Entdeckungen und Farbenfluss
zu den Arbeiten von Adolphe Lechtenberg
Beim Reisen sind die Sinne durch die Begegnung mit dem
Fremden geschärft, Gefühle werden als existentieller wahrgenommen, weil sie in
ungewohnter Umgebung erfahren werden. Das, was man mit „Eindrücke verarbeiten“
umschreibt, tritt klarer hervor. Dieses Zusammenspiel von außen und
innen, das im Menschen sein Echo als Erlebnis findet, ist das zentrale Thema,
mit dem sich Adolphe Lechtenberg anfänglich gegenständlich, jetzt in abstrakter
Form in seinem Werk beschäftigt. Seine Bilder sind also nicht als konkrete
Kunst zu verstehen, die sich in der Diskussion eigengesetzlicher Problematiken
wie etwa Farbe, Komposition und Auftrag erschöpft, sondern sie sind
Innenansichten, berichten etwas darüber, wie es zu inneren Entdeckungen kommt.
Adolphe Lechtenbergs Arbeiten sind keineswegs realistische Abbilder, aber sie
sind Ergebnisse eines Streifzuges durch die persönlich erlebte Realität, machen
die Innerlichkeit äußerer Eindrücke sichtbar.
Adolphe Lechtenberg schildert diese inneren
Entdeckungen nicht als Momente blitzartiger Erkenntnis, sondern als Prozesse,
die sich langsam und stetig vollziehen. Seine Arbeiten sind Wachstumsbilder.
Bisweilen ist ein Liniengewirr sichtbar. Ein Strich richtet tentakelnd seine
Aufmerksamkeit in den Raum, dreht und kräuselt sich wie der junge Trieb einer
Pflanze. Manchmal findet er Halt, bildet Knoten oder stellt fest, dass doch
noch an anderer Stelle die Suche fortzusetzen ist. Die Linie bei Adolphe
Lechtenberg ist bewegt, hat einen eigenen immer wiederkehrenden Rhythmus, den
des Suchens und des Irrens im Sinne des Naturgesetzes von „trial and
error“. Die Linie in ihrer Mäanderform suggeriert Dauer, Veränderung und
Expansion. Es ist eine Erforschung, die nicht endet, sich lediglich in
wechselnden Zuständen offenbart.
Auch
Adolphe Lechtenbergs Bilder markieren Stationen
in einem sich konstant in Entwicklung befindlichen Werk. Immer gab es
Teile und
Partien in seinen Bilder, die ihn besonders interessierten und die er
begann
weiter zu bearbeiten, so löste er in den 80er Jahre seine
expressiven,
figürlichen Malereien stellenweise in abstrakte Farbflächen
auf und
experimentierte damit, schrittweise den Raum, der als farbige
Gefühlslandschaft
den Figuren hinterlegt war, zu demontieren. Schließlich
erweiterte er seine
Arbeiten auch in die dritte Dimension. Es tauchten nun
isolierte
plastische Bildfragmente wie Bruchstücke von Figur und Raum neben
der eigentlichen
Bildfläche auf. Mit der Zersplitterung des Bildes, ging auch das
homogene Bild
des Menschen verloren. An seine Stelle trat das Fragmentarische:
Individualität
als Produkt des Geflechts von Beziehung und Eindrücken. Fäden
und Stangen
stellten dabei Verbindungen zwischen den verschiedenen Bildelementen
her als
sichtbare Bahnen, die das Wechselspiel zwischen innen und außen
webt. Bruchstücke der Bildfläche formierten sich sogar
manchmal an Fäden hängend zu
eigenständigen, marionettenartigen Wesen. Die Gratwanderung
zwischen Bild und
Plastik setzte Adolphe Lechtenberg auch mit seinen fast
gleichzeitig
entstehenden Klappbildern fort, die nach dem Prinzip alter
Kinderbücher
angelegt sind. Die Malerei eroberte auch hier die dritte Dimension,
indem die Bildfläche
beim Ausklappen zu einem Bühnenraum wird, die herausspringenden
Formen und
Figuren sich vom illusionistischen Bildraum emanzipieren und in
den
realen Raum eintreten.
Konsequent wagte Adolph Lechtenberg mit seinem
Bühnenbildprojekt für das „Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel“ eine
räumliche Umsetzung seiner bildnerischen Ideen. Der Bühnenraum wurde zum
dämmrigen Körperinneren mit allen wichtigen Organen gestaltet – etwa so, als
wäre man wie in einer Science Fiction an Bord eines winzigen U-Boots in die
Kanäle des Körperinneren eingetaucht. Ein reales Fadensystem durchzog analog
zu Adern und Nervenbahnen die Inszenierung.
Es
sind immer wieder Fäden, Stangen oder Schnüre, die
die einzelnen Bildteile der mehrdimensionalen Arbeiten von Adolphe
Lechtenberg
miteinander verbinden. Sie verdrahten die einzelnen Fragmente
untereinander und lassen so etwas wie einen komplexen Organismus
entstehen.
Assoziationen zum menschlichen Körper, vor allem aber zu seiner
Schaltzentrale,
dem Gehirn, stellen sich ein. Zunächst in den
Zeichnungen, dann
auch in seinen Bildern, greift Adolphe Lechtenberg das Element
der
Verflechtung wieder auf. Nun ist es die sich windende Linie, der
suchende
Strich. Aber es ist nicht mehr nur Form, sondern auch Bewegung in der
Zeit. Das Auge folgt – wie etwa bei dem hier ausgestellten
Werk „Geflecht“ - dem
labyrinthischen Schlängeln und Krakeln des Strichs. Man denkt an
die Windungen
im menschlichen Gehirn, gleichzeitig aber auch an Lötschleifen auf
Computerplatinen. Die Bewegung, die wir mit dem Auge durch die Bahnen
verfolgen, ist so etwas wie der Impuls, der Wahrnehmung
ermöglicht, mit dem
Reiz, zu reisen. Die Prozesshaftigkeit der Bildfindung ist durch diese
Rhythmisierung dokumentarisch in das Bild eingeschrieben, sie ist die
Spur, die
zum eigentlichen Bild führt und es gleichzeitig bedeutet.
Der
krakelnde Duktus ist dabei gleichsam Sinnbild für
die Dauer des immer gleichen, aber eben stets doch abweichenden
Vorgangs, die
Flüchtigkeit der allgegenwärtigen Eindrücke mit den
Mitteln der Erinnerung und des Traumes außer Kraft zu setzen.
Die Linie ist nur ein Gestaltungselement, aber für die Farbe gelten ähnliche
Prinzipien. Sie, die zuvor Figur und Raum illusionistisch abbildete, bewegt
sich nun frei auf der Bildfläche. Adolphe Lechtenberg variiert das Spiel mit
der Farbmaterie nach den Regeln von Verdichtung und Auflockerung, und lässt aus
dem steten Farbfluss Form entstehen und sich wieder auflösen. Zu einigen
Formationen lassen sich Herzen oder Flügel assoziieren, aber es ist nicht von
Bedeutung, welche Formen es sind, wichtiger ist die Art ihrer Beschaffenheit.
Ihrem Charakter nach sind es häufig Dopplungen, Paare. Adolphe Lechtenberg
stellt damit Spannungsverhältnis und Beziehungen dar, und findet damit ein
malerisches Pendant zu realen Begegnungen, sei es die Spannung, die sich
zwischen Menschen aufbaut oder wie ein aktuelles Erlebnis mit der Erinnerung
vermischt wird, immer referiert er damit auf den Modus von Befindlichkeiten als
momentanem Ergebnis der Verschmelzung von äußerer und innerer Welt. Farbe ist
dabei nicht Form bildendes Moment im klassischen Sinne, ist nicht an
Gegenstände oder Abbilder geknüpft, sondern es sind gleitende farbliche
Übergänge und diffuse Mischungen möglich, aus denen räumliche Paradoxien oder
Umschlagspunkte als Analogien zu ebenso widersprüchlichen Empfindungen, die
keine direkte Entsprechung in der dinglichen Wirklichkeit besitzen, erwachsen.
Adolphe Lechtenberg erzeugt atmosphärische, poetische
Räume. Seine Farbwahl – bei der er eine große Kontinuität beweist und die
daher schon fast so etwas wie Symbolcharakter besitzt – entspringt mehr der
Empfindung als der Erfahrung. Das Wissen um die Bildkomposition alter Meister
oder alltäglicher Gebrauchsgraphik ist spürbar, denn seine Bilder sind bei
aller freien Variation ausbalanciert und formal ausgeglichen. Es gibt häufig
kompositorische Schwerpunkte, eine Art Einlassstelle für das Auge. Die
formale Festschreibung als Bild ist aber nicht zu verwechseln mit einer
harmonischen Inhaltlichkeit, es werden keine unveränderlichen Ergebnisse
präsentiert, sondern analog zum bewegten Fluss der Farbe labile, vorläufige,
vorübergehende, eben akute Gestimmtheiten. Die eigene Aufmerksamkeit gegenüber
diesen Phänomenen als Folge der alltäglichen, aber immer noch undurchschaubaren
Begegnung mit der Welt, die an den Körper als Sensorium und Katalysator
gebunden ist, macht innere Entdeckungen möglich.