r o l a n d m i t t a g
Lyriker & Autor
v i t a
k o n t a k t
i m p r e s s u m
l i n k s
l y r i k
s t a r t
Kein Pardon?
„Wenn ich‘s euch doch sage... morgen beim Apell werdet ihr es selber hören...wir sollen direkt aus Schloss
Bensberg ins Ruhrgebiet abkommandierte werden. Dort wird es bald hoch hergehen“, verkündete ein stämmiger
dunkelhäutiger Marokkaner seinen Waffenbrüdern, die in Unterhemden mit herabhängenden Hosenträgern
neugierig lauschend an den Holztischen im Kompaniesaal des Schlosses saßen.
Im Sandsturm arabischer Sätze, der laut über die Köpfe der Männer dahintrieb und aus den kahlen Räumen des
Seitenflügels widerhallte, rief ein junger marokkanischer Infanteriesoldat, „immer trifft es unser Bataillon! Die
englischen und neuseeländischen Truppen sind nach kurzer Stationierung wieder abgerückt und sitzen längst zu
Hause bei ihren Familien...“
Ärgerlich riss er das Koppel von der Stuhllehne und griff mit geübter Hand sein Gewehr aus dem Waffenständer .
„Wo willst du hin Ahmed? Bis zum Wachaufzug ist doch noch Zeit“, rief ein Kamerad dem davon Stürmenden
nach.
Heftig atmend stand Ahmed an der großen zweiflügeligen Tür zum Hof. Aus grauschwarzen Wolken fielen erste
schwere Tropfen auf das Pflaster des Schlosshofes.
„Mein Regenumhang...“ Er machte auf dem Absatz kehrt, lehnte sein Gewehr an das Geländer der Treppe und
hastete die Steinstufen hinauf.
Aus der Nische hinter der Treppe löste sich der Schatten eines hochaufgeschossenen, mageren Jungen in
grauem Arbeitszeug. Es war Jupp, der vierzehnjährige Sohn des Bediensteten Wilhelm Otte, der seinem
invaliden Vater bei den Arbeiten im Schloss zur Hand ging, wenn seine Beinverletzung ihm an manchen Tagen
gar zu sehr zu schaffen machte. Neugierig schlich er die Stufen hinauf, um durch den schmalen Spalt der Tür
einen Blick in die hellerleuchtete Mannschaftsunterkunft der fremden Soldaten zu wagen. Auf der spärlich
beleuchteten Treppe stieß er an einen Gegenstand, der ihm unvermittelt in die Hände fiel. Verdutzt drehte er ein
schweres französische Gewehr in den Händen. Sein Herz hämmerte wild, doch er konnte der Versuchung nicht
widerstehen, es in Anschlag zu bringen und auf einen imaginären Gegner zu zielen. Plötzlich stand ihm, wie aus
der Erde gestampft Ahmed, der marokkanische Soldat gegenüber.
„Es ist noch ein Moment Zeit“, sagte Wilhelm Otte zu seinem Sohn, als er am Kriegerdenkmal vor dem Schloss
verschnaufte.
Jupp schaute auf seine abgetragenen derben Stiefel als er fragte, „ist es wahr, dass man in Köln einen Soldaten
wegen eines ähnlichen Vorfalls erschossen hat?“
Statt einer Antwort wiegte sein Vater den Kopf. „Es ist wichtig, dass der Schuldige seine Strafe erhält. Merk dir mein
Junge, aus Unrecht kann nie Recht werden. Wir besitzen auch unsere Ehre...“
Wilhelm Otte erhob sich, um die letzten Schritte allein zum Schloss zu gehen. Gerade als er das Tor durchschreiten
wollte, hielt ihn sein Sohn am Arm zurück. In gestammelten Sätzen gestand er dem Vater die ganze Wahrheit des
Vorfalls. „...auf der Treppe...es war dunkel...das Gewehr ist mir in die Hände gefallen. Als er mir sein Gewehr wegnahm,
ging der Schuss los...“
Wilhelm Otte erblasste. Mit dem Taschentuch wischte er sich trotz der herbstlichen Kühle den Schweiß unter dem
Verband von der Stirn.
Schweren Herzens schritt der alte Otte durch das große Schlosstor. Ein finster dreinblickender marokkanischer
Corporal führte ihn über den Hof zu den angetretenen Männern, die an dem unglückseligen Abend zum Postengang
eingeteilt gewesen waren. Schon aus einigen Schritten Entfernung erkannte Wilhelm Otte jenen dunkelhäutigen
Soldaten mit den entschlossenen Augen, den er nun seiner Bestrafung zuführen sollte.
Der geschulten Aufmerksamkeit des französischen Orts Kommandanten entging kein Detail der Gegenüberstellung.
Beinahe unerträglich war der spannungsgeladene Blick zwischen Otte und dem Soldaten Ahmed.
Umso erstaunter war der Orts Kommandant, als Otte mit gespielter Einfalt den Kopf schüttelte. Er folgte dem Blick des
alten Mannes, der für einen Moment die Türme des Kölner Doms unten in der Tiefebene streifte.
„Es muss ein Ende haben, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.“
Mehr als dass er sie verstand, ahnte der Kommandant die Worte, die der alte Mann leise vor sich hingemurmelt hatte.
Nachdenklich nickte er mit dem Kopf, wechselte einen Blick mit seinen Offizieren, die Ahmed ins Glied zurücktreten
ließen. Dann trat er auf Otte zu und sagte, „wenn ich Sie richtig verstanden habe, Monsieur, wollen Sie den Vorfall als
Ehrensache erledigt wissen.“
Aufrechter als er hineingegangen war, trat Wilhelm Otte durch das sich ihm öffnende Schlosstor hinaus auf die Straße.
Mit fragendem Blick lief ihm sein Sohn entgegen. Vor den erstaunten Augen des Jungen nahm der marokkanische
Corporal auf der anderen Seite des Tores Wilhelm Otte gegenüber unerwartet respektvoll militärische Haltung an.
Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren, hielt es der Junge nicht länger aus, „... wie ist
die Sache ausgegangen?“
Behutsam legte Wilhelm Otte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.
„Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Für unsereinen...sieht von dänne doch einer aus wie der andere...“
© Roland Mittag
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