HILDESHEIMER ALLGEMEINE 22.8.00Vagaund mit dem Riecher für ausgefallene Kunst
Daniel Schürer hat eine hannoversche Einkaufspassage in eine seltsame Galerie verwandelt und bereitet gleichzeitig das nächste Projekt in Portugal vor
HILDESHEIM/HANNOVER. Daniel Schürer ist ein Heimatloser, ein Kunst vagabund. Alles hat einmal mit seiner Hildesheimer Galerie "Via 113 Artgenossen" angefangen - winzige Räume, in denen Platz genug ist für experimentelle, witzige, zum Teil auch schwer verdaubare Kunstaktionen, nie aber für ästhetisch stromlinienförmige Durchschnittsware. Im vorigen Jahr hat Schürer in Weimar eine erste "Außenstelle" eröffnet, zurzeit- ist er in Hannover aktiv, danach folgen Portugal und noch einmal Weimar. Und zwischendurch immer wieder Hildesheim.
"Eine deutsche Einkaufspassage" nennt sich sein aktuelles Projekt. Der "Kulturserver", eine landesweite Internet-Iniative, hat ihm eine leere Kaufmeile an der Hannoverschen Lister Straße zur Verfügung gestellt. Edles Ambiente auf einem früheren Fabrikgelände: "Es hat etwas Morbides, Komisches. Aber es hat auch seinen Reiz", sagt Schürer. Also hat er zugegriffen und gemeinsam mit Carsten Greife und Hlynur Hallsson ein Konzept erdacht.
Eine in 44 Felder sezierte Kuh ist das Symbol für die umfunktionierte Passage, deren Fußboden in ebenso viele weiß umrandete Felder eingeteilt ist. Nach und nach füllt sich die Fläche, jedes der Felder wird von einem Künstler individuell gestaltet. Die einzige Vorgabe Schürers ist, dass die Arbeiten nicht über die weißen Grenzstriche hinausreichen dürfen.
Die Künstler haben sich von dem Ambiente und der Situation inspirieren lassen: etwa mit einem 800 Meter langen kunstvoll aufgerollten Tau, mit erhängten Handpuppen oder eigentümlichen Installationen wie der von Alexander Steig. Ein alter Plattenspieler dreht sich nonstopp, doch auf dem Teller liegt keine Platte, sondern Schutt und Dreck. Darüber hängt ein winziges Papierflugzeug, das wiederum von einer Videokamera gefilmt wird. Auf einem Monitor sieht man die Live-Übertragung: ein Flugzeug, das über einer Wüstenlandschaft dahinzieht.
Auch Hildesheimer beteiligen sich. Simon Frisch etwa mit dem Gemälde einer Häuserzeile am Hohen Weg. Oder Dominik Krinninger mit einem Hand-geschnitzten Fußballteam. Weitere Hildesheimer Arbeiten stammen von Kathrin Geisenhainer, Sonja Lehder, Tobias Apel, Marie Scholle und Bernd Krauß.
Sie alle haben sich an die Spielregeln gehalten und die Grenzen ihres Feldes nicht überschritten. Nur die Frankfurterin Anke Philipp hat die Vorgabe geschickt außer Kraft gesetzt. Ihr Beitrag bestand darin, einfach die Linien ihres Feldes weg zu radieren - wer keine
Grenzen hat, braucht auch keine zu akzeptieren. Ein Mini-Aufnahmestudio für Hörspiele, die vom "Kulturserver" ins Internet eingespeist werden, und ein Laden, in dem Kunstobjekte von einer Mark an aufwärts zu erstehen sind, ergänzen die Palette der "deutschen Einkaufspassage". Wer Schürer kennt, weiß, dass er an jedem Öffnungsabend auch die kulinarische Kunst nicht zu kurz kommen lässt - einmal gab's sogar einen Frikadellen Wettbewerb.

"Passagen"-Initiator Daniel Schürer im Gespräch mit der Künstlerin Heike Schötker, davor die Installation "Warum sich eine ganze Theatergruppe für den Suizid entschied".
Während sich die Passage mit Objekten füllt, treibt Daniel Schürer schon das nächste Projekt voran. Auf Einladung der Künstlerorganisation "Artik" reist er für einige Wochen in die portugiesische Hafenstadt Porto, um dort Kunstaktionen zu starten, den Nährboden für künftige Initiativen zu schaffen und natürlich eine weitere "Außenstelle" der Hildesheimer "Via" zu eröffnen.
Eine eigene Wohnung hat der Kunstfreak längst nicht mehr. Wozu auch? Er schläft immer gerade da, wo seine Projekte stattfinden - zurzeit hinter einem knappen Vorhang mitten in der Lister Passage. Wie sang doch Paul Young: "Wo immer ich meinen Hut ablege, da bin ich zuhaus." Daniel Schurer braucht nicht mal einen Hut.
Die "Deutsche Einkaufspassage' an der Lister Straße 6 in Hannover kann noch am heutigen Dienstag und am 29. August jeweils ab 20 Uhr sowie nach telefonischer Absprache besichtigt werden.
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