusstsein ist nur auf den gegenwärtigen Trieb gerichtet, von einem unterbewussten Instinkt ausgelöst, veranlasst, das zu tun, was sie gerade tut.

Gehen wir also davon aus: Die Schnecke erkennt nur das Jetzt.

 

Nee, also, wie könnte ich denn wie diese Schnecke sein? Ich bin doch nicht frei von einem transtemporalen Identitätsbewusstsein! Ich weiß doch, dass ich es bin, der eben auf diese Bühne gestiegen ist. Ich kenne und erkenne mich zeitübergreifend, ich identifiziere sogar noch das Kind in mir, das ich einmal war.

Wieso Schnecke?

Ich bin überdies in der Lage mich in meine Zukunft zu projizieren, anhand all der Parameter, die mir aus meinen Erfahrungen zur Verfügung stehen.

Doch nein, ich bin nichts anders, als dieses kopffüßige Weichtier.

Dass ich glaube, mehr zu sein, ist ein Irrtum. Ich habe eine falsche Vorstellung von mir. Ich bin nicht all das, was ich glaube zu sein.

Das Einzige, was ich bin, ist mein Bewusstsein

 

Meine Vergangenheit existiert in meinem Selbstbewusstsein nur in der Form, in der ich sie mir jetzt rekonstruiere und meine Zukunft, in die ich glaube, mich hineindenken zu können, ist lediglich eine hypothetische Projektion

Nicht weil ich denke bin ich, ich bin nicht, weil ich mich in die Welt hineindenke oder in die Zeit. Ich bin nur, weil ich mich wahrnehme und wahrnehmen kann ich nur hier und jetzt und hier und jetzt wird schon gleich vergangen, einen neuen hier und jetzt gewichen sein, - mein Sein weicht nicht vom Jetzt.

Ich schließe daraus: meine tatsächliche Ich-Identität ist nicht einzuordnen, sie ist sogar frei von jeglichen Merkmalen. Das Bewusstsein, das ich bin, hat keinen Willen und keinerlei Absicht, es ist nicht veränderbar, es ist nur.

Mein Selbst-Bewusstsein ist die Wahrnehmung von dem, was mich von der Außenwelt unterscheidet. Schon mein Körper, ebenso wie mein Geist gehört zu dieser Außenwelt. Beide stehen in Austausch und Abhängigkeit zu dem, was um mich geschieht.

Ich-Selbst bin dagegen auch ohne zu denken und ohne mich zu fühlen.

Meine Wahrnehmung ist nach außen gerichtet, meine Selbst-Wahrnehmung dagegen gehört unteilbar nur mir und das ist auch der Grund, warum sie frei von jeglicher Zeitlichkeit ist.

Deshalb ist das, was mich ausmacht, nichts anderes als das, was eine Schnecke ausmacht.“