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- Im Jahr 2004 jährt sich der Todestag
des bekanntesten japanischen Dichters Matsuo Basho zum 310ten mal,
sein Geburtstag zum 360ten mal. Er starb auf einer seiner Reisen,
während eines Zwischenaufenthalts in Osaka, an einer
Magenkrankheit. Viele seiner Schüler waren herbeigeeilt und
begleiteten ihn in seinen letzten Stunden. Der Todestag Bashos
wurde in Japan bereits kurze Zeit darauf als Gedenktag zelebriert.
Im Japanischen ist die meistverbreitete Bezeichnung für diesen Tag
Basho-ki. Man findet zahlreiche Äquivalente, z. B.
Shigure-ki, Shigure-e, Okina-ki, Okina-no-hi, Tosei-ki,
Basho-e. Die Endung
‚-ki‘ bedeutet
‚Gedenktag‘, ein ‚-e‘ am Ende zeigt an, dass es sich um einen
buddhistischen Gedenktag handelt. ‚Shigure‘ bedeutet
‚Schneeregen‘, ‚Okina‘ steht für ‚Alter Mann‘ oder ‚Alter
Meister‘, ‚Tosei‘ für ‚Grüner Pfirsich‘. Diesen Namen trug Basho,
bevor er sich Basho (‚Bananenstaude‘) nannte. Die Begriffe wurden
als Jahreszeitenwörter (‚kigo‘) für den frühen Winter in die
Jahreszeiten-Handbücher (‚saijiki‘) aufgenommen.
- Letztes Jahr recherchierte ich erstmals
danach, wann dieser Gedenktag begangen wird, und zog dabei
verschiedene Quellen zu Rate, u. a. das Internet.
Seltsamerweise fand ich unterschiedliche Auskünfte. Zwar waren
sich alle bezüglich des Todesjahres (1694)
- einig, bezüglich des Todestages aber
fand ich so unterschiedliche Angaben wie den 12. Oktober, den 8.
November, den 25. November und den 28. November 1694.
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Basho auf dem
Sterbebett |
- Meine Neugier war geweckt. Nach weiteren
Recherchen im Internet war das Datum des 12. Oktober geklärt. Diese
Angabe ist in gewisser Weise korrekt, beruht aber auf einem
Missverständnis. Zu Bashos Zeit galt noch der chinesische bzw.
japanische Kalender. Der westliche Gregorianische Kalender wurde erst im
fünften Jahr der Meiji-Ära (1872/73) eingeführt. Damals wurde der 3. Tag
des 12. Monats als 1. Januar 1873 neu festgelegt. Aufgrund dieser
Einführung und der Schwierigkeiten der Umrechnung gibt es bis heute
Konfusionen bezüglich vieler Daten, so eben auch des Basho-Gedenktags.
Basho starb nach dem japanischen Kalender am 12. Tag des 10. Monats des
siebten Jahres der Genroku-Ära (1694). Begeht man den Basho-Gedenktag
nach dem alten japanischen Kalender, fällt dieser jedes Jahr auf einen
anderen Tag im Gregorianischen Kalender. So erklärte ich mir die
unterschiedlichen Datumsangaben.
- Welcher Tag im Gregorianischen Kalender
aber entspricht nun tatsächlich dem 12. Tag des 10. Monats Genroku 7?
Dies zu berechnen bat ich einen befreundeten Kalenderspezialisten.
Gerhard P. Peringer hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig mit dem
chinesisch-japanischen Kalender beschäftigt, sah meine Anfrage aber als
willkommenen Anlass, um sich darin kundig zu machen. Eine Woche später
erhielt ich seine Lösung:
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- „Beim chinesisch/japanischen Kalender
handelt es sich um einen typischen, eleganten, jedoch nicht leicht zu
berechnenden so genannten Lunisolarkalender. Die Schwierigkeiten rühren
hauptsächlich daher, dass zwei astronomische Zyklen, der Mondumlauf und
der Sonnenumlauf, die nicht ohne Rest ineinander teilbar sind, in
Übereinstimmung gebracht werden müssen. Der synodische Mondumlauf
beträgt 29,53 Tage (ein reines Mondjahr wäre also 354 oder 355 Tage
lang), der tropische Sonnenumlauf, also unser Jahr, ist 365,2422 Tage
lang (d. h. die ideale Monatslänge wäre 365,2422 : 12 = 30,43 Tage
lang). Diese verschiedenen Größen müssen also einander angeglichen
werden, was natürlich nur mit Schalttagen respektive –monaten zu
erreichen ist.
- Durch langfristige Beobachtungen —
wahrscheinlich über Generationen hinweg — haben schon die alten
Chinesen, wie auch die Babylonier, festgestellt, dass 235 synodische
Monate (= 6939,688 Tage) ziemlich genau 19 tropischen Jahren (= 6939,602
Tage) entsprechen, was einfach bedeutet, dass dieselbe Mondphase am
gleichen Tag wie vor 19 Jahren zu sehen ist. Diese 19 Jahres-Periode hat
auch der griechische Astronom Meton um 450 v. Chr. erkannt
(allerdings erst 150 Jahre nach den Chinesen), weshalb man sie im
abendländischen Kulturkreis auch als „Metonischen Zyklus“
bezeichnet.
- Die 235 Monate setzen sich zusammen aus 12
x 12 Monaten + 7 x 13 Monaten, d. h. es müssen sieben zusätzliche
Monate in der neunzehnjährigen Periode einigermaßen gleichmäßig verteilt
werden. Und das haben die Chinesen elegant gelöst. Die Regel lautet:
Stellen sich zwei Neumonde (die also 29,53 Tage auseinander liegen)
innerhalb eines Sonnenzyklus’ ein (d. h. bevor die Sonne nach 30
Winkelgraden in das nächste Tierkreiszeichen eintritt — und der 30,43
Tage lang ist), dann ist dies ein Schaltmonat, der nicht mit den anderen
Monaten gezählt werden darf. Dieser Fall tritt alle 2-3 Jahre ein, so
dass die Einschübe im 3., 6., 8., 11., 14., 16. und 19. Jahr des Zyklus’
erfolgten.
- Man muss also die Mondphasen des Jahres
1694 kennen. Diese lassen sich berechnen z. B. mit Hilfe der
„Gaußschen Osterformel“ (d. i. ein aus circa einem dutzend Formeln
bestehendes Regelwerk mit dem das Osterdatum ermittelt werden kann, das
bekanntlich ja vom ersten Frühlingsvollmond abhängt; die „Osterformel“ —
ihr erster ‚Fehler‘ wird erst im Jahre 8202 auftreten! — geht zurück auf
Carl Friedrich Gauß (1777-1855), einen der bedeutendsten Mathematiker
der Geschichte) sowie der „Epakte“ (auch „Mondzeiger“ genannt; sie gibt
an wieviele Tage seit dem letzten Neumond eines Jahres bis zum Beginn
des Folgejahres vergangen sind; in unserem Fall beträgt die Epakte = 4).
Dann muss man den Beginn (d. h. das chinesische Neujahr) des Mondjahres
bestimmen, der logischerweise jedes Jahr auf ein anderes
(gregorianisches) Datum fällt. Als Beginn des neuen Jahres galt der
Neumond, der dem Eintreten der Sonne in das Sternbild des Wassermanns
vorausging. Das war 1694 am 25. Januar der Fall. Nun konnte ich, vom
25.1. ausgehend, alle weiteren Neumonde des Jahres bestimmen.
- Danach berechnete ich den Sonnenzyklus,
d. h. den jeweiligen Eintritt der Sonne in das nächste
Tierkreiszeichen (hört sich einfacher an, als es ist...). Dabei zeigte
sich, dass die Sonne im Jahre 1694 am 21. Juni in das Zeichen Krebs
eintrat, danach am 23. Juli in das Zeichen Löwe. Die Neumonde in diesem
Zeitraum stellten sich jedoch am 22. Juni und am 21. Juli ein, also
innerhalb des gleichzeitigen Sonnenzyklus'. Mit anderen Worten: diese 29
Tage zwischen dem 22. Juni und dem 21. Juli stellen einen typischen
Schaltmonat des chinesischen Kalenders dar. Um nun auf den 12. des 10.
Monats zu kommen, muss man nur noch alle Tage richtig
zusammenrechnen:
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Bis 25. Januar: 24 Tage
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1. Monat: 30 Tage
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2. Monat: 30 Tage
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3. Monat: 29 Tage
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4. Monat: 29 Tage
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5. Monat: 30 Tage
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Schaltmonat: 29 Tage
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6. Monat: 30 Tage
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7. Monat: 29 Tage
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8. Monat: 30 Tage
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9. Monat: 30 Tage
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10. Monat: 12 Tage
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Zusammen: 332 Tage
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- Und der 332. Tag im Gregorianischen
Kalender (1694 war kein Schaltjahr) ist der 28. November!
- Die einzige Unsicherheit, mit der meine Berechnung noch
behaftet ist — weswegen ich mein Ergebnis mit ±1 Tag angeben muss —
rührt daher, dass ich meine Berechnungen nur auf einen Tag genau
ausgeführt habe, der jedoch bekanntlich aus 24 Stunden oder 1440 Minuten
oder 86400 Sekunden besteht. Und da der Sonneneintritt in ein neues
Sternbild oder der Mondumlauf auf die Sekunde genau berechnet werden
kann, ist es mitunter entscheidend, ob das Ereignis um 0 Uhr 5 oder um
23 Uhr 55 des selben Tages stattgefunden hat. Aber die sekundengenaue
Berechnung ist derart kompliziert und
aufwändig — sie nimmt nicht linear sondern exponentiell zu! —, weil
viele kleinere Effekte, wie z. B. die Präzession der Erdachse (sie
hat in den letzten 310 Jahren — ich habe es mal kurz überschlagen — im
Zeitmaß immerhin mit über 17 Minuten zugenommen), berücksichtigt werden
müssen, so dass man heutzutage nur noch mit Computerhilfe anständige
Ergebnisse erzielen kann.
- Wie haben unsere Altvorderen das bloß ohne
Computer geschafft? Daher kommt meine uneingeschränkte Bewunderung von
Persönlichkeiten wie Hipparch, Tycho Brahe oder Kepler – oder auch des
chinesischen Astronomen Go Schou-zsin, in dessen 1281 geschaffenem
„Schouschi li“, dem „Kalender, der die Zeit angibt“, die Dauer des
tropischen Jahres mit 365,2425 Tagen angegeben wird – mithin also eine
Genauigkeit aufweist, wie sie, allerdings 300 Jahre später, der
Gregorianische Kalender erst wieder erreicht. Meine bescheidenen
Berechnungen sind ebenfalls „handmade“, das ist Ehrensache, und auch als
Verbeugung vor den Genannten zu verstehen.
- Die astrologischen Aspekte des
chinesisch/japanischen Kalenders habe ich außen vor gelassen, sie sind
auch noch recht kompliziert (60er Rhythmus, „Elemente“, „Geschlechter“
etc.), aber für das astronomische Verständnis nicht relevant. Wichtig
ist jetzt nur die definitive Antwort auf die Frage nach Bashos Day: Das
gregorianische Datum lautet 28. November 1694.“
- (Gerhard P. Peringer)
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- 28.November 1694, das war eines der Daten,
die ich gefunden hatte. Vorsichtshalber richtete ich noch eine Anfrage
an das japanische Generalkonsulat und bekam erwartungsgemäß von dort die
Antwort, dass auch sie dieses Datum für korrekt hielten. Eine weitere
Anfrage beim Vorsitzenden des World Haiku Club, Susumu Takiguchi, führte
zur endgültigen Bestätigung des errechneten Termins. Basho, so wusste
Susumu Takiguchi, starb vermutlich gegen 16 Uhr im Haus von Hanaya
Nizaemon in Minami-Mido-Mae.
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- Bashos Grabstein
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- Schon bald nach Bashos Tod entstanden
Haiku zu seinem Gedächtnis. Das von Fumikuni editierte und im Jahr 9
Genroku (1696) veröffentlichte Buch „Basho-an-Kobunku“ trägt ein vom
Herausgeber persönlich verfasstes Erinnerungs-Haiku an den Meister der
haikai-Dichtung:
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- Basho-e to moushi-some-keri zo no
mae
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- Vor seinem Standbild
nennen wir den Tag
jetzt Basho-Gedenktag
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- Im Laufe der Zeit wurden zahlreiche Haiku
zu dem Gedenktag verfasst. Hier nur zwei Beispiele von Schülern des
Haiku-Reformers Masaoka Shiki:
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- mizuumi no samusa wo shiri-nu
Okina-no-ki
ich spüre
- die Kälte vom See —
des Alten Meisters
Gedenktag
- (Takahama Kyoshi, 1874 – 1959)
- Basho-ki ya zori ni nagomu
tsuki-akari
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- Basho-Tag ...
das Mondlicht
behaglich auf meinen Strohsandalen
- (Watanabe Suiha, 1882 – 1946)
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- (Übersetzungen von Gabi Greve und Udo
Wenzel)
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- Reisen und Dichten waren die wesentlichen
Lebensinhalte des Matsuo Basho. Aus
seinen Reisen schöpfte er immer wieder aufs neue Anregungen für die
Dichtung. Aus ihnen entstanden neben zahlreichen Haiku fünf wichtige
Reisetagebücher. Ein Reisender war er auch im übertragenen Sinne:
"Reisen bedeutete die stetige Anstrengung,
neue Gegenden und Sprachen zu entdecken, aber auch die fortwährende
Suche nach neuen Sichtweisen auf Natur, Jahreszeiten und Landschaft, den
Trägern von Poesie und kulturellem Gedächtnis." (H. Shirane: Traces of
Dreams, S. 286; Übersetzung Gerhard P. Peringer)
- In Bashos Texten findet man immer wieder
die Reise oder das Wandern als Metapher für seinen Lebensweg. Kurz vor
seinem Tod schreibt er sein letztes Haiku, sein „Abschiedsgedicht von
der Welt“ (jisei):
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Krank auf der
Reise. Meine Träume irren übers verblühte Moor.
(Übersetzung D.
Krusche) |
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- Gedenkstein mit dem
- letzten Haiku Bashos
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- Vielen Dank an Gabi Greve (WHC
Moderatorin) und Susumu Takiguchi (WHC Vorsitzender) für ihre
freundliche Unterstützung.
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- Literatur:
- Basho: Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland. Übertragung von
G. S. Dombrady. Mainz 1985.
- Ginzel, Friedrich Karl: Handbuch der mathematischen und
technischen Chronologie. Das Zeitrechnungswesen der Völker.
- 3 Bde.
Leipzig 1906-1914.
- Grotefend, Hermann: Taschenbuch der Zeitrechnung, Hannover
1991.
- Haiku. Japanische Gedichte. Übersetzt von Dietrich Krusche.
München 1994.
- Schlag, Hannes E.: Ein Tag zuviel. Aus der Geschichte des
Kalenders. Würzburg 1998.
- Shirane, Haruo: Traces of Dreams. Landscape, Cultural Memory, and
the Poetry of Basho. Stanford (Cal.) 1998.
- Vogtherr, Thomas: Zeitrechnung. Von den Sumerern bis zur Swatch.
München 2001.
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