LenzPeter Huchel |
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Nachthindurch, im Frost der Kammer, wenn die Pfarre unten schlief, blies ins Kerzenlicht der Jammer, schrieb er stöhnend Brief um Brief, wirre Schreie an die Braut - Lenz, dich ließ die Welt allein! Und du weißt es und dir graut: Was die alten Truhen bergen an zerbrochenem Gepränge, was an Rosen liegt auf Särgen, diese Botschaft ist noch dein. Kalter Kelch und Abendmahl. Und der Gassen trübe Enge. Und die Schelle am Spital. Jungfräulicher Morgenhimmel, Potentaten hoch zu Roß, Kutschen, goldgeschirrte Schimmel, Staub der Hufe schluckt der Troß. Und die Dame schwingt den Fächer. Und den Stock schwingt der Profoß. Kirchen, Klöster, steile Dächer, Mauerring um Markt und Maut. Schwarz von Dohlen überflogen Postenruf und Orgellaut. Im Gewölb, im spitzen Bogen, stehen sie, in Stein gehauen, die durch Glorie gezogen, Landesherren, Fürstenfrauen. Doch kein Wappen zeigt die Taten: Hoffart, Pracht und Üppigkeit, nicht den hinkenden Soldaten, armes Volk der Christenheit und das Korn, von Blut betaut – Lenz, du mußt es niederschreiben, was sich in der Kehle staut: Wie sie's auf der Erde treiben mit der Rute, mit der Pflicht. Asche in dem Feuer bleiben war dein Amt, dein Auftrag nicht. |
Oh, des Frühjahrs Stundenschläge! Dünn vom Münster das Geläut. Durch den Wingert grüne Wege, wo der Winzer Krume streut. Auch der Büßer geht im Licht. Und die schwarzverhüllte Nonne mit dem knochigen Gesicht spürt im Kreuzgang mild die Sonne. Und der Pappeln kühles Schweben in der Teiche weißem Rauch, ist es nicht das schöne Leben, diese Knospe, dieser Strauch? Im Gehölz, vom Wind erhellt, schulternackt der Nymphen Gruppe, und ein Lachen weht vom Fluß – Doch wer atmet rein die Welt, wenn er seine Bettelsuppe täglich furchtsam löffeln muß! Lenz, du weißt es und dir graut: Wer sich windet, wer sich beugt, wer den Lauch der Armut kaut, ist wie für die Nacht gezeugt. Horch hinaus in Nacht und Wind! Wirre Schreie, hohle Stimmen. Feuer in den Felsen glimmen. In Fouday blickt starr das Kind. Bei des Kienspans trübem Blaken und berauntem Zauberkraut liegt es auf dem Totenlaken. Und du weißt es und dir graut. Schmerz dröhnt auf und schwemmt vom Chore brennend in dein Wesen ein. Von der ödesten Empore, dringend durch die dickste Mauer – gellend alle Pfeifen schrein – braust die Orgel deiner Trauer. Räudig Schaf, es hilft kein Beten! Unter Tränen wirds dir sauer, doch du mußt die Bälge treten, daß es in den Pfeifen gellt – Lenz, dich friert an dieser Welt! Und du weißt es und dir graut. Gott hat dich zu arm bekleidet mit der staubgebornen Haut. Und der Mensch am Menschen leidet. |
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Straßburg/Paris 1927 |