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was war...?

1919

Franz Hugenpoth - ein 'Entwicklungshelfer' aus Neheim?



Die Höhere Stadtschule Borgentreich:

von Richard Dohmann

Nach dem Zusammenbruch am Ende des 1. Weltkrieges begann eine große Wende in der Entwicklung. des deutschen Schulwesens. Der militärischen Abrüstung stellte man eine geistige Aufrüstung entgegen. Vor allem im ländlichen Raum begann eine Neuorientierung, indem man versuchte, durch kleine höhere Schulen die Begabungsreserven zu erfassen und ihnen die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Im Kreis Höxter gab es schon lange Jahre vor dem Kriege Rektoratschulen in Brakel und Steinheim. Jetzt versuchte man, ein engmaschigeres Netz von Schulen dieser Art aufzubauen. So entstanden um 1920 weitere Schulen in Beverungen, Nieheim und Peckelsheim. Auch Borgentreich gründete die ,,Höhere Stadtschule Borgentreich i. Westf.", welche allgemein als Rektoratschule bekannt wurde. Sie begann den Unterricht am 19.April 1920.

Ehe wir uns mit ihr eingehender befassen, scheint es mir angebracht, ihre Vorgeschichte zu untersuchen: Schon in früheren Jahrzehnten waren Schüler aus Borgentreich zum Gymnasium nach Warburg gegangen, um dort die Reifeprüfung abzulegen. Meistens waren sie von einem Geistlichen Pastor oder Kaplan vorbereitet, um gleich in die Obertertia zu kommen.

Besondere Verdienste um die Vorbereitung der Schüler für das Gymnasium erwarb sich der Kaplan Theodor Rehbaum aus Clarholz, der vom 23. Mai 1914 bis 02. September 1919 segensreich in Borgentreich wirkte. Er erteilte zunächst am Abend, später am Nachmittag seinen Unterricht. Am Vormittag besuchten die Schüler den Unterricht in der Volksschule und hatten somit die Hausaufgaben für beide Schulen zu erledigen. Der zusätzliche Unterricht beim Kaplan konzentrierte sich hauptsächlich auf die Fächer Latein, Griechisch, Französisch und Mathematik. Er war eine ganz private Einrichtung. Das Schulgeld wurde an den Kaplan bezahlt.

Dieser erfolgreichen Einrichtung drohte mit dem Fortgang des Kaplans Rehbaum von Borgentreich am 2. September 1919 ein jähes Ende, weil sein Nachfolger, Kaplan Wilhelm Michels aus Großeneder. den Unterricht nicht weiterführte. Wer sollte den Unterricht fortsetzen? Eine Lösung bahnte sich an, als der Mittelschullehrer Franz Hugenpoth aus Neheim-Hüsten sich bereit erklärte, den Unterricht zu übernehmen. Als Unterrichtsraum diente ein Zimmer im Hause Buhte neben der Apotheke in der Mühlenstraße. So war ein Provisorium, eine vorläufige Lösung. geschaffen.

Im Laufe des Winters 1919/1 920 mußte man nach einer Lösung Ausschau halten. Sie wurde gefunden. als der Rat der Stadt Borgentreich sich entschloß, mit dem Beginn des Schuljahres 1920/1921 die bereits erwähnte ,,Höhere Stadtschule Borgentreich i. Westf." einzurichten. Dabei sollte die bereits bestehende Klasse der ,,Kaplanschule" als Untertertia übernommen werden.

Ein Schulgebäude war natürlich noch nicht vorhanden. Man half sich damit, dass man zwei Räume im Spritzenhause an der Lehmtorstraße bereitstellte. Sie lagen an der Rückseite des Gebäudes zum Judenhagen hin zu ebener Erde, hatten den Eingang von der Seite und waren durch eine Zwischentür miteinander verbunden. Der Fußboden war zementiert. Das Inventar bildeten einige ausrangierte Viersitzerbänke aus der Volksschule, eine Tafel nebst Stuhl und Tisch für den Lehrer. Eine Behelfstoilette aus Brettern in landesüblicher Weise erstellte man in respektvollem Abstand vom Schulgebäude. Pausenhof war der Judenhagen auf den Wällen der ehemals befestigten Stadt Borgentreich. Bei der Werbung für die aufzunehmenden Sextaner hatte man besondere Maßstäbe angelegt. Kein Schüler aus dem vierten Schuljahr, wie es heute die Regel ist, wurde aufgenommen. Nur diejenigen, die die fünfte Volksschulklasse zu absolvien hatten, durften anfangen. Da diese Zahl aber zu klein war, nahm man auch noch Schüler aus dem 6. und 7. Schuljahr auf.

Die ersten auswärtigen Schüler der Sexta kamen aus Bühne, Eissen und Körbecke. Öffentliche Verkehrsmittel gab es noch nicht. Am ersten Schultage kamen die Schüler aus Eissen mit dein Einspännerwagen zur Schule. Bald darauf aber fuhr man mit dem Fahrrad zur Schule.

Die Leitung der jungen Schule hatte Dr. Hoischen übernommen. Der schon erwähnte Herr Hugenpoth stand ihm zur Seite nebenamtlich erteilte den Religionsunterricht Kaplan Michels, den Musikunterricht erteilte Lehrer Evers in der Volksschule. Sportplatz war der nahe Lehmberg, die Turnstunden und Leibesübungen leitete Herr Hugenpoth.

Die Qualität des Unterrichts ließ jedoch nichts zu wünschen übrig. Er war straff aufgezogen und gut vorbereitet. Bei den kleine Klassen war eine erfolgreiche Kontrolle gewährleistet. Von diesem ,,Wissensspeck" konnten wir noch später auf dem Gymnasium zehren und standen dortigen Schülern keineswegs nach. Zum Unterricht des Vormittags kam ein Silentium am Nachmittag. Dann durfte man sich nicht auf der Straße blicken lassen, weil man ja mit einer Kontrolle rechnen mußte. Später wurde das Silentium für die Einheimischen in der Schule abgehalten.

Schon während des Sommers hatte man damit begonnen, andere Schulräume zu schaffen. Sie wurden im ,,Steinernen Haus, dem ältesten Wohngebäude der Stadt, einst Besitz des Klosters Hardehausen, eingerichtet. Hinter den dicken Mauern waren die Schüler im Winter vor Kälte und im Sommer vor Hitzefrei geschützt. Hier fand die Schule über drei Jahrzehnte eine Heimstätte. Die Einweihung und der Einzug in das neue Gebäude fanden Anfang November 1920 statt. Die Einweihung nahm Dechant Stratmann vor. Die Übergabe des Gebäudes im Namen der Stadt erfolgte durch Bürgermeister Kukuk. Dr. Hoischen dankte im Namen der Schule. Am Ende des Schuljahres wurde die Untertertia entlassen. 4 Schüler gingen zum Gymnasium nach Warburg. 3 davon bestanden dort die Reifeprüfung. Das 2. Schuljahr, 1921/1922, begann mit den beiden Klassen Sexta und Quinta.

War die Schule bisher eine ausgesprochene Jungenschule gewesen, so wurden jetzt auch Mädchen in die neue Sexta aufgenommen. Die Schülerzahl sollte an der Basis erweitert werden. Auch den Mädchen konnten so neue Wege ins Berufsleben erschlossen werden. Heute sehen wir das als selbst verständlich an. Seitdem vollzog sich der Aufbau planmäßig, d.h. 1922/1923 wurde die Schule dreiklassig. 1923/1924 hatte sie vier Klassen, und 1924/1925 waren es fünf Klassen. Damit war das erstrebte Ziel erreicht. Mit dem Aufbau der Schule erfolgte der weitere Ausbau des Schulgebäudes. Waren anfangs nur im Erdgeschoß Klassenräume ein Lehrerzimmer und Toiletten vorhanden, richtete man im ersten Stockwerk weitere Klassenräume und 1920 ein Lehrmittelzimmer ein.

Das Problem des Lehrermangels gab es nicht. Studienassessoren waren genug da. So unterrichteten bald auchdie Herren Sachse, Grewe, Temme und Meier.

Die Stürme der Inflation überstand man. Kaum warensie 1923 überwunden traf zu Beginn des Jahres 1924 (kurz, vor Ende des Schuljahres) die Schule ein harter Schlag. Am Sonntag dem 10 Februar 1924 starb nach längerem schmerzvollen Leiden infolge einer Nierenentzündung Dr. Gerhard Hoischen der Leiter der Höheren Stadtschule, im Alter von 27 Jahren. In einer würdigen Trauerfeier die von Liedern der Schüler umrahmt wurde, fand die Einsegnung statt. Der Sarg wurde sodann zum Geburtsort des Verstorbenen nach Hellinghausen bei Lippstadt überfuhrt, wo die Beisetzung erfolgte. Damit war die Frage der Schulleitung akut. Es bewarben sich aus dem Kollegium der seit Gründung der Schule tätige Mittelschullehrer Franz Hugenpoth und der später eingetretene Studienassessor Hieronymus Sachse. Gewählt wurde Herr Hugenpoth. Darauf verließ Herr Sachse die Schule und übernahm die Schulleitung der höheren Stadtschule Driburg.

Beim Eintritt in das Schuljahr 1924/1925 war die erste Obertertia etwa auf ein Drittel der Sextanerzahl von 1920 zusammengeschmolzen. Wir waren noch 7 Jungen. Das bedeutete für uns eine sehr intensive Beanspruchung und eine fast lückenlose Beaufsichtigung. Nun ist Leistungskontrolle ja bekanntlich auch Leistungssteigerung. Die Höhere Stadtschule Borgentreich war amtlich der Regierung in Minden unterstellt wurde aber schultechnisch vom derzeitigen Gymnasialdirektor des Städtischen Gymnasiums Warburg (damals Geheimrat Wirmer) betreut. Er besichtigte den Unterricht im Laufe des Jahres und nahm seit 1925 die Abschlußprüfung der Obertertia ab. die somit von allen höheren Vollanstalten anerkannt wurde.

Nach dem ersten Schicksalsschlag im Jahre 1924 (plötzlicher Tod des Schulleiters Dr. Hoischen) kam eine neue Gefahr auf die Schule zu. Es ging sogar umdie Existenz. Was war geschehen? Dem erfolgversprechenden Aufstieg mit steigender Schülerzahl folgte 1926 ein jäher Rückschlag an fast allen weiterführenden Schulen. Jetzt standen nämlich die sogenannten .Kriegsjahrgänge zum Übergang an, die sehr schwach waren. 1926 waren es die 1915 geborenen Kinder, 1927 die 1916 geborenen. Die inzwischen nach der Inflation wieder stabil gewordene Mark war knapp. Man lebte sparsam. Auch Schulgeld konnte ja gespart werden. Kinder waren außerdem Arbeitskräfte imHaushalt, vor allem in der Landwirtschaft An ein Kinderarbeitsverbot. wie es heute besteht, war nicht zu denken. So meldete man eben die Schüler/innen ab.

Wie sollte man so etwas aber den Ratsherren in Borgentreich klarmachen? An dieser Stelle konnte man ja sparen! Nur der damalige Leiter Dr.Hoischen war fest angestellt gewesen. Man war nicht mehr gebunden nach dessen Tod. Auch brauchte man keine Beiträge mehr an die Landesmittelschulkasse zu zahlen. Durch den Beschluß des Stadtverordnetenkollegiums vom 8. Januar wurde es unmöglich gemacht. dass die Stadt im neuen Schuljahr Unterhaltsträger der Realschule blieb. Jetzt waren die Würfel gefallen. Das Schicksal der Schule aber war nicht besiegelt. Auf Vorschlag des Schulleiters gründete mansofort die Rektoratschulgenossenschaft Borgentreich e.G.m.b.H. welche vom 01. April an Unterhaltsträger der Realschule wurde Die Existenz der Schule war damit gesichert Im Unterrichtsbetrieb traten keine Veränderungen ein. Doch war die Schule nun auch ein Wirtschaftsbetrieb geworden Den entsprechenden Anforderungen war Herr Hugenpoth aber in jeder Weise gewachsen. Es gelang ihm. die Schule mit Umsicht durch die nächsten Jahre zu steuern.

Nach dem Fortgang der Herren Sachse und Grewe verließen auch andere Lehrkräfte die Schule. Herr Temme kam am 01. April 1920 nach Beverungen Herr Studienassessor Meier fand imGymnasium der Jesuiten in Büren eine neue Stelle. Mit einer festen Anstellung in Borgentreich konnte ja niemand rechnen So kamen Volksschullehrer andie Realschule Sie standen auf der Warteliste für die Volksschulen. Bereits 1924 erteilte Herr Heinrich Stoppelkamp aus Daseburg ein Bruder von Frau Hugenpoth. den Physikunterricht. Später traten Fräulein Maria Conze aus Borgentreich (Windmühle) Fräulein Justine Thüner und Fräulein Kriener, ferner der Lehrer Joseph Grone aus Bühne in das Lehrerkollegium ein.

Die ersten Abiturienten aus der Untertertia des Schuljahres 1920/192 1 erlangten Ostern 1926 das Reifezeugnis in Warburg. Es waren Heinrich Ernst und Meinolf Scholle aus Lütgeneder. Aus der Sexta der Anfangsklasse 1920/1921 erreichten das Abitur Ostern 1929 Otto von Detten aus Borgholz, Paul Jürgens aus Körbecke, Johannes Hillebrand und Richard Dohmann aus Borgentreich. In den folgenden Jahren finden sich laufend ehemalige Schüler der Rektoratschule Borgentreich unter den Abiturienten des Gymnasiums Marianun in Warburg.

Nach einem sechssemestrigen Universitätsstudium an den Universitäten Köln und Graz legte der Verfasser dieses Beitrags 1932 das Mittelschullehrerexamen in Köln ab und unterrichtete vom l. Oktober 1932 bis zum 3 März 1933 ,."ehrenamtlich". d.h. ohne Vergütung. an der Rektoratschule seines Heimatortes Borgentreich. Seit Oktober 1933 unterrichtete ich an einer privaten Volksschule in Grünhoff (Pommern). Dort blieb ich bis Ostern 1936. Kurz vorher hatte nur Herr Hugenpoth eine Stelle an seiner Schule in Borgentreich angeboten. So trat ich Ostern 1936 diese Stelle an.

Waren in den Anfangsjahren der ,,Höheren Stadtschule hauptsächlich Studienassessoren tätig gewesen, in den folgenden Jahren Volksschullehrer. die aber inzwischen zum Dienst an den öffentlichen Volksschulen einberufen wurden (sie standen ja auf der Bewerberliste), so kamen jetzt vor allem sogenannte akademische Mittelschullehrer, die nach bestandenem Abitur und einem mindestens sechssemestrigen Universitätsstudium ihre Prüfung abgelegt hatten.

Bald wurde die Rektoratschule in Borgentreich wie alle Schulen dieser Art durch die neue Schulreform vor eine wichtige Entscheidung gestellt. Sollte sie eine Art Progymnasium werden mit den Klassen 1 - 5 oder grundständige Mittelschule mit den Klassen 1 - 6? Die meisten Gymnasien mit neunjähriger Schulzeit wurden in Deutsche Oberschulen mit achtjähriger Schulzeit umgewandelt, auch das Gymnasium in Warburg.

Von den bisherigen Rektoratschulen entschlossen sich nur Brakel und Driburg für den Unterbau der Deutschen Oberschule. Alle anderen: Beverungen, Borgentreich. Höxter mit seiner Mädchenschule, Nieheim. Peckelsheim und Steinheim erklärten sich für die grundständige Mittelschule. Sie gingen von der Tatsache aus, dass der überwiegende Teil (manchmal bis 80%) nur die sogenannte ,,Mittlere Reife' anstrebte bzw. dafür geeignet war. Warum sollte man dafür so teure Lehrkräfte (Studienräte) beschäftigen'? Diese Entscheidung wurde den bisherigen Rektoratschulen dadurch erleichtert, dass man Vorkehrungen für den Übergang zur Oberschule gestattete. Mittelschulen und Oberschulen begannen beide mit Englisch. Durch zusätzlichen Unterricht in Latein bei der 3. und 4. Klasse wir der Übergang gegeben. Alle anderen Schüler/innen konnten jetzt auf der bisherigen Schule das sog.,, Einjährige" erreichen.

Inzwischen hatte das Schuljahr ein anderes Gesicht bekommen. Immer wieder störten Feiertage und Gedenktage. Der totale Staat wollte mit seinem Festkalender ein neues Gemeinschaftsleben prägen. Da waren: der 30. Januar, der 13. März, der 20. April, der 01. Mai, der 09. November. Der Staatsjugendtag, der unterrichtsfreie Tag in der Woche von 1934 bis 1936. kürzte erheblich den Unterricht. Die Hitlerjugend hatte ihr eigenes Programm und nahm Jungen wie Mädchen erheblich in Anspruch. Später wurde die Schule durch das Sammeln von Heilkräutern und Altmaterial, das Ausfüllen von Sammellisten und der Versand stark belastet.

Eine bange Frage war zu Beginn des Schuljahres immer die Schülerzahl Man konnte die Dinge nicht treiben lassen sondern mußte intensiv werben Sogar ein Kundendienst wurde eingeführt zumal Schüler/innen aus Borgholz und Dalhausen auch nach Beverungen tendierten Der Rektorratschulverein kaufte einen größeren PKW. Herr Hugenpoth und Herr Hillebrand erwarben den Führerschein und holten vor Unterrichtsbeginn abwechselnd die Schüler, ab und brachten sie am Mittag zurück.

Als dann halb Borgentreich durch einen Hagel von Phosphorgranaten in ein Flammenmeer verwandelt wurde und die stolzen Giebel der Bauernhäuser in einem grausigen Inferno niederbrannten war jedoch das Steinerne Haus das ja alle Kriege und großen Stadtbrände schon überstanden hatte stehengeblieben Dieser Umstand bot die Möglichkeit die Mittelschule wieder zu öffnen und sie als Realschule in neue Räume und eine neue Zeit zu führen

QUELLE :  Festzeitschrift zum 75jährigen Schuljubiläum im Jahre 1995, Borgentreich

LINKS zum Thema:
http://home.t-online.de/home/info.rsborgentreich/realschule/geschi.htm

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