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einladung

Ray Moon : ZLO

Mehrwert 099
04.09.-14.10.04, tägl. 24 Std. zu sehen to be seen 24h every day
Interfood-Vitrine, Aachen, Jülicher Str. 22

vitrine detail detail detail detail detail detail detail detail

Der goldene Abglanz des Analen
Paradigmatische Flatulenzen in der Gegenwartskunst

"Everything is wrong
and at the same time it's right"
| Captain Beefheart

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Die Rede ist von der Installation namens ZLO des Maastrichter Künstler/Musikers Ray Moon in der Interfood-Vitrine und der Ausstellung von Olga Koumoundouros - sozusagen um die Ecke - in der Galerie Adamski.

Gemeinsam ist beiden Künstlern, dass sie in der historischen Spirale von Expressionismus, Punk, Neo-Expressionismus und Neo-Neo-Expressionismus bei einer Form der Kunstverweigerung angekommen sind, deren unangefochtener Rädelsführer zurzeit Jonathan Meese ist.

Virtuosität anzustreben wäre den genannten Künstlern ebenso peinlich wie darüber hinwegzutäuschen, dass die amtlich vorgeschriebene Befindlichkeit des Avantgarde-Künstlers im Augenblick Ratlosigkeit und Überdruss am Kunstgehabe ist. Viele suchen den Weg in die Zukunft in einer negativen Dialektik und orientieren sich daran, was möglichst niveaulos, unmöglich oder peinlich ist. Anselm Reyle, der kürzlich im NAK eine brillante Parodie auf die moderne Kunst inszeniert hat, sprach völlig ungeniert davon, dass er dieses oder jenes gemacht hat, weil es so schön scheiße ist.

Das ist im Grunde nichts Besonderes und wurde von Künstlern auf der Suche nach Neuland immer schon praktiziert. Der Expressionismus wurde ursprünglich als ein in den Dreck gezogener Impressionismus beschimpft. Was Olga Koumoundouros (die ich, um hässliche Tippfehler zu vermeiden, ab jetzt Olga K. nennen werde) und Ray Moon auf mustergültige Weise in den Dreck ziehen, ist die in den 70er Jahren kanonisierte und festzementierte Idee der Installation. Wo selbst noch bei Joseph Beuys (der ja vielen irgendwie schmuddelig vorkommt) das heilige Destillat sorgfältig ausgewählter Objekte in magische Beziehungsgeflechte gesetzt wurde, herrscht bei Moon und Frau K. zügellose Promiskuität. Alles wird mit jedem zusammengeworfen und zuletzt noch irgendwas Unmögliches obendrauf gesetzt. Obwohl Olga K. um einiges akademischer vorgeht als ihr Kollege bei Interfood und sie sich nicht wirklich damit schmücken kann, alles und jedes zusammenzuwerfen, zeigt der wirre Haufen Flugblätter und die "vergessene" Leiter im Adamski-Schaufenster, wohin die Reise geht.

Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden ist die nur scheinbar zufällige räumliche Nähe, die aber unbedingt in die Betrachtung einfließen muss, da es in der Kunst zwar schlechte Installationen und ideologisch überfrachtete Konzepte geben mag, aber niemals Zufälle. Das goldene Dreieck zwischen Elektro Willi, NAK und Melodie Grill bildet im Aachener Stadtbild sowieso schon eine Oase rauher Vitalität, die manchmal sogar den Eindruck erweckt, als hätte Jonathan Meese, der ja bekanntlich einen Staatsfimmel hat, hier sein erstes städtebauliches Projekt entworfen.

Diese räumliche Situation greift Ray Moon explizit auf, was leider nicht alle ausstellenden Künstler in der Interfood-Vitrine tun, sondern des Öfteren vorgeben, sich in einem White Cube zu befinden. Dabei bildet der Interfood-Laden selbst mit seinem pittoresken Chaos aus Tütensuppen, seltsam geformten Gemüsen und bis an die Decke gestapelten Kochtöpfen eine natürliche Fortsetzung der wilden Gegebenheiten der Jülicher Straße. Wir empfehlen kunstinteressierten Interfood-Shoppern dringend, beim nächsten Einkauf den Laden einmal auch auf seine skulpturalen Qualitäten zu untersuchen.

Wie Ray Moon auf die vorgefundene Räumlichkeit eingeht, erinnert in der maximalen Sensibilität an den wesentlich klinischer arbeitenden Daniel Buren, der seine Stoffstreifen immer auf einen konkreten Ort bezieht. Man hat den Eindruck, die Interfood-Vitrine und das Hauptgeschäft bildeten eine Nahrungskette, wobei die Vitrine die zwangsläufig nicht ganz koscheren Verdauungsprodukte der Köstlichkeiten des Ladens sichtbar macht. In der Tat entsprach das Ergebnis einer spontanen Befragung zufällig vorbeieilender Passanten ziemlich genau dem, was Moon in seiner Arbeit intendierte: "Das ist doch scheiße."

Die an zentraler Stelle positionierte übergroße Uhr ist in ihrer kunstgewerblichen Geschmacklosigkeit ein wunderbar peinliches "Memento mori" und ein sinnbildlicher Popanz der Diktatur der Zeit. Diese macht nicht nur die fürchterlichste Schicksalsmacht im menschlichen Leben aus, sondern ist ebenso für die spezifische Qualität von Musik verantwortlich. "Zlo", so erschließt sich dem aufmerksamen Betrachter, soll wohl nichts anderes heißen als "Slow". (Diese Künstler, auch die guten, können nichts normal sagen, sondern müssen alles immer umständlich verklausulieren.) Moon hat hier in erdenschwerer Langsamkeit Musik sichtbar gemacht. Wer das nicht glaubt, wird durch die zahlreichen schlecht zusammengebastelten Gitarren eines Besseren belehrt. Bestimmt war sich Moon bewusst, dass an die Wand genagelte Gitarren zu den allerpeinlichsten Versatzstücken drittklassigen Kunstgewerbes gehören. Die gedankenlahme "slowness" der Arbeit wird blitzgeschwind kontrapunktiert durch das unangefochtene Faszinosum der Installation: einen billigen Plattenspieler, der mit 78 Umdrehungen in der Minute ein Porzellan-Kinderbettchen in den rasenden Stillstand von Nietzsches ewiger Wiederkehr befördert. Eine dermaßen aufgekratzte Melancholie ist mir in einem Kunstobjekt seit langem nicht mehr untergekommen. Und ein kleines Wunderwerk der Technik gibt es auch zu bestaunen, schließlich dreht sich dieses Ding in seiner fragilen Schäbigkeit bereits seit mehreren Wochen. Auch nachts. (Ich habe nachgekuckt!)

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| Gabor Baksay : Movie, Aachen, Ausgabe 10 04, Auszug

Ray Moon ist Mitglied der fabelhaften Formation Los Dancing queenc, deren Website findet man unter: www.cuci.nl/~god/

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