CUAUHNÁHUAC Für Adolphe Lechtenberg Spielzeug erscheinen. Graham Greene Die Kraft und die Herrlichkeit A.L. Adolphe Lechtenberg ist das mit Mexico so ergangen. Das Land besuchte er vor einem Jahrzehnt das erste Mal. Um immer wiederzukehren, ja seine Zeit aufzuteilen auf die alte und die neue Welt. Nicht so sehr im Sinne eines Gauguin, der aus seiner Heimat in ein erträumtes Paradies zu flüchten versuchte. Und dies darum, weil die Welt sich eben nicht dem Traum zu fügen gedenkt, tragisch verfehlen musste. Mexico hingegen, so faszinierend es sein mag, paradiesisch ist es sicher nicht. Nicht in seinen aktuellen sozialen und politischen Verwerfungen. Nicht in seiner ruhelosen Geschichte. Schauplatz einer der großen Menschheitshochkulturen und der ihr eigenen Atavismen - und atavistischen Schrecken. Wie eines der abscheulichsten Genozide, den die kolonialistischen Konquistadoren je angerichtet haben. Nach wie vor ragen die Artefakte der Vorherigen, der Olmeken, Maya und Atzteken aus dem Boden einer Landschaft, die von tropischen Regenwäldern bis zu Wüsteneien und Hochgebirgsvulkanen alles aufbietet, was den Eingewanderten faszinierend und fremd gewesen ist. Und immer noch schimmern uralte Kulte durch die Spiegeloberfläche des eingeschleppten Christentums. Fällt ein anderes Licht unter dem nördlichen Wendekreis auf alles. So ist Mexico für ihn eine Begegnung geworden, die ihn nicht mehr losgelassen hat. Und die Bildwelt seines Oeuvres maßgeblich verwandelt. Auch wenn man offensichtliche Zitate darin vergeblich sucht: keine touristischen Prospekte, keine Postkarten, kein Folklorismus. Vielmehr scheinen die Eindrücke aus den Bilder heraus, oder besser, hindurchzuleuchten: Atmosphärik, Klänge, Nuancen. Tatsächlich ist im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten vor allem das Fehlen allen Figurativens auffällig. Und wenn da und dort die Anmutung einer Gestalt aufscheint, dann eher im Sinne einer Glyphe, eines verrätselten Zitates, einer geometrischen Chiffre. Das kann eine Ekliptik, das einander Verstellen von Monden, Sonnen und Planeten gewesen sein. Oder wie die Ranken und Triebe einer exotischen Vegetation. Die Illustration eines kosmischen Ereignisses sind sie so wenig wie ein Blick in den Urwald oder auf die gestufte Silhouette einer Tempelpyramide gegen das Licht, vielmehr das Wesen, die Amalgamierung solcher Phänomene. Andere wirken wie der Brodem einer tellurischen Macht, wie das untergründige Geschiebe tektonischer Platten, unter denen sich die Erdkräfte selber seit Urzeiten drängen und wälzen. Materia Prima, das ist auch der Urstoff, aus dem alles geworden ist. Und in den alles zurücksinkt, wenn seine Zeit vergangen ist. Und Materia Prima ist der Stoff des Malens selber, Farbe, Pigment, ihre Strahlkraft, ihr Überlagern und Durchschimmern; das Relief, das ihr Stoff aufwirft, was sich an Duktus auf und darin und darunter ereignet. Und ob das nun Öl-oder Acrylfarbe nutzt, oder den extravaganten Übereinanderdruck des Linolschnitts auf Goache oder die pastellenen Kreiden: allerorten sind die farbigen Flächen hier mehr als Oberfläche und Malhaut, sind vielmehr Raum, zuweilen beinahe ungründig in ihren Klängen. Leuchtend von exotischen, intensiven Aromen, Valeurs und Nuancen, voll von Farben, die in unseren gedeckten Breiten rauschhaft anmuten würden. Doch ist der Rausch ganz konzise, je Bild, nichts Überflüssiges, nicht geschmäcklerisch. Und auch die Bildsprache ist überwiegend streng, zuweilen konstruktivistisch verknappt: eine Diagonale, Segmentierung von Kreisen, Parabelkurven. Selbst die Formate verlassen gelegentlich das rechtwinklige Maß, sind Facette und Splitterfläche. Bei all ihrer
Verhaltung, allem Verzicht auf die konkrete Mitteilsamkeit von Orten, Abbildern oder Anekdoten, ist der vielleicht
faszinierendste Eindruck, den diese Bilder machen, der, wie sehr sie es
vermögen, die Begegnung mit der fremden Welt und die Ergriffenheit davon,
fassbar zu machen. Und ganz und gar präsent. 20.XI.2016 Gerhard van der Grinten |