Schädelspalter August 2000

Kunstaktion

Kunst im Einkaufszentrum

Der Podbi Park wird zum Schauplatz für ein buntes Kunst-Happening. Was passiert mit überflüssigen Lagerhallen, Fabrikanlagen, Bahnhöfen oder Einkaufspassagen? Genau, sie werden freigegeben für Kunst und Kultur. Soweit ist es mit der fast leer stehenden Podbi-Passage leider noch nicht. Kunst gibt es trotzdem schon zu sehen: Der Kunstverein Via 113 Artgenossen veranstaltet dort in Zusammenarbeit mit dem Kulturserver Niedersachsen ein kleines Happening. Der 150 Quadratmeter große Raum gegenüber dem Bürgerbüro wird für drei Monate zur Ausstellungsfläche für Arbeiten von deutschen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern.
Reanimation eines Shopping-Centers

Zwei Drittel Raumfläche sind in 44 Felder eingeteilt, die sich nach und nach mit Kunst füllen. Jeweils drei bis vier neue Arbeiten werden jeden Dienstag ab20 Uhr der Öffentlichkeit präsentiert. Die Spielregeln sind einfach: "Die Künstler können in ihrem Raum machen, was sie wollen. Sie können ihre Werke nach Absprache mit anderen fusionieren oder im Laufe der Aktion Veränderungen vornehmen", erklärt Daniel Schürer, der zusammen mit Carsten Greife und Hlynur Hallsson das Projekt leitet. Ein Ergebnis dieser freien Vorgabe ist die schräge Installation des Braunschweigers Hannes Malte Mahler mit dem Titel "Unser Oma ihr klein Häuschen vs. Mudboiling". Ihn reizte es, ein Rezept aus einem Lucky Luke-Heft auszuprobieren: Kaffee muss so lange gekocht werden, bis ein Hufeisen darin schwimmt. Erst dann ist er stark genug. Wer will, kann probieren! Gemeinsames Kochen von Spaghetti bis Kaninchen ist ein fester Bestandteil des Begleitprogramms. Am 5. September, wenn alle Felder im Ausstellungsraum gefüllt sind, gibt es einen Abschlussball. "Was nach Ende des Projektes hier weiter geschieht, ist zur Zeit noch unklar", meint Schürer. Vieleicht gefällt die Aktion ja auch den Podbi-Betreibern. Sie könnten mal darüber nachdenken, ob sie die leere Passage für die Kunst freigeben.

Bis 5.9.,dienstags ab 20 Uhr, Podbi Park, Lister Str.6

HILDESHEIMER ALLGEMEINE 22.8.00

Vagaund mit dem Riecher für ausgefallene Kunst

Daniel Schürer hat eine hannoversche Einkaufspassage in eine seltsame Galerie verwandelt und bereitet gleichzeitig das nächste Projekt in Portugal vor

HILDESHEIM/HANNOVER. Daniel Schürer ist ein Heimatloser, ein Kunst vagabund. Alles hat einmal mit seiner Hildesheimer Galerie "Via 113 Artgenossen" angefangen - winzige Räume, in denen Platz genug ist für experimentelle, witzige, zum Teil auch schwer verdaubare Kunstaktionen, nie aber für ästhetisch stromlinienförmige Durchschnittsware. Im vorigen Jahr hat Schürer in Weimar eine erste "Außenstelle" eröffnet, zurzeit- ist er in Hannover aktiv, danach folgen Portugal und noch einmal Weimar. Und zwischendurch immer wieder Hildesheim.

"Eine deutsche Einkaufspassage" nennt sich sein aktuelles Projekt. Der "Kulturserver", eine landesweite Internet-Iniative, hat ihm eine leere Kaufmeile an der Hannoverschen Lister Straße zur Verfügung gestellt. Edles Ambiente auf einem früheren Fabrikgelände: "Es hat etwas Morbides, Komisches. Aber es hat auch seinen Reiz", sagt Schürer. Also hat er zugegriffen und gemeinsam mit Carsten Greife und Hlynur Hallsson ein Konzept erdacht.

Eine in 44 Felder sezierte Kuh ist das Symbol für die umfunktionierte Passage, deren Fußboden in ebenso viele weiß umrandete Felder eingeteilt ist. Nach und nach füllt sich die Fläche, jedes der Felder wird von einem Künstler individuell gestaltet. Die einzige Vorgabe Schürers ist, dass die Arbeiten nicht über die weißen Grenzstriche hinausreichen dürfen.

Die Künstler haben sich von dem Ambiente und der Situation inspirieren lassen: etwa mit einem 800 Meter langen kunstvoll aufgerollten Tau, mit erhängten Handpuppen oder eigentümlichen Installationen wie der von Alexander Steig. Ein alter Plattenspieler dreht sich nonstopp, doch auf dem Teller liegt keine Platte, sondern Schutt und Dreck. Darüber hängt ein winziges Papierflugzeug, das wiederum von einer Videokamera gefilmt wird. Auf einem Monitor sieht man die Live-Übertragung: ein Flugzeug, das über einer Wüstenlandschaft dahinzieht.

Auch Hildesheimer beteiligen sich. Simon Frisch etwa mit dem Gemälde einer Häuserzeile am Hohen Weg. Oder Dominik Krinninger mit einem Hand-geschnitzten Fußballteam. Weitere Hildesheimer Arbeiten stammen von Kathrin Geisenhainer, Sonja Lehder, Tobias Apel, Marie Scholle und Bernd Krauß.

Sie alle haben sich an die Spielregeln gehalten und die Grenzen ihres Feldes nicht überschritten. Nur die Frankfurterin Anke Philipp hat die Vorgabe geschickt außer Kraft gesetzt. Ihr Beitrag bestand darin, einfach die Linien ihres Feldes weg zu radieren - wer keine Grenzen hat, braucht auch keine zu akzeptieren. Ein Mini-Aufnahmestudio für Hörspiele, die vom "Kulturserver" ins Internet eingespeist werden, und ein Laden, in dem Kunstobjekte von einer Mark an aufwärts zu erstehen sind, ergänzen die Palette der "deutschen Einkaufspassage". Wer Schürer kennt, weiß, dass er an jedem Öffnungsabend auch die kulinarische Kunst nicht zu kurz kommen lässt - einmal gab's sogar einen Frikadellen Wettbewerb.

"Passagen"-Initiator Daniel Schürer im Gespräch mit der Künstlerin Heike Schötker, davor die Installation "Warum sich eine ganze Theatergruppe für den Suizid entschied".

Während sich die Passage mit Objekten füllt, treibt Daniel Schürer schon das nächste Projekt voran. Auf Einladung der Künstlerorganisation "Artik" reist er für einige Wochen in die portugiesische Hafenstadt Porto, um dort Kunstaktionen zu starten, den Nährboden für künftige Initiativen zu schaffen und natürlich eine weitere "Außenstelle" der Hildesheimer "Via" zu eröffnen.

Eine eigene Wohnung hat der Kunstfreak längst nicht mehr. Wozu auch? Er schläft immer gerade da, wo seine Projekte stattfinden - zurzeit hinter einem knappen Vorhang mitten in der Lister Passage. Wie sang doch Paul Young: "Wo immer ich meinen Hut ablege, da bin ich zuhaus." Daniel Schurer braucht nicht mal einen Hut.

Die "Deutsche Einkaufspassage' an der Lister Straße 6 in Hannover kann noch am heutigen Dienstag und am 29. August jeweils ab 20 Uhr sowie nach telefonischer Absprache besichtigt werden.